Ukraine„Es ist sehr furchterregend, wenn man zu Hause angegriffen wird“ – Gespräch mit Parlamentarierin Kira Rudik

Ukraine / „Es ist sehr furchterregend, wenn man zu Hause angegriffen wird“ – Gespräch mit Parlamentarierin Kira Rudik
Rettungskräfte bei der Arbeit neben einem Verwaltungsgebäude, das durch einen Drohnenangriff in der Region Kiew beschädigt wurde Foto: AFP/Ukrainian Emergency Service

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Kira Rudik, Abgeordnete im ukrainische Parlament, war Ende letzter Woche mit Fokus-Politiker Frank Engel in Luxemburg unterwegs. Sie hat eine Mission: Im Visier hat sie die russischen Milliarden – und setzt sich dafür ein, dass diese der Ukraine zugesprochen werden. Russische Angriffe hat sie hautnah miterlebt.

Tageblatt: Warum sind Sie hier in Luxemburg?

Kira Rudik: Ich setze mich dafür ein, dass die 500 Milliarden Euro an russischen Geldern, die in den westlichen Demokratien mit Sanktionen belegt sind, genommen und für die Ukraine genutzt werden. In Luxemburg wurden sieben Milliarden Euro eingefroren. Es ist nämlich nicht fair, dass Bürger anderer Länder bezahlen, um uns zu unterstützen. Warum sollen Steuereinnahmen aus Luxemburg genutzt werden, um für Putins Aktionen zu zahlen? Als Fürsprecher für die Beschlagnahmung dieser Gelder war ich in den letzten zwei Jahren in 34 Ländern.

Wie erfolgreich waren Sie bisher?

Zu Beginn hat niemand geglaubt, dass etwas Derartiges passieren könnte. Jeder hat über uns gelacht. Aber jetzt, zwei Jahre später, hat es schon Fortschritte gegeben. In Kanada wurden bereits Gesetze zur Beschlagnahmung von Geldern gestimmt. In den USA wurden diesbezügliche Stellungnahmen abgegeben. In Großbritannien, Estland und Belgien sind Gesetze unterwegs. In Belgien werden als Erstes Steuern auf eingefrorenem Vermögen beschlagnahmt. Nicht wenig: rund zwei Milliarden. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich den belgischen Premier getroffen. Es ist vorgesehen, dass dieses Geld in Fonds fließt, die die Ukraine unterstützen. Wir hoffen, dass weitere Länder folgen.

Warum sind Sie mit Frank Engel unterwegs?

Er hat mich nach Luxemburg eingeladen. Um die Unterstützung der Ukraine zu fördern. Wir hatten uns bei einer Veranstaltung zur Beschlagnahmung staatlicher russischer Gelder im Europaparlament kennengelernt. Ich treffe mich mit Verteidigungsministerin Yuriko Backes und Wirtschaftsminister Lex Delles, um über das Thema zu reden. Und ich werde die hiesige ukrainische Diaspora treffen.

Sind Sie zufrieden mit der Luxemburger Unterstützung?

Wir sind sehr dankbar für die Hilfe aus Luxemburg. Es ist aber wichtig, dass das weitergeht. Der Krieg ist nicht vorbei. Putin verstärkt seine Streitkräfte. Dann gibt es Unsicherheit um die amerikanischen Wahlen. Das Thema der europäischen Sicherheit ist dringend geworden.

Kira Rudik: „Es ist unvorstellbar, was die Menschen in der Ukraine derzeit durchmachen“
Kira Rudik: „Es ist unvorstellbar, was die Menschen in der Ukraine derzeit durchmachen“ Foto: Claus Nehring/Fokus

Was braucht es, damit der Krieg aufhört?

Wir brauchen mehr Waffen. Wenigstens genauso schnell, wie Russland sie von seinen Partnern erhält. Wir brauchen Langstreckenraketen. Wir brauchen Sanktionen, die funktionieren – in allen russischen Drohnen befinden sich Teile aus westlichen Ländern. Das muss gestoppt werden. Dann brauchen wir finanzielle Unterstützung, um den Staat am Laufen zu halten.

Liefert Luxemburg genug Waffen?

Mehr als wir erwartet hatten. Aber natürlich brauchen wir mehr. Zumindest die Erfüllung der versprochenen europäischen Munitionslieferungen.

Ist es richtig, dass ein demokratisches Land, das sich im Krieg befindet, erst einmal keine Wahlen abhält?

Ja. Das sieht die Verfassung so vor. Die Sicherheit der Wähler kann nicht garantiert werden. Wie sollen die Menschen an der Front wählen und gewählt werden können? Was ist mit den acht Millionen Menschen außerhalb des Landes? Ich bin Mitglied der Oppositionspartei „Voice“. Von 420 Abgeordneten im Parlament halten wir 20 Sitze. Doch solange wir angegriffen werden, arbeiten wir alle zusammen. Mit Präsident Selenskyj. Zusammen für das Land.

Der ukrainische Kinofilm „Luxembourg Luxembourg“

Und sollte ich jetzt mit Wahlwerbung auf die Straße gehen … Ich würde gefragt werden, ob es derzeit keine wichtigeren Sachen gibt, für die ich meine Energie verwenden sollte. Ich würde bespuckt werden. Und das zu Recht.

Woran denken Sie, wenn Sie Luxemburg hören?

Ganz klar: an den ukrainischen Kinofilm von letztem Jahr, „Luxembourg Luxembourg“. Der hatte einen unglaublichen Erfolg. Trotz des Namens geht es nicht direkt um Luxemburg und auch nicht um den Krieg. Es geht um zwei Zwillingsbrüder, die von der Ukraine nach Luxemburg reisen, um nach ihrem toten Vater zu suchen. Ein echter Kassenschlager.

Wie sind Sie hergekommen? Mit dem Zug?

Nein, das mache ich nicht mehr. Mit dem Auto. Zu Kriegsbeginn war ich mal in einem Zug, der angegriffen wurde. Das will ich nicht wieder erleben. Auch in meiner Wohnung waren bereits einmal alle Fenster durch die Druckwelle eines Angriffs zerbrochen. Sehr früh morgens. Es ist unvorstellbar, was die Menschen in der Ukraine derzeit durchmachen.

Als Putin vor vielen Jahren an die Macht kam, war intensiv über Großmachtgelüste diskutiert worden. Schlussendlich, 2022, konnte sich kaum jemand vorstellen, dass Russland tatsächlich angreifen würde. Warum?

Putin sagt, was er denkt. Die Welt denkt dann, er würde scherzen. Es ist nun höchste Zeit, diese Drohungen ernst zu nehmen und über europäische Sicherheit zu reden. Es ist sehr furchterregend, wenn man zu Hause angegriffen wird, während die schlausten Leute weltweit dir sagen, dass du nicht gewinnen kannst.

Solange wir angegriffen werden, arbeiten wir alle zusammen. Mit Präsident Selenskyj. Zusammen für das Land.

Kira Rudik, Abgeordnete

Zur Person

Kira Rudik, geboren 1985, ist seit 2019 eine von 20 Abgeordneten der liberalen Partei „Voice“ (Stimme) im ukrainischen Parlament. Sie ist Parteivorsitzende und gleichzeitig auch Vizepräsidentin der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE). Vor ihrer politischen Tätigkeit arbeitete sie in der ukrainischen und amerikanischen IT-Branche, unter anderem bei „Ring Ukraine“, welches an Amazon verkauft wurde.