OGBLGewerkschaft befürchtet „kalten liberal-konservativen Wind“

OGBL / Gewerkschaft befürchtet „kalten liberal-konservativen Wind“
Der OGBL bezieht Stellung zum Regierungsprogramm: Pitt Bach, Jean-Luc De Matteis, Nora Back, Michelle Cloos, Stefano Araujo, David Angel Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Kaum ist CSV-DP-Regierung gestartet, hat sie schon mit dem Koalitionsprogramm Argwohn und Kritik geerntet. Die neoliberale Ausrichtung, und diese ausgerechnet in Zeiten wachsender sozialer Ungleichheit, weckt nicht zuletzt beim OGBL allerlei Befürchtungen. 

Die größte Gewerkschaft des Landes hatte sich nur kurz Zeit gelassen, um das konservativ-liberale Regierungsprogramm unter die Lupe zu nehmen. Zu offensichtlich waren die Diskrepanzen zwischen der Wertvorstellung des OGBL und der Philosophie der konservativ-liberalen Regierung. „Wir hatten gleich nach den Wahlen vor harten Zeiten gewarnt“, bestätigte OGBL-Präsidentin Nora Back am Freitag eingangs der Pressekonferenz am hauptstädtischen Sitz der Arbeitnehmervertreter in der rue du Fort Neipperg. „In der Tat ist vieles, was in dem Programm angekündigt wird, nicht zufriedenstellend und bereitet uns Sorgen. Es handelt sich um ein liberales bis ultraliberales Programm.“ Etliches sei einfach vom Patronat übernommen worden.

„Zahlreiche Fragen bleiben offen“, so Nora Back weiter. So vieles, dass sie nicht auf alle Punkte eingehen konnte. Zu den Bildungsfragen hat bereits der SEW/OGBL Kritik geübt, unter anderem das Fehlen einer politischen Vision bedauert, und wird noch ausführlich auf die Themen eingehen. Auch das Thema Umwelt wurde gestern vorerst ausgespart. Es soll extra in einer Pressekonferenz behandelt werden.

„Kerngeschäft“ Index

„Wir kommen erst einmal auf unser Kerngeschäft zu sprechen, unsere Hauptthemen“, sagte Nora Back. Und dazu gehört unweigerlich der Index. Zwar hätte es im Wahlkampf ein allgemeines Bekenntnis zum Index-Mechanismus gegeben. Im Widerspruch dazu wies Premierminister Luc Frieden (CSV) in seiner Regierungserklärung darauf hin, dass bei mehr als einer Indextranche pro Jahr die Regierung mit den Sozialpartnern zusammenkommen sollte. „Le système d’indexation sera maintenu sous sa forme“, heißt es im Abkommen. Und weiter: „En cas de déclenchement de plusieurs tranches d’indexation par an, une tripartite sera convoquée pour prendre des mesures, afin de lutter contre la perte du pouvoir d’achat des travailleurs et de veiller au maintien de la compétitivité des entreprises.“ Die OGBL-Präsidentin betonte einmal mehr, dass die Tripartite nicht dazu benutzt werden dürfe, um den Index zu manipulieren. Ein No-Go für die Gewerkschaft. Eine rote Linie.

Auch in Sachen Mindestlohn „sind wir enttäuscht worden“, sagte die Gewerkschaftschefin. Die Regierung habe mitgeteilt, dass die Armutsbekämpfung zu ihren Prioritäten gehöre. Doch im Koalitionsabkommen ist eine Erhöhung des Mindestlohns nicht vorgesehen. Für den OGBL „ein trauriger Score“, so Nora Back, dass ausgerechnet in dem reichen Luxemburg der Anteil der Menschen, die arbeiten und trotzdem arm sind, zu den höchsten in Europa gehöre. Wie die Gewerkschaft bereits mehrfach betont hat, ist Luxemburg „Meister der Eurozone“ in Sachen „working poor“: Das Land nimmt den ersten Platz bei der Armutsgefährdungsquote von Erwerbstätigen ein. Zwar erklärt die Koalition in ihrem Abkommen die „lutte contre la précarité du travail“ und kündigt Maßnahmen an gegen die prekäre Arbeit, im Besonderen die sogenannte Plattformarbeit. Aber sie folge den ultraliberalen Klischees, etwa dass Menschen ohne Arbeit dazu gezwungen werden müssten, zu arbeiten – als wollten sie nicht arbeiten wollen, stellt die Gewerkschaftspräsidentin fest.

„Große Sorgen“ ums Arbeitsrecht

Darüber hinaus bereitet das Kapitel über das Arbeitsrecht den Arbeitnehmervertretern „ganz große Sorgen“. Auch in diesem Bereich scheine künftig „ein kalter, liberal-konservativer Wind“ zu wehen und „die rote Linie überschritten“ zu werden. Angefangen beim Kollektivvertragswesen, das reformiert gehört und gestärkt werden müsse: „Wir brauchen mehr Kollektivverträge“, betonte Nora Back und fügte hinzu: „Und wir brauchen ein besseres Gesetz dafür.“ Die Gewerkschaftspräsidentin erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass laut der europäischen Richtlinie zur Förderung von Tarifverhandlungen 80 Prozent der Löhne im Privatsektor durch Kollektivverträge abgedeckt werden müssen. In ihren Econews Nr. 4 bemängelte die Arbeitnehmerkammer dieses Jahr, dass Luxemburg im internationalen Vergleich nicht besonders gut dastehe: Im Jahr 2018 waren 62 Prozent der Beschäftigten von einem Kollektivvertrag abgedeckt.

OGBL-Präsidentin Nora Back warnt vor „ultraliberalen“ Zeiten
OGBL-Präsidentin Nora Back warnt vor „ultraliberalen“ Zeiten Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

In puncto Arbeitszeitverkürzung sei es das „Worst-Case-Szenario“, was die Regierung vorhabe, befürchtet Nora Back. Das Thema scheint in der Tat momentan vom Tisch zu sein, nachdem in der jüngst verabschiedete Dreierkoalition vor allem Arbeitsminister Georges Engel (LSAP) damit liebäugelte. Eine „Bestandsaufnahme der Herausforderungen und Risiken der Arbeitszeitverkürzung“ vom Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) legte sowohl die Vor- als auch die Nachteile offen. Im europäischen Vergleich liegt Luxemburg laut Eurostat, was die tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten betrifft, mit 38,7 Stunden im unteren Drittel.

Eine negative reine Flexibilisierung der Arbeitsorganisation ganz im Sinne des Patronats befürchtet nun der OGBL. „Alle Errungenschaften, die wir erkämpft haben, werden hier infrage gestellt, bis hin zur Regelung der Arbeitszeiten und der Sonntagsarbeit.“ Hier handele es sich um eine Übernahme des DP-Programms, um eine Schwächung der Gewerkschaften und der Personaldelegationen. Alles in allem durchziehe der liberale Ansatz das gesamte Regierungsprogramm.

„Wir passen auf“

Zum ersten Austausch der Gewerkschaften mit der neuen Regierung wird es am kommenden Donnerstag, 30. November, beim neuen Arbeitsminister Georges Mischo (CSV) kommen. Auch im Kapitel über Steuern gebe es große Differenzen zwischen den Vorstellungen der Gewerkschaften und der Regierung. Viele Versprechen, aber nach mehr Steuergerechtigkeit sehe es nicht aus. Jedenfalls dürfe es nicht zu einer Austeritätspolitik kommen, „wie wir sie um 2012 erlebt haben“, weiß Nora Back. Auf die Frage, ob es für sie überhaupt etwas Positives am Regierungsprogramm gebe, antwortete sie: „Immerhin das Bekenntnis, etwas gegen die kalte Progression zu unternehmen.“ Also gegen die schleichende Steuermehrbelastung.

Auch die regelmäßige Anpassung der „Allocation de vie chère“ und dass mehr für den öffentlichen Wohnungsbau getan werden soll, sei positiv zu werten. Allerdings seien dies vor allem Geschenke für die Bauträger. Weitere Kampfplätze sind vorprogrammiert: etwa im Gesundheitswesen oder im in der Frage um die langfristige Absicherung der Renten, über die es nach Friedens Worten eine breite gesellschaftliche Diskussion geben soll. Über eine Kürzung der Renten und über ein späteres Renteneintrittsalter lässt der OGBL nicht mit sich diskutieren. Er bleibt auf der Hut. Oder wie es Nora Back formulierte: „Wir passen auf.“

Nomi
26. November 2023 - 13.55

2 Prinzipien mussen endlech angefo'uert gin :

1 ). Beitrag zum Sozialsystem an % vum Verdengscht !

2). Ennerstetzung aus dem Sozialsystem : Identeschen Forfait fir ob enger Seit dei' Beduerfteg an ob der aanerer identeschen Forfait fir Jiddereen fir den Index !

carlocoin
25. November 2023 - 21.37

Ich habe vollstes Vetrauen in den OGBL.
Sie waren die Einzigen, die beim OPE mitgeholfen haben.

JJ
25. November 2023 - 9.36

"Fanger ewech vum Index" hieß es in den Siebzigern.Da gab es noch keine Nora Back. Alles wiederholt sich.Regierungen müssen immer wieder daran erinnert werden,dass sie die Interessen des Volkes vertreten müssen. Aber das wissen die Christen doch am besten,oder?

Robert Hottua
24. November 2023 - 23.23

Ein kalter patriarchalisch-konservativer Wind wehte auch in der Lebenszeit meiner katholischen Eltern in Luxemburg.
▪ Eine rechtsradikale Zeitschrift der 30er Jahre: "Jung Luxemburg", das Wochenblatt des "Verbandes der Luxemburger katholischen Jugendvereine". Luxemburgs Historiker sind dabei, die nationale Vergangenheit der 30er und 40er Jahre aufzuarbeiten. Dabei werden nicht nur Zeugnisse des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus zutage gefördert - wie die traditionelle Geschichtsschreibung uns glauben zu machen versucht, sondern auch Sympathiebewegungen für Rechtsideologien aufgedeckt. Ein Beispiel für Letzteres stellt "Jung Luxemburg", das Wochenblatt des "Verbandes der Luxemburger katholischen Jugendvereine" dar, dessen ideologische Grundhaltung Lucien BLAU heute vorstellt. An ihm haben namhafte Vertreter der katholischen Kirche, Priester und Laien mitgearbeitet. (…)
▪ Radikale Reformen. Nicolas MARGUE weist in dem 1951 erschienenen Buch: "Jean-Baptiste ESCH - In Memoriam et in Resurectionem", die Existenz einer luxemburgischen Rexistengesellschaft in den dreißiger Jahren nach, die sich um die Person von Jean-Baptiste ESCH, Redakteur im 'Luxemburger Wort', gebildet hatte und im Rahmen derer hauptsächlich Intellektuelle über radikale Reformen debattierten. (…)
▪ " (…) Unsere Zeit ist eine Zeit des Übergangs, des Umbruchs. Eine Rückkehr aus der ungesunden Epoche der hemmungslosen Prosperität mit ihrem Produktions- und Verdienerhimmel zu, fast möchten wir sagen, patriarchialischeren Zeiten. Mächtig ziehen sich durch Werden und Gedeihen, Schicksal und Geschichte eines Volkes die beiden Hauptströme am Quell der nationalen und völkischen Kraft: Bauerntum und Handwerk. Eine Rückkehr zu normalen Zeiten kann nur gleichbedeutend sein mit einer Rückkehr zur Scholle, zur Kraft der Erde, und zum wackern biedern Handwerk. Je eher die Jugend diesen Weg findet, je größer die Scharen die ihn betreten und entschlossen weitergehen, umso rascher werden viele böse Fragen sich vereinfachen und lösen zum Wohl der Heimat, des Staates, und jedes einzelnen Menschen dieses Volkes, das durch tausend und mehr Jahre schon immer wieder die rechten Pfade zu Kraft und Größe wiederfand. ("Jung Luxemburg", 25.11.1939) (…)
▪ "Handelt es sich bei 'Jung Luxemburg' nicht eher um den Versuch das Rad der Geschichte anzuhalten, um den Abwehrreflex einer traditionellen Agrar- und Mittelstandsgesellschaft gegen die fortschreitende Laizisierung der 'société civile', gegen eine Arbeiterklasse, die in den dreißiger Jahren politisch und gewerkschaftlich organisiert nun ihren Platz in der luxemburgischen Gesellschaft erkämpft? (…)"
https://www.forum.lu/wp-content/uploads/2015/11/1808_88_Blau.pdf
(Lucien BLAU, forum.lu, 2015)
MfG
Robert Hottua