Hürden im Alltag: Luxemburgs Weg in die Barrierefreiheit ist kein einfacher

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Trotz Absichtserklärungen tut sich Luxemburg noch immer schwer mit der Barrierefreiheit. Vor acht Jahren hatte das Land bereits das diesbezügliche UN-Abkommen unterschrieben. Ein passendes Gesetz wurde jedoch noch nicht verabschiedet.

Von Lynn Wolff

Eine Baustelle mitten auf dem Fußgängerweg. Ungesichert. Die meisten unter uns checken durch einen Links-rechts-Blick die Situation, umgehen das Hindernis und schlendern dann in Gedanken weiter über die Straße. Ist das Sehvermögen jedoch eingeschränkt oder gar nicht mehr vorhanden, wird so eine Situation schnell gefährlich.

Als blind gelten all die Personen, deren visuelle Wahrnehmungsfähigkeit auf dem besten Auge geringer als fünf Prozent oder deren Gesichtsfeld kleiner als zehn Grad ist. Der Escher Claude Millang ist seit 20 Jahren blind: „Ich kann durch Esch spazieren und Ihnen jederzeit sagen, in welcher Straße wir stehen. Außerhalb von Esch ist diese Realität jedoch nicht mehr wahr.“

Um ein autonomes Leben außerhalb seiner vier Wände zu führen, sind einige Hilfestellungen nötig. Neben der Nutzung eines Blindenstocks und der bestehenden Möglichkeit, einen Blindenführhund zu adoptieren, hilft besonders ein Leitliniensystem, um sich im öffentlichen Verkehr zu orientieren. Das Blindenleitsystem besteht aus Leitstreifen und Aufmerksamkeitsfeldern und dient dazu, Hindernisse sowie beispielsweise Ein- und Ausgänge an Bushaltestellen zu markieren.

Claude Millang reist gerne durch die Welt. Auf die Nachfrage hin, welches Land für ihn am barrierefreiesten ist, nennt der Escher ein Land aus dem Fernen Osten: „Die Japaner sind vorbildlich. Selbst in den kleinsten Dörfern sind Leitlinien auf dem Boden. Sogar auf den Fähren.“ Etwas, das Luxemburg bisher nicht geschafft hat.

So wurde erst kürzlich das Shared-Space-Konzept in Düdelingen umgesetzt. Ein Platz für jedermann, und das mitten im Zentrum der Stadt. Nur die Leitlinien, die zur Orientierung der Blinden dienen, fehlen. Auch in dem hypermodernen Bahnhof in Belval ist das Anbringen eines Leitliniensystems nicht sehr geschickt verlaufen – denn die entsprechenden Markierungssteine hören ab einem gewissen Punkt ohne Grund auf. Selbst bei François Bauschs Tram-Projekt hat man sich nicht genügend mit der Problematik der Behinderung auseinandergesetzt. „Ich könnte stets weitermachen, Anekdoten zu erzählen“, seufzt Millang.

UN-Konvention

Die Vereinten Nationen haben 2006 die Rechte von Menschen mit Behinderung in einem Abkommen festgelegt. Artikel neun der Konvention beschäftigt sich mit dem Thema der Zugänglichkeit: „Menschen mit Behinderung müssen unabhängig leben können. Sie müssen frei über ihr Leben entscheiden können. Sie müssen dieselben Rechte haben wie Menschen ohne Behinderungen.“

Unter anderem müssen UNO-Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Menschen mit Behinderung auf gleicher Basis wie andere Zugang zu öffentlichen Gebäuden, Einrichtungen und Diensten, als auch Transport und Informationen, haben.

Im Jahr 2007 hatte Luxemburg beschlossen, die Behindertenkonvention zu unterzeichnen. Vier Jahre später, 2011, reichte das Großherzogtum das Ratifizierungsdokument ein und ist seither dazu verpflichtet, Maßnahmen in die Wege zu leiten, um den UN-Vereinbarungen gerecht zu werden.

Gesetzentwurf

„Wir arbeiten im Moment an dem Gesetzestext über die Zugänglichkeit von Gebäuden. Dieser soll im Grunde genommen der große Wurf werden im Bereich Behinderung für diese Legislaturperiode. Wir hoffen, so schnell wie möglich!“ So äußerte sich Familienministerin Corinne Cahen schon 2016 gegenüber Forum.

Zwei weitere Jahre verstrichen, bis der Gesetzentwurf im Juli 2018 bei der Abgeordnetenkammer eingereicht wurde. Die bestehende Problematik ist dem Ministerium bekannt, deshalb soll nun progressiv daran gearbeitet werden. Seit der Annahme der UN-Konvention wird an dem Gesetzesentwurf gefeilt. So wurden die verschiedenen Meinungen von Ponts-et-Chaussées, Architekten und Organisationen für Menschen mit Behinderung eingeholt.

Das Gesetzesprojekt sieht vor, die Barrieren für Behinderte im Raum Luxemburg zu beseitigen. In Zukunft soll es Personen mit jeglicher Art von Behinderung möglich sein, Zugang zu öffentlichen und bestimmten privaten Gebäuden zu haben. Das betrifft beispielsweise Eigentümer von Geschäften. Bemühen sich die Eigentümer, den Umbau gleich in den ersten Jahren zu realisieren, wird dieser vom Staat subventioniert. Eine Strafe droht denjenigen Eigentümern, die einem Umbau innerhalb von zehn Jahren nicht zustimmen.

Hauptsächlich soll in Zukunft beim Planen von neuen Gebäuden darauf geachtet werden, barrierefrei zu bauen. Des Weiteren sollen die öffentlichen Straßen behindertengerecht gestaltet werden – so wird denn auch das Leitliniensystem auf den Luxemburger Straßen ausgebaut.

Auch Claude Millang setzt große Hoffnungen in den neuen Gesetzentwurf: „Es ist nicht nur für Blinde und Rollstuhlfahrer. Jeder profitiert von einem barrierefreien Luxemburg. Auch ältere Menschen und Personen mit einer vorübergehenden Behinderung.“

Allerdings: Wenn die Annahme des Gesetzesprojekts genauso lange auf sich warten lässt wie dessen Ausarbeitung, muss sich Luxemburg noch weitere sieben Jahre in Geduld üben in der Hoffnung auf eine barrierefreie Infrastruktur.


Chamber-Umbau

In der Sommerpause wird die Abgeordnetenkammer auf „Krautmaart“ behindertengerecht umgebaut. Es wird besonders viel Wert darauf gelegt, dass das Rednerpult mobiler wird.
Zudem werden die Bänke um einige Zentimeter verschoben, um so beispielsweise Rollstuhlfahrern einen besseren Zugang zu ermöglichen.


Access City Award

Es wird erwartet, dass 2020 etwa 120 Millionen Menschen mit Behinderung in der EU leben. Zudem steigt die Lebenserwartung der Einwohner Europas. Eines der Hauptanliegen der EU ist die Förderung der Gleichberechtigung und Zugänglichkeit.
Der Access City Award ist eine Initiative, mit der jene Städte gewürdigt werden, die für eine bessere Zugänglichkeit ihrer Bürger sorgen. Sie fördert den gleichberechtigten Zugang von Menschen mit Behinderungen zum städtischen Leben. 2016 erhielt Mailand die Auszeichnung und im vergangenen Jahr die britische Stadt Chester.