Interview„Ich bin nicht so zartbesaitet, wie manche meinen“ – Paulette Lenert will die LSAP zum Wahlsieg führen

Interview / „Ich bin nicht so zartbesaitet, wie manche meinen“ – Paulette Lenert will die LSAP zum Wahlsieg führen
„Das gehört zum Leben dazu“: Paulette Lenert will die LSAP in die kommenden Wahlen führen Foto: Editpress/Tania Feller

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Paulette Lenert will LSAP-Spitzenkandidatin werden. Das hat die Gesundheitsministerin am Freitag öffentlich verkündet. Das Tageblatt hat sich mit der Hoffnungsträgerin der LSAP unterhalten.

Tageblatt: 2019, da waren Sie ein knappes Jahr Ministerin, zweifelten Sie in einem Gespräch mit dem Tageblatt daran, ob Sie jemals eine richtige Politikerin sein würden. Jetzt wollen Sie als Spitzenkandidatin für die LSAP in die Wahlen gehen. Wie wurden Sie zu der Politikerin, die Sie jetzt offensichtlich sind?

Paulette Lenert: Ich habe über längere Zeit ein politisches Amt während einer Krise besetzt. Das habe ich überlebt – und finde mich in dieser Rolle wieder, tue es gerne und will das auch weitermachen, gerade in diesen Zeiten. 

Zwischendurch war das nicht immer so?

Am Anfang weiß man nicht: Wie gehe ich damit um, wenn ich in der Weise in der Öffentlichkeit stehe? Als Politikerin, aber auch im Privatleben. Während der Corona-Krise habe ich mir diese Frage oft gestellt. Das waren sehr stressige Zeiten. Inzwischen kann ich darauf zurückblicken.  

Welche Eigenschaften braucht es, um dem Druck standzuhalten?

Wenn ich aufzählen soll, würde ich sagen: ein klarer Kopf in der Dauer; auf Distanz gehen können, was eine Fähigkeit ist, die ich mir erst aufbauen musste; Teamfähigkeit, um konsensfähig zu bleiben. Ich kam von heute auf morgen in die Politik und mir war selber nicht klar, ob ich dem gewachsen bin. Ich habe mich, wenn ich zurückblicke, selten in so kurzer Zeit so weiterentwickelt gegenüber mir selber. Ich kriege das jetzt hin, Schlaf finden, abends abschalten. Ich habe meinen Weg gefunden. 

Sie wollen Spitzenkandidatin werden, und das als LSAP-Politikerin …

Das stand auch nie zur Debatte.

Trotzdem gibt es Leute, die nicht erkennen, wofür sie politisch stehen, und vielleicht den sogenannten Stallgeruch vermissen. In Umfragen erzielen Sie aber blendende Ergebnisse. Was ist vorteilhafter in der Politik – eine ganz klare Identität oder eine möglichst große Projektionsfläche?

Es ist nicht das eine oder das andere. Da ich aus dem Nichts heraus und nur in einer Rolle bekannt wurde, gab es, anders als bei Leuten, die in der Partei groß wurden, keine Geschichte zu mir. Bislang hatte ich nicht viele Gelegenheiten, mich zu anderen Themen zu äußern. Aber das kommt ja jetzt. 

Sie gehen in diese Wahlen, um sie zu gewinnen. Sie wären dann die erste Premierministerin Luxemburgs. Fühlen Sie dabei eine besondere Verantwortung gegenüber den Frauen in Luxemburg?

 Foto: Editpress/Tania Feller

Sollte mir diese Chance gegeben werden, aber auch als große Herausforderung. Gerade als Frau spüre ich die Verantwortung, niemanden zu enttäuschen, der Hoffnungen darauf setzt. 

Was ist denn eine feministische Politik für Sie?

Feminismus ist Gleichstellung, und das Fundament von Gerechtigkeit besteht darin, dass jeder Mensch dieselben Chancen bekommt. Da haben wir noch einen langen Weg vor uns. Trotzdem will ich daran erinnern, dass meine Partei mir noch offiziell das Vertrauen aussprechen muss. 

Die Partei muss Sie in der Tat noch zur Spitzenkandidatin küren, aber es wäre doch sehr verwunderlich, wenn es nicht dazu käme, oder?

Ich wurde oft gefragt, ob ich bereit wäre. Das bin ich, da sind wir jetzt. Dem Rest will ich nicht vorgreifen.  

Wird es bei den kommenden Wahlen eine Doppelspitze für die LSAP geben?

Das ist nicht meine Entscheidung, sondern die der Partei.

Und was hat die LSAP entschieden?

Der Vorschlag der Partei wird der einer Einzelspitze sein.

Und falls es nach den Wahlen nicht das Staatsministerium würde?

Dann würde ich am liebsten in der „Santé“ weitermachen. Manchmal habe ich das Gefühl, nicht weit genug gekommen zu sein. Die Pandemie hat viele Dossiers während zwei Jahren komplett ausgebremst. Das wird schnell vergessen, aber mit der Pandemie mussten wir hier alles andere stehen und liegen lassen. Demnach gibt es Handlungsbedarf und deswegen lasse ich das nicht gerne los. Das ist ein frustrierendes Gefühl. Der „Plan National Santé“ wird einen Ausblick bieten. Aber von den Projekten, die laufen, sind wir froh, wenn wir sie überhaupt noch durch den Staatsrat bekommen. Aus Erfahrung weiß ich, dass ich mich für viele Themen begeistern kann. Vor zehn Jahren hätte ich auch nicht gedacht, dass ich einmal Gesundheit mache. 

Sie gelten als Dossier-Mensch. Als Spitzenkandidatin muss man aber auch Meinungen zu vielen Themen haben. Wie stehen Sie zum Beispiel zur Arbeitszeitverkürzung?

Ich wollte nur kurz zu Ihrem Aber-Auch sagen: Von mir wird immer gesagt, ich sei ein Dossier-Mensch – aber die Voraussetzung, um eine Meinung zu haben, ist nun einmal, das Dossier zu kennen. 

Haben Sie sich denn in das Thema Arbeitszeitverkürzung eingearbeitet?

In den letzten Wochen, ja. Das Thema ist vielschichtig. Von mir wird es zu diesem Zeitpunkt keine pauschale Aussage dazu geben, dass ich jetzt dagegen oder dafür wäre. Viele unserer Probleme sind verbunden mit unserer Work-Life-Balance. Menschen werden krank bei zu viel Stress. Demnach muss man sich mit diesem Thema auseinandersetzen, aber in der Tiefe. Deswegen hat das Arbeitsministerium eine Studie in Auftrag gegeben. Bevor ich mich definitiv zu dem Thema äußere, warte ich die Ergebnisse ab. 

Der Dossier-Mensch also.

Ich bilde mir meine Meinung nicht gerne aus dem Bauch heraus. Manchmal habe ich die, aber damit liege ich nicht immer richtig. In der Diskussion um die Impfpflicht wurde ich als verhalten dargestellt. Als Zögerer. Letztendlich sagte ich damals nichts anderes, als dass man sich das genau anschauen müsse. Als wir die Fakten zusammen hatten, was das statistisch bringt, mussten andere ihre Meinung wieder ändern. Auf manche wirke ich vielleicht zögerlich, ich sehe es als meine Art und Weise, mir eine Meinung zu bilden, die, wenn ich sie habe, dann möglichst auch richtig sitzt. 

Während der Pandemie haben Sie sehr eng mit Premier Xavier Bettel zusammengearbeitet …

Auch jetzt noch. 

 … aber damals hat er Sie in schwierigen, stressigen Zeiten gestützt. Nun wird er zu einem der Hauptkonkurrenten im anstehenden Wahlkampf?

Ich ziehe das Wort Kampagne vor. Die Kampf-Terminologie finde ich problematisch. Demokratien zeichnen sich durch ein Miteinander aus. Wir müssen alle Partner finden und je mehr man mit seinen Ideen übereinstimmt, umso begrüßenswerter ist das. Xavier Bettel und ich werden uns unterscheiden durch die Programme unserer Parteien. Die stehen noch nicht. Ich habe nicht vor, mein Verhalten gegenüber einer Person wegen der Politik zu verändern. Ich glaube auch nicht, dass die Menschen das erwarten. Als Regierung stehen wir in der Verpflichtung, einen Konsens und Lösungen zu finden.  

Jeder hat seine Meinung. Für Xavier Bettel ist die Arbeitszeitverkürzung ein No-Go. Das sehe ich anders.

Erste Spitzen wurden aber bereits jetzt verteilt, etwa von Xavier Bettel bei seinem Neujahrsinterview. Wann werden Sie in die Offensive gehen?

Ich gehe in die Offensive, wenn die Programme vorgestellt werden. Dann verteidige ich unsere Punkte. Einen Hahnenkampf werde ich nicht lostreten, so funktioniere ich nicht. Aber jeder hat seine Meinung. Für Xavier Bettel ist die Arbeitszeitverkürzung ein No-Go. Das sehe ich anders. Das Thema gehört auf den Tisch. Deswegen wurde die Studie in Auftrag gegeben. 

Aber Xavier Bettel weiß doch ebenso von dieser Studie, immerhin kommt sie von der Regierung.

Selbstverständlich weiß Xavier Bettel von dieser Studie. Er hat da als Politiker gesprochen, das ist seine Wahl. Als einen Angriff habe ich das trotzdem nicht empfunden. So wissen die Leute, wo sie mit Xavier Bettel bei dem Thema dran sind. Als Regierung stehen wir hinter dieser Studie. Die wird schließlich mit Steuergeldern finanziert.  

In welchem Bezirk wollen sie antreten?

Am liebsten hätte ich keine Bezirke, mich stört das seit jeher. Ob ich das in unser Wahlprogramm reinbekomme, mal schauen, aber das ist meine Meinung dazu. Ich werde mich dafür starkmachen. Aber ich stehe zu meinem Bezirk und wäre bereit, im Osten anzutreten. Ich bin von dort, bin aus dem Bezirk heraus in die Regierung gekommen. Da macht es für mich Sinn, wieder dort zu kandidieren. 

Ist das größte Versäumnis dieser Regierung, dass es keine Steuerreform gab?

Das Urteil finde ich etwas zu streng. Inflation, Krieg, niemand weiß, wie das genau weitergeht, und das erschwert solche Vorhaben erheblich.  

Sie wurde aber mit großem Tamtam angekündigt, ohne Resultat. Bis zu den Wahlen im Oktober kommt da nichts mehr, oder?

Wir arbeiten weiter daran, die Arbeitsgruppe gibt es noch. Als LSAP haben wir einen Vorschlag gemacht, sind uns aber nicht einig mit unseren Koalitionspartnern. Ich gehe davon aus, dass Gegenvorschläge kommen werden. Einige wollten eine Steuerreform, bei der keiner etwas verliert. Aber wie soll das funktionieren? Wie viel Wachstum bräuchten wir dann? Ich weiß nicht, ob das dem Land zuzumuten wäre. 

Xavier Bettel sagte mit Blick auf den LSAP-Vorschlag zu einer Steuerreform, das sei mit einer DP nicht machbar. Kann das dann wieder ein Koalitionspartner sein?

Das wurde in der Form nie gesagt. Grundsätzlich ist jeder überzeugt, dass etwas passieren muss.

Wer würde oder müsste denn in dem Szenario verlieren?

Verlieren ist nicht das richtige Wort. Der Spitzensteuersatz müsste erhöht werden, weitere Steuertranchen hinzukommen. Der Index spielt bis in die höchsten Gehaltsklassen und treibt die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander – auch wenn der Index vor allem darauf abzielt, den Verlust der Kaufkraft auszugleichen. 

Deshalb haben sie auch noch einmal den gedeckelten Index ins Spiel gebracht?

Der Index lässt die oberen Gehälter stärker wachsen als die unteren. Das ist eine Sache der Mathematik. Wenn man das nicht mit Steuern ausgleicht, hat man ein Problem. Idealerweise müsste man eine Steuerreform einführen, bei der der Index normal weiterlaufen kann und die Steuertabelle in regelmäßigen Abständen so angepasst wird, dass die Gelder auch sozial gerecht umverteilt werden. Wir sollten den sozialen Frieden, den wir im Land haben, nicht aufs Spiel setzen. Um dem entgegenzuwirken, sind die Steuern, und nicht der Index, das richtige Instrument.  

Ich bilde mir meine Meinung nicht gerne aus dem Bauch heraus. Manchmal habe ich die, aber damit liege ich nicht immer richtig.

Während der Pandemie wurden Sie auch von der CSV scharf attackiert – und das in einer Extremsituation. Kann man das verzeihen und dann auch wieder zusammenarbeiten?

Persönliches und Berufliches gehören getrennt. Ich habe meine Erfahrungen gemacht und gelernt, das wegzustecken. Von den EU-Gesundheitsministern, die ihre Länder durch die Pandemie geführt haben, sind nur noch der maltesische und ich übrig. Ich bin nicht so zartbesaitet, wie manche meinen. 

Gab es denn Momente, in denen Sie am liebsten aufgehört hätten?

Solche Momente gab es einige. Aber das legt sich recht schnell wieder. Solche Momente erlebt jeder. Das gehört zum Leben dazu.  

Paulette Lenert im Gespräch mit den Tageblatt-Journalisten Armand Back und Sidney Wiltgen
Paulette Lenert im Gespräch mit den Tageblatt-Journalisten Armand Back und Sidney Wiltgen Foto: Editpress/Tania Feller

Der LCGB hat ihre Gesundheitspolitik zuletzt mit Planwirtschaft verglichen. Ein Lob für eine sozialistische Gesundheitsministerin?

Wir haben keine Planwirtschaft, sondern eine liberale Medizin. Das ist eine populistische Besetzung des Wortes, wie auch die AMMD ihn schon gebraucht hat. Die, die ihn so gebrauchen, meinen doch eigentlich ein verstaubtes Gesundheitssystem. Für mich persönlich ist Planen nichts Negatives. Die öffentlichen Gelder sollen gezielt dort hinfließen, wo sie gebraucht werden, und dafür braucht es Regeln. Ich bin die Letzte, die für eine komplette Verstaatlichung plädiert.  

„So ist das manchmal im Leben“ – das Tageblatt-Porträt von Paulette Lenert aus unserem Archiv

Paulette Lenert war im Dezember 2018 der Überraschungsgast in der Regierung Bettel II. Dabei galt die ehemalige Richterin bereits seit längerem als potenzielle Ministerkandidatin in ihrer LSAP. Eine Annäherung an eine Frau, die nach einem knappen Jahr im Amt noch etwas im Hintergrund steht – der viele aber den ganz großen Durchbruch zutrauen.
Hier geht es zum Porträt vom September 2019.

Eines der Vorzeigeprojekte der jetzigen Legislaturperiode ist die Cannabis-Legalisierung. Entspricht das Ihrer Vorstellung von sozialistischer Gesundheitspolitik?

Die Drogenpolitik der vergangenen 50 Jahre ist gescheitert. Wir müssen neue Wege gehen. Reine Repression hat versagt, Drogen werden immer mehr und auch schon in jüngeren Jahren konsumiert. Wir haben auch Zigaretten und Alkohol nicht aus dem Verkehr gezogen. Ich kann keine Verbesserung garantieren mit dem, was wir heute vorschlagen. Aber es gibt genügend Anhaltspunkte, dass dem so ist – und deshalb tun wir das. Das hat dann einen experimentellen Charakter, was ja jetzt von verschiedenen Seiten ins Lächerliche gezogen wird.

Es wird aber nicht nur ins Lächerliche gezogen, es wird auch kritisiert. Zum Beispiel, dass die Reform keine staatliche Garantie auf ein sauberes Produkt liefert und eher halbherzig daherkommt.

Wir stellten im Laufe der Arbeiten fest, dass es legislativ sehr aufwendig ist. Also entschieden wir uns, einen ersten Zwischenschritt zu gehen. Das bedeutet nicht, dass nichts nachkommt. Auch im medizinischen Bereich, wo die Nachfrage sehr groß ist, wollen wir vorankommen. Wir arbeiten weiterhin an dem, was ursprünglich angedacht wurde.  

Sie haben sich intensiv mit der Cannabis-Legalisierung befasst. Haben Sie überhaupt selber mal Cannabis geraucht?

Ja, aber das ist lange her und fällt in die Kategorie vom jugendlichen Leichtsinn. Das war nicht mein Ding.