„Ganz schön arrogant“ – Heng Clemens kritisiert die Pläne zur Neunutzung der „Lentille Terre-Rouge“

„Ganz schön arrogant“ –  Heng Clemens kritisiert die Pläne zur Neunutzung der „Lentille Terre-Rouge“

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Das Immobilienunternehmen Iko des privaten Bauherrn Eric Lux hat von ArcelorMittal den Zuschlag erhalten, um die Escher Industriebrache „Lentille Terre-Rouge“ zu bebauen. Am vergangenen Samstag fand nach einer Online-Befragung der zweite Workshop im Rahmen der Bürgerbeteiligung statt. Der frühere Schmelzarbeiter und heutige Präsident der „Entente Mine Cockerill“ Heng Clemens ist mit dem Verlauf dieser Workshops nicht zufrieden. Er kritisiert insbesondere den geplanten Abriss der „Keeseminnen“, die ein wesentlicher Bestandteil des ehemaligen Industriestandorts waren und das
Bild der „Hiel“ über ein Jahrhundert lang prägten.

Tageblatt: Sie waren bei beiden partizipativen Workshops zur Erschließung der Industriebrache „Rout Lëns“ dabei …

Heng Clemens: Ich bin mit der Bezeichnung „Rout Lëns“ nicht einverstanden. Der Name hat keinen historischen Bezug und sagt nichts über die Schmelz aus, die mehr als 100 Jahre auf diesem Standort funktioniert hat. Ich finde, das Viertel sollte „Quartier Brasseurs-Schmelz“ heißen.

Wie haben Sie die Workshops erlebt?

Während des ersten Workshops sind einige Fragen aufgeworfen worden, die beim zweiten Workshop am vergangenen Samstag gar nicht mehr angesprochen wurden. Stattdessen wurden Bilder ausgeteilt, anhand derer die Teilnehmer ihre Vorstellungen des neuen Viertels ableiten sollten. Das mache ich nicht mit. Deshalb bin ich vorzeitig gegangen.

Um welche Fragen ging es konkret?

Im ersten Workshop wurde darüber geredet, die „Keeseminnen“ zumindest teilweise zu erhalten und sie über eine Brücke mit dem „Carreau Barbourg“ zu verbinden. Auf dem „Carreau“ könnte ein Park entstehen, der ein Bindeglied zur Trainingsanlage der Jeunesse und dem dahinter gelegenen Museum der Cockerill-Grube schafft. Diese Idee wurde im zweiten Workshop nicht mehr berücksichtigt.

Haben Sie noch ein anderes Beispiel?

Im ersten Workshop wurde der Vorschlag geäußert, die Tankstelle in der rue d’Audun umzusiedeln und dieses Grundstück in das neue Viertel einzugliedern. Die Tankstelle ist ein Desaster. An den Wochenenden bilden sich dort Staus, die Autos stehen bis in den Kreisverkehr. Auch dieser Vorschlag wurde nicht berücksichtigt.

In den vergangenen Jahren wurden viele Zusagen zum Erhalt der Industriegebäude auf der „Lentille“ gemacht. Wurde dieses Thema in den Workshops behandelt?

Vor Beginn der Workshops sagte der Bauherr Eric Lux in einem Interview mit dem Luxemburger Wort, die „Keeseminnen“ müssten abgerissen werden, weil sie baufällig und verseucht seien. Das sei Fakt, meinte Lux. Im Workshop meinte dann einer seiner Mitarbeiter, man könne den Leuten diese Mauer vor ihren Köpfen nicht länger zumuten. Wir haben über 100 Jahre lang gut mit dieser Mauer gelebt. Wenn man sie abreißt, bricht für viele Menschen eine Welt zusammen.

Sind die „Keeseminnen“ etwa nicht verseucht und baufällig?

Verseuchung und Baufälligkeit sind Totschlagargumente, bei denen jeder sofort schwach werden und einlenken soll. Doch es ist ganz schön arrogant, wenn Eric Lux diese Behauptungen aufstellt, ohne irgendeine Untersuchung durchgeführt zu haben. Auf einer solchen Grundlage kann keine Diskussion über Abriss und Erhalt von Industriedenkmälern geführt werden.

Wieso glauben Sie, dass die „Keeseminnen“ nicht baufällig sind?

In den 1980er Jahren hat sich die Firma Calumite in den „Keeseminnen“ niedergelassen. Calumite hat Glaspartikel und Quarziten aus Schotter extrahiert und gleichzeitig als Nebenprodukt das ganze Viertel „Hiel“ mit weißem Staub verpestet. Damals war nie von Baufälligkeit und Verseuchung die Rede. Wenn sich die Einwohner der „Hiel“ nicht gewehrt hätten, wäre Calumite wahrscheinlich heute noch dort. Wegen der Bürgerproteste musste das Unternehmen aber 1991 in die Industriezone „um Monkeler“ umziehen.

Wie sollte Ihrer Ansicht nach mit den „Keeseminnen“ umgegangen werden?

Die Keller der „Keeseminnen“ stehen zurzeit unter Wasser. Sie sollten so fair sein und das Wasser einfach abpumpen. Dann werden sie sehen, welche Details noch zutage treten. Unter den „Keeseminnen“ sind früher Züge gefahren, die die Hochöfen beliefert haben. Erst wenn das Wasser abgepumpt ist, könnte eine wissenschaftliche Untersuchung hinsichtlich der Statik des Bauwerks durchgeführt werden.

Wie könnten die „Keeseminnen“ Ihrer Ansicht nach genutzt werden?

Es gibt viele Möglichkeiten. Eine davon wäre, eine Bahn- oder Tramhaltestelle dort einzurichten. Auch ein Panorama-Restaurant wäre denkbar.

Die beiden Zentralen neben der Tankstelle sollen erhalten bleiben. Auf der Homepage des Bauherrn finden sich schon erste Hinweise, wie sie später aussehen sollen. Wie finden Sie die Entwürfe?

Bei einem der beiden Gebäude soll offenbar der Giebel eingerissen und durch eine Glaswand ersetzt werden. Ich hoffe, dass dieser Entwurf nie umgesetzt wird.

Der Escher Bautenschöffe Martin Kox hatte im Februar 2018 angekündigt, das private Projekt sehe vor, fünf Industriegebäude auf der „Lentille Terre-Rouge“ zu erhalten. Wurde mittlerweile ein Inventar dieser Gebäude erstellt?

Ich habe kein Inventar gesehen. Eine Liste mit allen schützenswerten Gebäuden würde aber dringend benötigt. Nicht nur für „Terre-Rouge“. Abreißen kann man immer noch. Aber der Abriss sollte die allerletzte Maßnahme sein, wenn das Bauwerk wirklich nicht mehr zu retten ist. In der Vergangenheit wurde schon viel zu viel abgerissen.

Wieso stellen Staat oder Gemeinde die Industriedenkmäler nicht unter Schutz?

Die nationale Denkmalschutzbehörde unternimmt überhaupt nichts. Eric Lux hat im Wort-Interview behauptet, dass es teurer sei, alte Gebäude zu sanieren, als sie abzureißen und neue zu bauen. Ich glaube, dass das nicht zutrifft. Zudem verschwindet mit den Industriegebäuden ein großer Teil der kollektiven Erinnerung.

Was wären die Folgen?

Ich befürchte, dass das neue Viertel auf der „Lentille“ urbanistisch nicht an die bestehenden Viertel „Grenz“ und „Hiel“ angebunden wird. Es droht ein abgeschiedenes Luxusviertel zu werden. Eric Lux war schon an der Erschließung des „Ban de Gasperich“ beteiligt und man sieht ja, was daraus geworden ist.

Wie kann eine Fehlplanung verhindert werden?

Die Stadt Esch müsste dem Bauherrn ein Lastenheft vorlegen, an dessen Vorgaben er sich halten muss. Die Gemeinde sollte entscheiden, was auf ihrem Gebiet passiert. Esch gehört keinem privaten Bauherrn. Deshalb sollte der Schöffenrat endlich aufwachen. Die Politiker schwärmen immer von der Zeche Zollverein in Essen, die sie besichtigt haben. Sie bringen es aber nicht fertig, etwas Ähnliches in kleinerem Maßstab in Esch umzusetzen.
Ich bin gespannt auf den Masterplan, der nach dem Prozess der Bürgerbeteiligung ausgearbeitet wird. Wir sollten ernsthaft darüber nachdenken, mit den Einwohnern der umliegenden Viertel einen alternativen Masterplan aufzustellen.

Herr Schmit
16. Mai 2019 - 15.22

Den Här Clemens ass och effektiv mam Quartier a matt da Stolindustrie verbonnen an kann sech et erlaaben...

Architecte
16. Mai 2019 - 13.02

"Ganz schön arrogant" kommen och di Aussoen vum Här Clemens riwwer.

Herr Schmit
16. Mai 2019 - 11.59

Merci fir den Interview! Et ass ëmmer dat selwecht wann et ëm d'Erhalen vun Industriekultur geet: ze deier, baufälleg, verseucht. D'Geschicht déi hannendru stecht interesséiert keen an fir déi Leit déi haart hu missen schaffen an déi sech fir d'Industriehären futti gemaach hunn interesséiert sech och keen. Et ass haut sou wéi deemols: et geet just ëm d'Suën an d'Leit kréien vun den Här Luxen an wéi se och ëmmr heeschen Sand an d'Aaen gestreet... Déi Leit déi do am Eck wunnen oder do geschafft hunn missten glaichberechtegt matt Architekten an Historiker kenen zesummen driwwer entscheeden wat do soll gebaut ginn!

Grober J-P.
16. Mai 2019 - 11.17

Möchte gerne wissen wie viele Interessenten mitgemacht haben. Hat die Gemeinde bei dem Projekt was zu sagen oder der Staat vielleicht? Gibt es eventuell Sozialwohnungen dort? Wir haben doch Wohnungsnot!

josiane
16. Mai 2019 - 9.09

Ech fanne Schued datt d‘Tageblatt keng Südesäiten an och keng Escher Säiten méi an der Zeitung huet.