Dienstag4. November 2025

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Leerstand in EschHaus in der rue Dicks: Wo Stadtarchitekt und Kinderärztin Van Hulle wohnten

Leerstand in Esch / Haus in der rue Dicks: Wo Stadtarchitekt und Kinderärztin Van Hulle wohnten
Seit 2011 scheint sich niemand um das Haus 17, rue Dicks in Esch zu kümmern – Schieferplatten drohen vom Dach auf Fußgänger zu fallen Foto: Editpress/Julien Garroy

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Seit 2011 steht ein Haus in der rue Dicks in Esch verlassen. Seine Geschichte ist eng mit der Familie Van Hulle verknüpft. Sie erzählt von einer engagierten Kinderärztin, einem antimonarchistischen Stadtarchitekten – und dem Rätsel um einen Erben, dem sein Nachlass egal scheint.

Die Metallbarrieren vor der Fassade irritieren. Als Absperrung für eine Baustelle dienen sie nicht, denn im Haus an der 17, rue Dicks wird nicht gearbeitet. Seit 2011 steht es leer. Es verströmt eine trostlose, fast gespenstische Tristesse. Ein weiteres Beispiel für den Leerstand in der Minettemetropole. Der Besitzer scheint sich nicht um die Immobilie zu kümmern. Das behauptet zumindest Guy van Hulle, 75, der Onkel des Eigentümers.

Van Hulle war seit 1980 Lehrer für Sport und Französisch am Lycée technique in Ettelbrück. Seit Jahren schreibt er sozialkritische Artikel für verschiedene Zeitungen, darunter das Tageblatt. Im Haus an der Dicksstraße wuchs er auf. Von 1949 bis 1959 lebte er dort mit seinen Eltern und seiner Schwester Monique van Hulle, die eine engagierte und beliebte Allgemein- und Kinderärztin in Esch wurde. Mit dem Viertel verbindet er schöne Erinnerungen an Kindheit und Spielkameraden.

Das Haus wirkt imposant. Späte 1930er Jahre, meint Guy van Hulle. Der erste Besitzer, die Familie Schack, sei nicht nur ein wenig deutschfreundlich gewesen, sagt er. Vielleicht erklärt das auch die ungewöhnliche Form des Geländers, das vage an Hakenkreuze erinnert. Nach dem Krieg sei das Gebäude beschlagnahmt worden. Später ging es in den Besitz der Familie Lang über, die es, unter anderem, an die Familie van Hulle vermietete.

Gefahr für Passanten

Anfang der 1980er Jahre kaufte Monique van Hulle das Haus und ließ sich dort nieder. Von 1983 bis 2010 betrieb sie hier ihre Arztpraxis. Heute würde man sich kaum hineintrauen. Risse durchziehen die Fassade, am Dach lösen sich Schieferplatten. Einige seien bereits auf den Gehweg gestürzt, andere drohen nachzufolgen – auf Passanten, auf Kinder, sagt Guy van Hulle. Deshalb die Barrieren. Aber die reichen doch nicht? „Ich habe das einem Anwalt erzählt. Der meinte nur: Dann sei das eben so!“

Das Dach ist undicht, die Feuchtigkeit frisst sich bereits ins Nachbarhaus. Die Nachbarn? Traurig, aber scheinbar resigniert. Stadtarchitekt Luc Everling und viele andere wüssten Bescheid. Doch passiert sei bisher offensichtlich nichts. Und wie sieht es drinnen aus? Noch schlimmer, erzählt Guy van Hulle. „Unter aller Sau. Die Struktur hält sich erstaunlich gut – ein Verdienst der soliden Bausubstanz. Der kleine Garten dahinter ist längst verwildert.“

Monique van Hulle ist 2011 verstorben, das Haus in der rue Dicks und ein anderes in der rue Mathias Koener gingen damals an ihren Sohn über. Aber wo ist sein Neffe? „Er lebt“, sagt Guy van Hulle. „Wo, weiß ich nicht, sicher nicht hier im Haus.“ Es sei einmal polizeilich nach ihm gesucht worden – vergeblich. Ein Brief an die Staatsanwaltschaft blieb ohne Antwort. Doch van Hulle scheint das nicht allzu sehr zu beunruhigen. Eine „disparition inquiétante“ – eine offizielle Vermisstenmeldung bei der Polizei – ist kein Thema.

Und sonst weiß niemand etwas? Vielleicht ein Escher Anwalt, der der Familie nahestand. Dieser habe einmal bestätigt, er habe Kontakt gehabt, halte sich aber bedeckt, so Guy van Hulle. Er selbst habe seinen Neffen zuletzt vor über zehn Jahren gesehen.

Warum aber kümmert sich der Neffe nicht um das Haus?  „Nachlässigkeit? Oder steckt mehr dahinter? Hat jemand ihm geraten, abzuwarten – auf Wertsteigerung zu spekulieren? Möglich wäre es!“

Und wenn der Sohn seiner Schwester nicht mehr zurückkäme? Wenn er tot wäre – oder das Haus einfach nicht mehr wollte? „Meine Frau und ich würden darauf verzichten“, sagt van Hulle. Aber an wen würde das Erbe dann fallen? An den mysteriösen Berater? An die Gemeinde? „Keine Ahnung.“

Eine Frage der Ehre

„Es geht mir um die Ehre meines Vaters, meiner Familie“, so Guy van Hulle. Der Vater war nicht irgendwer. Er war diplomierter Ingenieur, Architekt und Urbanist. Robert van Hulle, 2003 verstorben, war obendrein eine bedeutende Escher Persönlichkeit. Von 1953 bis 1972 war er Stadtarchitekt. Er zeichnet unter anderem für den Bau des Escher Stadttheaters, des Pavillons auf dem Gaalgebierg und für die komplette Renovierung des „Stade de la Frontière“ 1970 in der Hiehl verantwortlich.

Zeitlebens habe er die Monarchie infrage gestellt und sich geweigert, trotz Widerstände und Ordnungsrufen, ihre Legitimität anzuerkennen. Ein echter Sozialist und Republikaner sei sein Vater gewesen, so Guy van Hulle: „Es gibt keine Untertanen, es gibt keine Subjekte und es gibt kein blaues Blut“, sei seine Maxime gewesen.

Als am 26. Mai 1962 das Stadttheater in Präsenz von Großherzogin Charlotte, Staatsminister Werner und Parlamentspräsident Bech offiziell eingeweiht wurde, habe sein Vater nur unter Protest teilgenommen. „Er wollte keinem der hohen Tiere die Hand schütteln.“ Gradlinig und stur, sei er gewesen. Doch er habe immer ein Herz für die Schwächeren in der Gesellschaft gehabt. Guy van Hulle offensichtlich auch – was seinen Neffen anbelangt, dem er nichts Schlechtes wünscht. Helfen möchte er ihm und damit auch dem Haus in der rue Dicks.