„Houer Bieren“ – Wie Vincenzo Spada im Jahr 1931 aus Italien in die „Cité du Fer“ kam

„Houer Bieren“ – Wie Vincenzo Spada im Jahr 1931 aus Italien in die „Cité du Fer“ kam

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Im Zuge der Hundertjahrfeier von Differdingen kam ein Gespräch mit Vincenzo Spada zustande. Der mittlerweile verstorbene Spada wurde 1922 in Italien geboren und kam 1931 im Alter von neun Jahren nach Differdingen. Er erzählt von damals.

Von unserem Korrespondenten Roby Fleischhauer

„Ich habe meine Großeltern in Italien nicht gekannt. Mein Vater war nämlich ein Findelkind. Auch an ihn kann ich mich vor meinem neunten Lebensjahr nicht erinnern. Er war nämlich bereits im Jahr 1926 nach Frankreich gezogen, um dort Arbeit zu suchen. Ehe mein Vater fortgezogen war, hat er als Tagelöhner in unserem Dorf gearbeitet“, sagt Vincenzo Spada.

Das Dorf hieß Patatuk und zählte nur drei Häuser. Es lag bei Montorio al Vomano in den Abruzzen. Sein Vater besaß ein kleines Stück Land, das jedoch nicht reichte, um eine Familie zu ernähren. Seine Mutter arbeitete bei einem Landwirt, der hauptsächlich Wein produzierte. „Da holten wir unseren Wein, den wir auch schon als Kinder tranken. Ich habe auch die Schule kurzzeitig besucht. Da gingen wir hin, wenn wir Zeit hatten. Der Schulbesuch war ja noch nicht obligatorisch“, erinnert sich Vincenzo.

Wasser vom Brunnen, Licht von der Karbidlampe

„Als wir nach Differdingen kamen, konnte ich weder lesen noch schreiben. Ich war neun Jahre alt, als wir hier ankamen. Mein Vater hat uns in Bettemburg am Bahnhof abgeholt.“ Es war das erste Mal, dass er ihn sah. „Er war ja die meiste Zeit fort auf Arbeit.“ Das war im Jahr 1931. Mit seiner Mutter und seiner Schwester zogen sie zum Vater nach Differdingen, in ein Hinterhaus der rue Roosevelt. In dem Haus wohnten noch viele andere Italiener. „Ich erinnere mich an Namen wie Del Toe, Caligo, Calvisi. Mit deren Kindern konnte ich gut spielen.“

Im Hause selbst gab es noch keinen Strom und kein fließend Wasser. „Das Wasser holten wir am Brunnen hinter dem Haus. Da wurde auch gewaschen.“ Die Beleuchtung im Haus bestand aus Karbidlampen. „Unsere Wohnung hatte drei Zimmer. Eines davon hatte ein Fenster zur Spitalmauer hin, sodass das Zimmer permanent dunkel war. Es war unsere Küche, in der tagsüber beständig eine Karbidlampe brennen musste.“

Später wohnten sie in der Bergstraße. Auch hier gab es kein Wasser. Das WC befand sich hinter dem Haus. Sein Vater arbeitete zu der Zeit im „Thillebierg“. Später wurde er Bergarbeiter auf dem „Rollesbierg“. Da konnte er von der Wohnung aus zu Fuß über einen Pfad zu seiner Arbeitsstelle gelangen. Später wohnten sie dann im „Biereneck“ hinter dem Kino „Mirador“ neben dem Tanzsaal von Forotti.

„Wir Italiener waren die ,Stoussnéckel‘.“

„In Niederkorn habe ich meine erste Kommunion gefeiert und ging da zur Schule. Da ich mit neun Jahren erst hierher angekommen war, wurde ich erst mal im ersten Schuljahr eingeschult. Ich habe kein Wort verstanden. Ich sprach nicht einmal Italienisch.“ Denn im Dorf, aus dem Spada kam, sprach man „Abruzzesisch“, ein Dialekt, der wenig mit dem offiziellen Italienisch gemein hatte. „Ich habe schließlich sechs Jahre Primärschule in Differdingen erfolgreich abgeschlossen. Mein Lieblingsfach war Rechnen. Da war ich gut. Die Sprache habe ich nach und nach erlernt.“ Auch an seinen Lehrer erinnert er sich noch gut. „Der Herr Schoos wohnte in der alten Spitalgasse. Montags, wenn die Red Boys verloren hatten, gab es für uns Schüler nichts zu lachen. Er war ein sehr strenger Lehrer. Wir waren zu 30 in einer Klasse. In jedem Saal gab es zwei Klassen. Wir Italiener waren die ,Stoussnéckel‘ der Klasse.“

Auch später in den Wirtshäusern wurden sie „houer Bieren“ beschimpft. „Wir Italiener hielten uns ziemlich beieinander auf. Besonders im ,Wangert‘ wohnten viele Italiener.“ Sie feiern noch heute den „Wingo“, das Wiedersehen der früheren Bewohner. „Wir hatten auch unsere Cafés: Ich erinnere mich noch an ,Bruno‘ gegenüber der Schule. Die vom Thillenberg trafen sich im Café Wellion. Das Café Bozzola gab es auch damals.“

Ferien vom Konsulat

Die Frauen der Schmelzarbeiter fanden sich alle 14 Tage vor dem Portal ein, um ihre Männer abzuholen, wenn sie ihre „Paitut“ erhalten hatten. Es ging darum, sie davon abzuhalten, den Lohn beim Wirt durchzubringen. Besonders diejenigen, die „am Bierg“ arbeiteten, waren rege Kunden in den Wirtshäusern. Doch sie zahlten ihre Zeche nicht. Es wurde aufgeschrieben und wenn es „Pai“ gab, wurde bezahlt. Dabei ging oft der halbe Lohn drauf. „Auch mein Vater war dabei, was bedeutete, dass bei uns Schmalhans Küchenmeister war“, erinnert sich Spada.

Auch später, als er heiraten wollte, bekam er keinen „Sou“ von seinem Vater. „Ich musste mir die Aussteuer bei Kollegen zusammenleihen. Ich erinnere mich, dass das italienische Konsulat einige Male Ferienaufenthalte für die italienischen Kinder in Cattolica organisierte. Da durfte ich in den Dreißigern auch einmal mitfahren.“

In Differdingen gab es damals noch viele Geschäftshäuser. Da wurde eingekauft. Alle hatten ein Buch. In dem Buch wurden die Einkäufe notiert, und wenn es „Pai“ gab, wurde bezahlt. Oft passierte es, dass danach nichts mehr übrig blieb. Mit dem System hatte man nämlich keine Übersicht. Viele Familien standen nach der Begleichung der Rechnung ohne jedes Mittel für den Rest des Monats da. Es war nämlich zu einfach, in ein Geschäft zu gehen, einzukaufen und nicht gleich zu bezahlen.

Mussolini, „Owesschoul“ und Kegel

„In den Dreißigern hatten wir auch etliche Probleme mit Mussolini und seinen hier ansäßigen Faschisten. Da hat einer den anderen denunziert.“ Das habe sich besonders nach dem Krieg bemerkbar gemacht, als all die, von denen erzählt wurde, sie seien Faschisten gewesen, von den anderen Italienern schikaniert wurden.

Nach der Grundschule ging es für Vincenzo Spada dann direkt ans Geldverdienen: „Mit 14 Jahren musste ich mir eine Arbeit suchen. Ich fand eine Stelle als Kegeljunge im ,Pôle Nord‘ in der Stadt.“ Dort wohnte er dann auch. „Es gab da zwei Kegelbahnen. Meine Arbeit begann morgens um 10 und dauerte bis nach Mitternacht.“ Wegen seiner Arbeit bekam sein Vater irgendwann Ärger mit der Polizei, da er noch zu jung zum Arbeiten war und eigentlich noch die „Owesschoul“ hätte besuchen müssen.

Mit dieser Zeit verbindet er jedoch nicht nur positive Erinnerungen. „Wir Kegeljungen bekamen nicht einmal Trinkgeld, im Gegenteil: Wir wurden beschimpft, besonders wenn wir nicht schnell genug aufgerichtet hatten.“ Sie hatten dann ihre ganz eigene Art, sich zu rächen. „Demjenigen, der uns beschimpft hatte, stellten wir dann einen ,getéitschte‘ Kegel als ,Viischt‘.“ Die arbeitete dann nicht richtig. Bis zum Kriegsausbruch arbeitete Vincenzo anschließend noch zwei Jahre auf der Kegelbahn des Bonneweger Eisenbahner-Casinos.

Harte Arbeit für die Zukunft

Während der Besatzung im Krieg wurde Vincenzo nach Wittlich geschickt, wo die Autobahn von den Deutschen gebaut wurde. Nach dem Krieg half er als Zimmermann die Dächer der zerstörten Häuser im Ösling reparieren. Im Jahr 1948 hatte er das Glück, bei der Hadir (Hochofen und Stahlwerke AG, Differdingen, St. Ingbert, Rümelingen) eingestellt zu werden. Weil er ein starker Mann war, wurde er zum Koksschaufeln eingeteilt.

Auch Manganblöcke musste er zerkleinern, und das alles sonntags „am laangen Tour“, das heißt in einer doppelten Schicht. Es war eine schwere Arbeit. Den Kohlenstaub spuckte er zu Hause noch tagelang aus. Es wurde natürlich im Akkord geschaufelt. Dann kam auch die Geschichte mit dem Schinken.

Es war so üblich, dass man dem Chef von Zeit zu Zeit einen Schinken mitbringen musste. Vincenzo hat sich also einen solchen beim „Balezo“ gekauft und dem Chef geschenkt. Dieser verkaufte ihn dann wieder an den „Balezo“ für das nächste Geschenk. Trotz seiner schweren Arbeit nahm Vincenzo noch Arbeit nebenher an, bis er genug Geld hatte, Material für einen Hausbau zu kaufen. Das errichtete er dann ganz allein im Viertel Fousbann, neben seiner schweren Arbeit in der Schmelz und seinen Nebenbeschäftigungen.