Alain spannt den BogenFünf regelrechte Klassiker: Beethovens Neunte und alle vier Symphonien von Brahms

Alain spannt den Bogen / Fünf regelrechte Klassiker: Beethovens Neunte und alle vier Symphonien von Brahms
Obwohl man Sir John Eliot Gardiner nicht unbedingt als Brahms-Speziaisten bezeichnen kann, brachte seine Zusammenarbeit mit dem Royal Concertgebouw Orchestra aus Amsterdam doch zumindest frischen Wind in die oft abgedroschene Brahms-Welt  Foto: Philharmonie/Sébastien Grébille

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Es sind fünf regelrechte Klassiker, die das Publikum innerhalb von drei Tagen in der Philharmonie erleben konnte. Zum Europatag und in Anwesenheit von viel Prominenz gab es Beethovens Neunte mit dem Luxembourg for Peace Orchestra und dem Choeur de Chambre de Luxembourg, an den beiden folgenden Abenden interpretierten Sir John Eliot Gardiner und das Concertgebouw Orchestra alle vier Symphonien von Johannes Brahms.

Nachdem Antonio Grosu, das European Academic Orchestra und der Chœur de Chambre de Luxembourg vor kurzem mit einer sehr starken Leistung in Giuseppe Verdis Messa da Requiem auftrumpften, konnte das zahlreich erschienene Publikum am Europatag leider nur einer mittelmäßigen Aufführung von Beethovens 9. Symphonie beiwohnen. Mittelmäßig, weil gerade bei diesem Werk und an einem wichtigen Tag wie dem Europatag eine nur korrekte Darbietung nicht ausreicht, zumal dem Konzert Großherzog Henri und viele geladene Gäste aus Politik und Wirtschaft beiwohnten.

Sicher, das European Academic Orchestra, das hier als Luxembourg for Peace Orchestra auftrat und u.a. von Musikern des Orchestre Philharmonique du Luxembourg verstärkt wurde, ist kein eingeschworener Klangkörper, der einfach mal so eine tolle Aufführung zustande bringt. Antonio Grosu dirigierte dann auch sehr vorsichtig, hielt das Orchester zu einem mehr oder weniger korrekten Spiel an und schuf dabei ein transparentes, atmendes Klangbild mit vielen schönen Soli. Leider gelang es ihm in keinem Moment, wirklich Spannung aufzubauen. Besonders die beiden ersten Sätze plätscherten spannungslos und blass dahin. Am besten geriet dem Ensemble noch der dritte Satz, der einige sehr schöne und innige Momente besaß. Enttäuschend dann wieder der Schlusssatz. Hier musizierte das European Academic Orchestra allzu vorsichtig, ging keine Risiken ein und Grosu gab sich mit einem flachen Spiel ohne Aussagekraft zufrieden.

Das Solistenquartett (Elisabeth Wiles, Sopran, Manou Walesch, Mezzo, Angelos Samartzis, Tenor und David John Pike, Bass) war stimmlich nicht gut eingesungen und die vier Stimmen schwangen nicht zusammen. Zudem sangen Bass und Tenor oft sehr laut und erlaubten sich so manchen unschönen Patzer. Auch der Chor zeigte sich nicht so sattelfest wie sonst; im Saal konnte man verschiedene Einzelstimmen ausmachen, die viel lauter sangen als ihre Kollegen und somit die Homogenität des Vortrags störten. Zu allem Unglück fiel auch noch die Pauke im ersten Satz aus und musste kurzerhand ersetzt werden. Da das Konzert aber nicht abgebrochen wurde, fanden die Hälfte des ersten Satzes und der gesamte zweite Satz ohne Pauken statt. Zwischen das Molto Vivace und das Adagio hatte man noch das Dies irae und das Tuba mirum aus Verdis Requiem eingefügt, die an sich nicht notwendig gewesen wären, aber dann noch die beste musikalische und chorische Leistung an diesem Abend darstellten. Die Frage, die sich am Ende stellt: Wie soll man ein solches Konzert bewerten? Als schwache Aufführung einer zusammengewürfelten Profimannschaft oder als beachtenswerte Leistung talentierter Amateure oder Semi-Profis?

Sir John und der wilde Johannes

Es war eine anstrengende Woche für den Dirigenten Sir John Eliot Gardiner. Am 3. und 5. Mai dirigierte er die vier Brahms-Symphonien im Concertgebouw in Amsterdam, am Samstag, dem 6. Mai das Konzert zur Krönung Charles III., dann wieder die vier Brahms-Symphonien in der Elbphilharmonie am 7. und 8. Mai und jetzt noch mal das Ganze in der Philharmonie Luxemburg. Es ist immer ein ganz besonderes Erlebnis, wenn man eine Intergrale innerhalb kurzer Zeit hören kann. Obwohl man Sir John Eliot Gardiner nicht unbedingt als Brahms-Speziaisten bezeichnen kann, so brachte seine Zusammenarbeit mit dem Royal Concertgebouw Orchestra aus Amsterdam doch zumindest frischen Wind in die oft abgedroschene Brahms-Welt.

Die meisten von uns lieben natürlich diese Symphonien in einem satten, dunklen Klang. Ja, und auch etwas Pathos und Klangpracht dürfen hier dann nicht fehlen. Dass Sir John als Individualist sich natürlich nicht den Klischees und den Erwartungen beugt, das wusste man schon zu Beginn. Dennoch war ich von der Interpretation der 3. Symphonie, mit der die Gesamtaufführung der Brahms-Symphonien begann, etwas enttäuscht. Der Kopfsatz wirkte auf mich recht zögerlich und schien auch tempomäßig nicht so recht zu wissen, in welche Richtung es denn gehen sollte. Die beiden Mittelsätze waren dann recht spannungslos und enttäuschend; Gardiner setzte hier zu sehr auf kammermusikalische Feinheiten, die den Fluss der Musik erheblich ins Stocken brachten.

Wild wurde es dann im Finale und hier endlich schien der Bann gebrochen. Dynamik, Tempi, Expressivität, alles stimmte auf einmal. Allerdings dirigierte Sir John einen recht wilden Brahms. Die folgende 1. Symphonie besaß da sogar richtigen Sturm-und-Drang-Charakter, denn so schnell habe ich den Kopfsatz bisher noch nie gehört. Aber die Entwicklung des Werkes erwies sich trotz sich abwechselnder Ritardandi und Accelerandi als schlüssig. Ein schön ausformuliertes, stringentes Andante, ein charmanter 3. Satz und ein fulminantes Finale, das allem Pathos aus dem Wege ging.

Doch so gut und konsequent Gardiner seinen Brahms auch offenlegte, mir fehlte das gewisse Etwas. Etwas weniger kontrolliert und harmonischer im Gesamtbild erschien mir am Folgetag die 2. Symphonie. Das Dirigat klang versöhnlicher, runder und wärmer, und der pastorale, ja fast liebliche Charakter dieser schönen Symphonie wurde in jedem Moment gewahrt. Trotzdem gelang es Gardiner immer wieder, den wilden, unbändigen Brahms herauszukitzeln.

Eine wichtige Rolle in Gardiners Brahms-Bild fiel den Holzbläsern zu, die immer wieder in den Fokus gerückt wurden. Links und rechts waren die Streicher relativ breit aufgestellt, die Kontrabässe standen sogar ganz hinten, sodass das Holz wirklich der Kern dieses Brahms-Klanges war. Und das war auch sehr schön anzuhören, zumal alle Solisten erstklassig intonierten und zeigten, wie wichtig eine gut eingespielte Holzbläsergruppe sein kann. Das Royal Concertgebouw Orchestra befand sich dann, von den ersten drei Sätzen der 3. Symphonie einmal abgesehen, in Bestform. Der wunderbare Klang des Orchesters aber bewährte sich für mein Gefühl am besten in den Symphonien Nr. 2 und 4., also am zweiten Konzertabend.

Die Interpretation der 4. Symphonie, die für mich eines der musikalischen Wunderwerke des 19. Jahrhunderts darstellt, besaß dann auch eine ungeheure Intensität. Sir John Eliot Gardiner löste sich vom pastoralen Charme der Zweiten und ließ das Publikum eine äußerst dramatische, wilde und expressive 4. Symphonie erleben. Die gutgelaunten und bestens motivierten Musiker des Concertgebouw liefen dann auch hier zu einer kaum zu überbietenden Höchstleistung auf. Jubel und Standing Ovations für Sir John und das Royal Concertgebouw Orchestra gab es an beiden Abenden. Zugaben gab es leider keine.