Dienstag4. November 2025

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Hip-HopIm Kosmos des Poeten – MC Solaar tritt am Donnerstagabend im Casino2000 auf

Hip-Hop / Im Kosmos des Poeten – MC Solaar tritt am Donnerstagabend im Casino2000 auf
MC Solaar ist am 10. April um 20.30 Uhr zu Gast im Chapito des Casino 2000 Foto: Romain Garcin

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Einst hat er entscheidend zur Verbreitung und zum Erfolg des Hip-Hop in Frankreich beigetragen. MC Solaar hat nicht nur den Jugendlichen in den Banlieues aus dem Herzen gesprochen, sondern mit seiner Poesie die Grenzen der französischen Vorstädte und des Landes überschritten. Sein „Rap poétique“ hat neue Maßstäbe gesetzt.

Zwei Schallplatten haben innerhalb weniger Monate meine musikalischen Hörgewohnheiten geprägt: „Nevermind“ von Nirvana und „Qui sème le vent, récolte le tempo“ von MC Solaar. Beide erschienen 1991. Während das erste Album die Rockmusik jener Zeit entscheidend prägte, führte das zweite zumindest in Frankreich zu einer Neuerung im Hip-Hop, der damals noch keine Massenbewegung war. Zuvor hatte sich in den USA mit dem Conscious Rap ein Gegenpol zum Gangsta- und Battle-Rap eine Stilrichtung entwickelt, die politischer und gesellschaftskritischer war. Sie setzte sich in ihren Inhalten stärker mit sozialen Missständen und strukturellen Problemen wie z.B. Rassismus auseinander und versuchte ein kritisches Bewusstsein („consciousness“) zu schaffen.

In Frankreich war MC Solaar, neben IAM aus Marseille und Suprême aus Saint-Denis, der erste kommerziell erfolgreiche Rapper, gleich mit seinem ersten Album erfolgreich und äußerte sich im Sinne des Conscious Rap gesellschaftskritisch. Die Street Credibility war ihm nicht abzusprechen. Mit seinen Texten versuchte er die Banlieue-Jugend aus der täglichen Tristesse zu reißen. Er hatte mit Schulfreunden die Gruppe „The 501 Special Force“ gegründet, die inmitten einer von Rassismus, Drogen und Gewalt geprägten Umgebung eine optimistische Botschaft verkündete. Viele Erlebnisse, die MC Solaar mit anderen Jugendlichen aus der Banlieue teilte, flossen in seine Texte ein.

Der unter dem bürgerlichen Namen Claude M‘Barali 1969 als Kind von Eltern aus dem Tschad in der senegalesischen Hauptstadt Dakar geborene MC Solaar verbrachte seine Kindheit und Jugend in der südlichen Pariser Vorstadt Villeneuve St-Georges, die damals zunehmend von Bandenkriegen und Überfällen geprägt war. Claude MC, wie er sich auch nannte, hatte außerdem einige rassistische Erfahrungen gemacht, etwa wenn er wegen seiner Hautfarbe von Taxifahrern nicht mitgenommen, in Cafés nicht bedient oder auf der Straße mit Bierflaschen beworfen wurde. Diese und ähnliche Erlebnisse verarbeitete er in seinen Songs. Was ihn bis heute auszeichnet, ist die hohe literarische Qualität seiner Texte. MC Solaars Werk kann mit Fug und Recht als „Rap poétique“ bezeichnet werden. Seine Lautmalerei, Wortspiele und Alliterationen zeichnen sein Werk bis heute besonders aus. Mit „Qui sème le vent, récolte le tempo“ hatte er gleich einen Riesenerfolg und verhalf dem französischen Rap weltweit zum Durchbruch. 

Ich konnte mich nur auf die Erfahrungen der Konzerte oder auf mich selbst verlassen

MC Solaar

In jener Zeit gab es in den französischen Städten nicht selten blutige Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen aus den Banlieues und der Polizei. Um dazu Stellung zu nehmen, benutzte MC Solaar seine Worte als Waffe. Mit den Anteilen von den Gewinnen aus Konzerten und Platten finanzierte er junge, noch unbekannte Talente. Rap wurde zunehmend zum Mittel der Kommunikation der Banlieue-Jugend – und MC Solaar ihr „Ziehvater“. Zwar wirkten die Texte auf den ersten Eindruck nicht sehr politisch, aber sein zweites Album „Prose combat“ (1994) zeigte zumindest die Richtung an, in die es gehen sollte. In einem Interview bedauerte der Künstler, er habe durch die Tourneen den direkten Bezug zum lokalen Geschehen verloren. „Ich konnte mich nur auf die Erfahrungen der Konzerte oder auf mich selbst verlassen“, bekannte er. „Ich musste also weiter zurück, in die Zeit, in der ich klein war, um Wege in meinen Geschichten zu finden.“ Beim Entstehen des zweiten Albums habe er sich mehr Gedanken darüber gemacht, wie die Texte vom Publikum aufgenommen würden. Während aus dem ersten übrigens die Singles „Caroline“, „Bouge de là“, „Victime de la mode“ sowie der Titelsong stammten, war aus dem zweiten u.a.die Single „Nouveau Western“ bekannt.

Die Gewalt der Vorstädte

Für die französische Hip-Hop-Kultur von Bedeutung war der Film „La Haine“ von Mathieu Kassovitz aus dem Jahr 1995, der in der Pariser Banlieue Chanteloup-les-Vignes spielt. Er war von einem realen Ereignis inspiriert: 1993 war ein 16-Jähriger während eines Verhörs auf einem Polizeirevier von einem Polizisten durch einen Schuss in die Schläfe getötet worden. Der Jugendliche war zu diesem Zeitpunkt mit Handschellen an einen Heizkörper gefesselt. Sein Tod hatte Krawalle in den Vorstädten zur Folge. Am Anfang des Films sind Ausschnitte aus echten Videos von den Ausschreitungen zu sehen. MC Solaar lieferte einen Song für den Soundtrack: „Comme dans un film de John Woo / Ra-ta-ta-ta ou bien fout du voudou / Une balle dans le corps, un homme est bien mort / Les colleurs d’affiches se fichent du fait qu’on le commémore.“

Das dritte Album „Paradisiaque“ folgte 1997 mit dem Hit „Gangster moderne“. Einmal mehr ist die häufig vorkommende „poetisch-reflexive Aktivität“ bemerkenswert, wie es die Autoren George Lapassade und Philippe Rousselot in ihrem Buch über Rap nennen: Der Künstler spricht über den Entstehungsprozess eines Songs. Diese eigentlich nur im Rap vorkommende Gleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption ist bei MC Solaar stark ausgeprägt und verleiht seinen Songs einen besondere Lebendigkeit: „Balancer des rafales de balles vocales n’est pas un problème.“ MC Solaar sieht sich als Bastler, Rap ist für ihn ein „genre de bricolage“. Er sagt: „On manipule les mots, on crée de beaux mots, on essaie de faire des assonances.“ Doch im Vergleich zu vielen Rappern, die sich als „bricoleur vocal“ oder gar Architekt der Sprache verstehen, ist ihm noch mehr die Meisterschaft der Poesie eigen.

In den USA gilt er seit jeher als „chouchou du french-speaking rap“, der mit Sprachfiguren und Metaphern jongliert, wie etwa in der unglücklich endenden Liebesgeschichte aus „Caroline“, in dem es heißt: „Elle était ma drogue, ma dope, ma coke, mon crack, mon amphétamine, Caroline.“ Seine Texte zeugen von einem großen Wortschatz und einer nicht minder großen poetischen Kreativität. Der Meister der Lautmalerei schreckt auch nicht vor Kalauern zurück. Nach dem Album „MC Solaar“ (1997) brachte ihm im Februar 2001 „Cinquième As“ – mit Stücken wie „Solaar pleure“ und „Hasta la Vista“, seinem ersten Nummer-eins-Hit  – einen Riesenerfolg in Form von Platin ein.

Triptychon des Hip-Hop

Im französischen Hip-Hop dominierte generell die Lebenswelt der Banlieue und wurden Geschichten von Drogen, Kriminalität und Rassismus erzählt, wurden seine Protagonisten von Vertretern der Staatsgewalt häufig als Rädelsführer der Aufstände in den Ghettos betrachtet: Kool Shen und Joey Starr von  Suprême NTM aus Saint-Denis etwa wurden zu Geld- und Haftstrafen verurteilt, weil sie angeblich zur Gewalt aufgerufen hatten. 2005, als einmal mehr die Banlieues brannten und der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy sich als Law-and-Order-Mann profilierte, wurden Rufe nach Zensur laut.

Der rappende Dichter: MC Solaar
Der rappende Dichter: MC Solaar Foto: Romain Garcin

Auch wenn der französische Hip-Hop heute zum Teil Mainstream geworden ist, hat er seinen Stellenwert als Ausdruck der Banlieue nicht eingebüßt. Derweil ist MC Solaar weiter seinen eigenen Weg gegangen. Nach „Mach 6“ (2003) und „Chapitre 7“ (2007) legte er eine Pause ein, in der er weniger auftrat, bevor er mit seinem nächsten Album „Géopoétique“ (2017) erneut Platin erhielt. Für seine Trilogie „Triptyque“ – „Lueurs célestes“, „Eclats cosmiques“ und „Balade astrale“, allesamt 2024 erschienen – hat er nach fünf Millionen verkauften Alben und schließlich nach sieben Jahren Albumpause sprachlich wie gewohnt experimentiert, mit poetischen Texten und dem bekannten Storytelling. Auch wenn es dem heute 56-Jährigen nun mehr um einfache Dinge geht, wie etwa in „Okay“, als um Brennpunktthemen und Politik, ist er wieder zu großer Form aufgelaufen. Der Sound passt wie eh und je, sehr eingängig und mit einer gehörigen Portion Drum’n’Bass. Der Pionier des französischen Rap ist zurück. Von der Intelligenzia geliebt und von anderen der Anbiederung an das „System“ beschuldigt, ist er unbeirrbar der geblieben, der immer war: der Poet der Vorstadt.