„Ich kann nicht mehr“Für Menschen mit geringem Einkommen ist die Wohnungsfrage eine Qual

„Ich kann nicht mehr“ / Für Menschen mit geringem Einkommen ist die Wohnungsfrage eine Qual
Sandra Martin mit einem Brief des Gerichts Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Wohnungsprobleme kennen viele nur aus Statistiken. Ein konkreter Fall aus Düdelingen verdeutlicht die dramatische Situation, in der sich sozial schwache Menschen befinden. Und die Anzahl der Personen, die eine Sozialwohnung benötigen, steigt rapide an: Bei der „Agence immobilière sociale“ zum Beispiel wuchs die Warteliste innerhalb eines Jahres um 40 Prozent.

„Über Menschen mit Kindern, die von Armut betroffen sind, schwebt permanent ein Damoklesschwert“, sagte die LSAP-Abgeordnete Claire Delcourt am vorigen Donnerstag in der Chamber zum Thema Kinderarmut. Wie recht Delcourt damit hat, illustriert das folgende Beispiel:

Sandra Martin wohnt mit ihrem 21-jährigen Sohn Damien in Düdelingen in einer 50 Quadratmeter großen Einzimmerwohnung. Für diese zahlt sie 875 Euro Miete, Nebenkosten inbegriffen. Vorigen August bekam sie den Bescheid, dass sie ausziehen muss. Der Eigentümer ließ ihr über seinen Anwalt ausrichten, dass er angeblich die Wohnung für seinen Sohn brauche. Die Frau versuchte auf dem Rechtsweg gegen die Entscheidung vorzugehen, doch umsonst: Das Gericht bestätigte die Zwangsräumung für Mitte Februar.

„Meine Miete habe ich stets bezahlt, nur einmal war ich eine Woche damit in Verzug“. Sonderbarerweise habe sie den Bescheid des Eigentümers zu einem Zeitpunkt erhalten, nachdem sie von ihm verlangt hatte, er solle sich doch bitte u.a. um die Schäden in der Küche kümmern, die vor zwei Jahren auftauchten. Auf dem Küchenboden liegen Lappen, die das Wasser aufsammeln, das kontinuierlich von irgendwoher läuft. Zudem fehlt eine Dunstabzugshaube. „Wenn wir kochen, müssen wir das bei geöffnetem Fenster tun. Bei diesen Temperaturen ist das nicht angenehm“. Als Sandra Martin dem Wohnungseigentümer über den Konsumentenschutz einen Brief mit einer Auflistung sämtlicher Mängel zukommen ließ, kam die Kündigung.

Lappen auf dem Küchenboden gegen die Feuchtigkeit
Lappen auf dem Küchenboden gegen die Feuchtigkeit Foto: Editpress/Hervé Montaigu

„Ich kann nicht mehr“, sagt Sandra. Der Stress, den sie seit einiger Zeit habe, lasse sie kaum schlafen. Sie ist krank und kann nicht arbeiten. Bandscheibenprobleme bereiten ihr Probleme beim Gehen, zudem leidet sie an Schwindelanfällen und Migräne. Sie und ihr 21-jähriger Sohn, der bei ihr wohnt, leben ausschließlich von ihrem Einkommen zur sozialen Eingliederung (Revis) in Höhe von rund 1.800 Euro.

„Ich versuche seit Monaten eine andere Wohnung zu finden, unter 1.200 Euro finde ich aber nichts, und das kann ich mir nicht leisten.“  Mit ihrem Einkommen könnte sie sich allenfalls ein Zimmer leisten: „Doch dann müsste ich ja meinen Sohn im Stich lassen, und das kann ich doch nicht tun. Ich hatte schon daran gedacht, ins benachbarte Ausland zu ziehen, dort könnte ich mir eine Wohnung leisten; aber der Haken dabei ist, dass ich dann die Sozialunterstützung verliere.“ Eine der Bedingungen, um Revis zu erhalten, ist es, in Luxemburg zu wohnen.

Gemeinde beruhigt

Der Düdelinger Bürgermeister Dan Biancalana und der Sozialschöffe René Manderscheid versichertem dem Tageblatt auf Nachfrage hin, dass Frau Martin auf keinen Fall auf der Straße sitzen werde, falls sie tatsächlich ihre Wohnung verlassen müsste. „In solch einem Fall würden wir die Frau und ihren Sohn in einer Notwohnung unterbringen, und falls diese besetzt sein sollte, in einem Hotel oder einer Jugendherberge.“

Falls es zu einer Zwangsräumung kommen sollte, werde die Gemeinde im Vorfeld vom Gerichtsvollzieher darüber informiert. Vertreter der Kommune, u.a. der Sozialdienst, seien dann zur Stelle. U.a. würde die Gemeinde die Möbel der betroffenen Person aufbewahren, falls dies notwendig wäre.

„Dieser spezielle Fall ist uns bekannt“, sagt René Manderscheid. „Er steht regelmäßig auf der Tagesordnung des Sozialamtes. Die Frau hatte den Bürgermeister und mich in der Tat um eine Unterredung gebeten, aber da ich schon mehrmals mit ihr gesprochen habe, sahen wir eine solche Unterredung nicht als notwendig an.“

Bedarf an Sozialwohnungen steigt

Unabhängig davon, dass die aktuelle Wohnung von Sandra Martin in einem schäbigen Zustand ist, illustriert der Fall darüber hinaus das größte Problem des Landes schlechthin: Wo soll man mit geringem Einkommen wohnen?

Angaben des Familienministeriums zufolge beziehen derzeit 10.198 Haushalte – dabei handele es sich um 21.991 Personen – das Revis; 29,8 Prozent dieser Haushalte (3.039) leben so wie Sandra Martin aus Düdelingen ausschließlich von dieser staatlichen Unterstützung.

Laut einem Bericht der „Chambre des salariés“ vom vergangenen April laufen 35 Prozent aller Mieter Gefahr, unter die Armutsgrenze zu fallen. Laut Statec gilt man als armutsgefährdet, wenn man weniger als 2.247 Euro pro Monat zur Verfügung hat, was auf 17,4 Prozent der Bevölkerung zutreffe; bei einer kleinen Familie wie der von Sandra Martin (Alleinerziehende mit einem Kind) liegt das Mindesteinkommen für ein würdiges Leben bei 2.921 Euro – weit entfernt von den 1.800, über die Sandra und ihr Sohn verfügen.

Laut dem Mietsimulator auf logement.public.lu liegt die durchschnittliche Miete für eine Einzimmerwohnung in Düdelingen wie die von Sandra Martin allerdings schon bei 1.379 Euro. Für ein „menschenwürdiges“ Leben blieben der Frau – falls sie eine Wohnung zu der Miete finden würde – nicht einmal 500 Euro; 75 Prozent ihres Einkommens müsste sie für die Miete aufbringen. Von einer Kommission für die Agentur sowie einer Garantie in Höhe von zwei Monaten Miete ganz zu schweigen. Allgemein gilt die 40-Prozent-Grenze als Schwelle, bei deren Überschreitung die Wohnkosten eine sehr hohe Belastung für den Haushalt darstellen.

Revis-Empfänger mit einem Einkommen von rund 1.800 Euro liegen unterhalb der Armutsgrenze, sie sind also auf erschwingliche Wohnungen angewiesen, doch die sind Mangelware.

Die Gemeinde Düdelingen besitzt zwar 43 Sozialwohnungen und vermietet 67 weitere über die „gestion locative sociale“ (GLS), doch bei beiden gibt es lange Wartezeiten. Auf eine Sozialwohnung müsse man im Durchschnitt vier bis fünf Jahre warten, auf eine aus der GLS bis zu einem Jahr, heißt es vom dortigen Sozialamt. Rund 200 Haushalte warteten derzeit auf eine Wohnung.

Nicht viel anders sieht es bei der „Agence immobilière sociale“ aus: Sie vermietet zurzeit 621 Wohnungen. Direktor Gilles Hempel zufolge ist die Nachfrage an solchen enorm gestiegen. 1.869 Anträge befinden sich momentan auf einer Warteliste; voriges Jahr zum gleichen Zeitpunkt seien es 1.337 gewesen; ein Anstieg von rund 40 Prozent innerhalb nur eines Jahres.

Die „Agence immobilière sociale“

Die „Agence immobilière sociale“ (AIS) ist eine Abteilung der „Fondation pour l’accès au logement“. Sie kümmert sich um Wohnungen für arme bzw. stark armutsgefährdete Menschen, die in unwürdigen Wohnverhältnissen leben müssen und folglich aus wirtschaftlichen oder auch psychischen Gründen die Aufgaben und Probleme des täglichen Lebens kaum bewältigen können. In Zusammenarbeit mit den Sozialämtern und sozialen Diensten des Landes werden für eine bestimmte Periode Unterkünfte gemietet. Um diese günstig anbieten zu können, bietet die AIS den Eigentümern im Gegenzug Garantien, was die Verwaltung und den Unterhalt sowie auch eine zügige Bereitstellung des Wohneigentums anbelangt.

Miette
7. Februar 2024 - 22.07

Es geht der Dame nicht gut und wenn ich das Bild vom feuchten Küchenboden betrachte, echt nicht besonders angenehm. Eine Frage stelle ich mir, der Sohn (21 Jahre), ist der junge Mann noch in der Ausbildung ? Oder zur Zeit arbeitslos? Ich hoffe die kleine Familie findet Hilfe.

Romain
7. Februar 2024 - 10.40

In Esch Ramerech stehen leere Häuser vom Staat

Lucilinburhuc
6. Februar 2024 - 11.18

Gute Entscheidung von dieser Frau öffentlich und ohne Namensveränderung aufzutreten. Luxemburg hat nämlich eine Krankheit: nutzloser, unberechtigter Scham bei dieser Art von Schicksal.