Tageblatt: Ich muss Sie warnen, Botschafter Barrett! Meine Besuche in der US-Botschaft sind immer mit Folgen verbunden. Im Juni 2020 gingen die Luxemburger an dem Tag für „Black Lives Matter“ auf die Straße und ich muss Ihnen wohl nicht erklären, was nach meinem letzten Besuch am 6. Januar 2021 in Washington passiert ist (Sturm auf das Kapitolgebäude, Anm. der Red.) …
Botschafter Thomas M. Barrett: Daran kann ich mich nur allzu gut erinnern. Zu jenem Zeitpunkt war ich noch Bürgermeister in Milwaukee. „Sie stürmen das Kapitol“, meinte meine rechte Hand damals am Telefon. Als ehemaliges Kongressmitglied kenne ich das Gebäude aus dem Effeff. Bei diesen Bildern wird einem doch etwas mulmig zumute …
In der Nacht vor unserem ursprünglichen Termin wurde die Ukraine von Russland angegriffen, weshalb unser Treffen auf ein späteres Datum verlegt wurde. Hatten Sie in der Zwischenzeit die Möglichkeit, die Geschehnisse etwas zu verdauen?
Seit dem Angriff auf die Ukraine stehen wir in ständigem Kontakt mit dem US-Außenministerium. Als Botschaft suchen wir den Austausch, sei es nun mit anderen Botschaftern oder mit der Luxemburger Regierung. Präsident Biden legt viel Wert auf Transparenz gegenüber den internationalen Partnern. Ihm ist es wichtig, dass unsere Alliierte über sämtliche Schritte der USA informiert sind. Persönlich pflegt der Präsident sehr enge Verbindungen zur Ukraine. Außenminister Antony Blinken hat indessen ein gutes Verständnis von Europa. Beide haben sie bereits den ausdrücklichen Wunsch geäußert, eng mit den europäischen Alliierten zusammenzuarbeiten. Unsere Partner wissen, dass dieser Präsident sich nicht von Stimmungsschwankungen und persönlichen Ressentiments beeinflussen lässt. Die Vereinigten Staaten spielen nun mal eine wichtige Rolle im internationalen Gefüge. Und dessen ist sich Präsident Biden auch bewusst. Gleichzeitig weiß unser Leader aber auch, dass die USA nicht alleine vorgehen können. Es ist letztendlich eine Frage des Respekts, sich mit den europäischen Partnern abzustimmen. Andernfalls wäre eine derart koordinierte, schnelle Reaktion auf Putins Angriff nicht möglich gewesen. Ich denke nicht, dass Moskau mit solch einer geeinten Front gerechnet hat. Im Gegenteil: Er hat vielmehr auf Unstimmigkeiten innerhalb der EU gehofft.
Mit seinem Angriff hat Putin also das bewirkt, was er partout nicht haben wollte: ein starkes Bündnis im Westen. Vielmehr wollte er die europäischen Partner spalten …
… und hat sie stattdessen zusammengeschweißt. Nehmen Sie Großbritannien, das sich jahrelang von der EU lösen wollte. Inzwischen überwiegt aber wieder die Zusammenarbeit und der Wille, mit der EU und den Vereinigten Staaten eine Lösung zu finden. Japan hat auch die Absicht geäußert, sich international stärker mit einzubringen. Wenn die Mehrheit der führenden Wirtschaftsnationen plötzlich an einem Strang zieht, muss auch ein Putin sich Fragen stellen.
Partner, Alliierte, Zusammenarbeit: Es kommen ungewohnte Töne aus dem Weißen Haus. Die letzte Regierung hat sich nicht unbedingt mit einem großen Kooperationseifer gegenüber ihren traditionellen Partnern hervorgetan …
Wie gesagt: Hierbei handelt es sich um eine Frage des Respekts. Es gibt eigentlich nichts Respektloseres, als andere Menschen oder Staaten zu ignorieren. Und auf internationaler Ebene im Alleingang vorzupreschen. Unter den aktuellen Bedingungen wäre dies realitätsfern. Wirtschaftlich und sicherheitstechnisch sind wir alle auf Kooperation und Kommunikation angewiesen. Man muss auch nicht immer einer Meinung sein. Von einem respektvollen Umgang aber können wir alle nur profitieren.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat sich vor kurzem in einem Interview nach der „friedlichen Koexistenz“ aus dem Kalten Krieg gesehnt. Zum einen war der Kalte Krieg wohl alles andere als friedlich, zum anderen könnte man argumentieren, dass die Ansprüche in der Vergangenheit doch höher waren, was die Beziehungen zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus angehen. Oder ist der Kalte Krieg tatsächlich ein erstrebenswertes Ideal geworden?
Erstrebenswert ist nur die friedliche Koexistenz. Einen Kalten Krieg sollten wir aber vermeiden. Eine mit Spannungen geladene Beziehung kann auf Dauer nur scheitern. Wir müssen einen Weg finden, diese Spannungen zu lösen, ohne unsere gemeinsamen Werte zu verraten. Wie Souveränität und Selbstbestimmung. Darum geht es schließlich in diesem Krieg. Deshalb können diese Verhandlungen nicht ohne die Ukraine geführt werden. Nur die Ukrainer haben das Recht, über ihre eigene Selbstbestimmung zu urteilen. Eine patriarchalische Herangehensweise wäre von daher aktuell nicht angebracht.
Erstrebenswert ist nur die friedliche Koexistenz. Einen Kalten Krieg sollten wir aber vermeiden.
Themenwechsel: Wie kommt ein Bürgermeister von Milwaukee zu Botschafterehren im Großherzogtum?
Im Musical „Hamilton“ singen die Protagonisten von einem „Room where it happens“. Diesen Raum, in dem die Dinge besprochen und Entscheidungen gefällt werden, möchte ich betreten. Nun ist das Bürgermeisteramt tatsächlich kein gewöhnliches Sprungbrett zu einer diplomatischen Karriere. Allerdings war ich zuvor zehn Jahre lang Mitglied im US-Kongress und kenne das politische Geschehen in Washington, D.C. Ich hatte bislang das Privileg, sowohl auf lokaler wie auf föderaler Ebene zu dienen. Ein Abstecher in die Welt der Diplomatie hat mich aber noch immer interessiert. Eigentlich gibt es keine größere Ehre, als das eigene Land auf dem internationalen Parkett zu repräsentieren. Vor allem unter einem Präsidenten wie Joe Biden. Ich war zuletzt nach 18 Jahren im Amt der dienstälteste Bürgermeister der 50 größten US-Städte. Die Zeit war einfach reif für eine neue Herausforderung.
Warum gerade Luxemburg?
Präsident Biden und seine Berater wussten um meine diplomatischen Ambitionen. Nachdem die Wahl aufs Großherzogtum gefallen war, habe ich meinen Ansprechpartner im Weißen Haus nach den Gründen gefragt. Seine Antwort: „Deine Kinder sprechen alle Deutsch.“ Ein lustiges, wenn auch interessantes Argument, wenn Sie mich fragen. Tatsächlich haben wir mehrere internationale Schulen in Milwaukee, in denen die Schüler von klein auf andere Sprachen kennenlernen. Meiner Frau und mir war es wichtig, dass unsere vier Kinder eine Zweitsprache erlernen. Deshalb haben wir uns für die deutsche Schule entschieden. Inzwischen sind die Kinder erwachsen. Zwei von ihnen haben in Deutschland beziehungsweise Österreich studiert. Eine weitere Tochter hat ihren Urlaub in Luxemburg verbracht. Das Land war uns demnach nicht fremd. Es hat irgendwie gepasst – it was a natural fit!

Knapp eine Stunde nördlich von Milwaukee befindet sich das Luxembourg American Cultural Center – im kleinen Städtchen Belgium, das die Einwohner liebevoll „Home of the Luxembourgers“ nennen …
Im Bundesstaat Wisconsin haben sich viele Luxemburger Auswanderer in der Region um Milwaukee niedergelassen. Von deren Nachfahren haben mich bereits viele persönlich kontaktiert. Ich hatte mehrere Treffen mit dem Luxemburger Honorarkonsul Mike Ansay und seinem Berater Kevin Wester, die beide aus der Gegend um Port Washington nahe Belgium stammen. Beide waren extrem hilfreich. Sie haben mehrere Tutorials über Luxemburg für mich zusammengestellt. Auch haben sie mich mit Roland Gaul vom Militärmuseum in Diekirch bekannt gemacht. Bevor sie meinen Vater kennenlernte, war meine Mutter bereits einmal verheiratet. Ihr erster Mann ist allerdings im Dezember 1944 während der Ardennenoffensive in Deutschland ums Leben gekommen. Eine weitere Begebenheit, die mich mit der Region hier verbindet. Ist es nicht aufregend, wie sich die Kreise im Leben immer wieder schließen?
Vor allem, wenn Sie der erste öffentliche Auftritt in Luxemburg dann auch noch nach Vianden führt, wo am 12. Februar dieses Jahres an die Befreiung im Zweiten Weltkrieg durch die amerikanischen Soldaten erinnert wurde …
Das hat natürlich eine ganz besondere Bedeutung. Uns wurde ein interessanter Dokumentarfilm vorgeführt. Dann steht vor diesem Auditorium auch noch ein saniertes Motorrad des US-Militärs … eine Harley-Davidson, deren Fabrik kaum eine Meile von meinem Elternhaus entfernt ist (Das 1903 gegründete Unternehmen hat seit jeher seinen Sitz in Milwaukee, Anm. der Red.). Mein erster Job nach dem College war bei Harley-Davidson, wo ich am Fließband Motorräder zusammengeschraubt habe. (lacht herzlich) Luxemburg hat meiner Ehefrau und mir schon viele schöne Momente beschert. Nächsten Monat kommt unser Ältester zu Besuch, mit seiner Verlobten. Anschließend werden auch noch unsere drei Töchter vorbeischauen. Wir sind sehr glücklich hier und freuen uns auf diesen neuen Abschnitt in unserem Leben.
Viele Luxemburger sind den Vereinigten Staaten wegen des Einsatzes im Zweiten Weltkrieg auf ewig verbunden. Wie wichtig ist den Amerikanern diese Wertschätzung?
Mir persönlich wird es warm ums Herz. Vor allem, da der erste Mann meiner Mutter sein Leben dafür lassen musste. Die Bürger der Vereinigten Staaten wissen es zu schätzen, dass Luxemburg dieser jungen Männer immer noch gedenkt. Ich sehe es auch als meine Aufgabe als Botschafter, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Opfer wachzuhalten, die diese jungen Soldaten erbringen mussten. Es ist wichtig, dass vor allem junge Menschen nicht vergessen, dass die Freiheit einen Preis hat. Vor allem jetzt, da wieder ein Krieg in Europa tobt. Einen Krieg, den die Mehrheit der Menschen nicht will. Genau deshalb müssen wir die Erinnerung an die Ereignisse des Ersten und des Zweiten Weltkriegs wachhalten.
Nun sind in Europa die Nachwehen des Zweiten Weltkriegs bis heute zu spüren. So ist es in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Staaten beispielsweise verpönt, Flagge zu zeigen. Die Amerikaner machen allerdings keinen Hehl aus ihrem Nationalstolz, was viele Europäer nicht einordnen können …
Dieser Nationalstolz wird auch in den USA mitunter heftig und kontrovers diskutiert. Manchen Menschen wird das Star-Spangled Banner nicht oft genug gehisst, anderen Mitbürgern zufolge wird die amerikanische Fahne zu oft missbraucht. Nein, Nationalstolz ist auch in den Vereinigten Staaten inzwischen ein heißes Eisen geworden. Abgesehen vom politischen Spektrum sind die Amerikaner ein stolzes Volk. Wir müssen aber auch einsehen, dass wir nicht perfekt sind.
In der amerikanischen Gesellschaft scheint sich eine Spaltung zu vollziehen: Man ist entweder Demokrat oder Republikaner, dafür oder dagegen, am rechten Rand oder am linken. Den goldenen Mittelweg gibt es wohl nicht mehr?
Diese Spaltung ist nicht erst in den letzten Jahren aufgetreten. Unter der Oberfläche brodelt es schon seit langem. Mithilfe des Internet ist es vielen Menschen nur ein Leichtes geworden, sich mit Gleichdenkenden zusammenzutun. Sogar das Fernsehen hat weniger Einfluss als noch vor 40 Jahren. In meiner Kindheit gab es nur drei TV-Stationen. Ganz Amerika hing an den Lippen von Nachrichtensprecher Walter Cronkite. Je nachdem, welche Nachrichtensendung man sich heute ansieht, kann man die unterschiedlichsten Weltanschauungen erleben. Jeder Sender bietet dem Zuschauer eine eigene Blase, aus der man nie mehr herausfindet. Diese Entwicklung ist besorgniserregend. Mein Vater hat mir immer geraten, mich bei öffentlichen Veranstaltungen zu Menschen zu sitzen, die ich nicht kenne. Nur so kann man den eigenen Horizont erweitern. Andernfalls läuft man Gefahr, in der eigenen Blase zu ersticken.

Und wie gedenken Sie Ihren Horizont in Luxemburg zu erweitern? Oder anders gefragt: Was haben Sie sich für Ihre Zeit in Luxemburg vorgenommen?
Ich fühle mich geehrt, dass ich in einem Land dienen darf, zu dem die Vereinigten Staaten ein ganz besonders inniges Verhältnis pflegen. Dieses Glück ist nicht jedem Botschafter vorbehalten. Luxemburg und die Vereinigten Staaten haben gemeinsame Werte – wie etwa der starke Glaube in Demokratie, Transparenz und eine Regierung für alle Menschen. Wegen unserer gemeinsamen Geschichte hegen wir auch enormen Respekt füreinander. Mein Ziel ist es, diese enge Partnerschaft noch weiter zu stärken.
Wie wollen Sie das bewerkstelligen?
Es gibt mehrere Routen. Der Handel ist eine davon, wie etwa die Verbindungen zwischen den Finanzzentren unserer beiden Länder. Auch möchte ich weiter Investments fördern, die Partnerschaften auf Bildungsebene oder sogar Austauschprogramme. Klima und Umweltschutz ist ein weiteres wichtiges Feld mit großen Herausforderungen. Wir sehen ja gerade, welche Auswirkung die energetische Abhängigkeit von Russland auf andere Staaten hat. Auch wollen wir unsere Zusammenarbeit im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen stärken. Unsere Partnerschaft ist bereits sehr eng, allerdings sollte sie nicht stagnieren. Mein Ziel ist es, proaktiv an die Sache heranzugehen und die Verbindungen zwischen beiden Ländern zu vertiefen.
Ich fühle mich geehrt, dass ich in einem Land dienen darf, zu dem die Vereinigten Staaten ein ganz besonders inniges Verhältnis pflegen
Wie fällt Ihr erstes Fazit nach sechs Wochen Luxemburg aus?
Ich musste in den letzten Wochen oft an eine Passage aus John Denvers Song „Rocky Mountain High“ denken: „Coming home to a place he’d never been before“. Ich fühle mich in Luxemburg nach kürzester Zeit bereits zu Hause. Wegen der Herzlichkeit der Menschen hier, aber auch wegen des warmen Empfangs, den mir die offiziellen Stellen im Land bereitet haben. Und dann muss ich immer schmunzeln, wenn ich die Tram sehe. Die Einrichtung einer Straßenbahn in Milwaukee gehört zu den größten politischen Auseinandersetzungen, die ich je hatte. Kritiker haben mich gehänselt, als sie von meiner Berufung nach Luxemburg erfuhren: „Barrett kann ja seine Tram nach Luxemburg mitnehmen“, hieß es in Online-Foren. Und dann sehe ich hier diese wundervolle, kostenlose Tram, die bei den Einwohnern gut ankommt. (lacht)
Letzte Frage: Was werden Sie am meisten vermissen?
Ganz einfach: meine Stadt, meine Angehörigen und meine Freunde. Das hier aber ist eine wundervolle Herausforderung, ein neues Kapitel in meinem Leben. Unsere Kinder sind alle erwachsen und haben sich bereits in anderen US-Städten eingelebt. Das macht es uns etwas einfacher. Dass meine Frau mich nach Luxemburg begleiten konnte, ist natürlich auch schön. Allerdings bin ich auch ein großer Baseball-Fan. Den kostenlosen Parkplatz am Stadion, den ich als Bürgermeister hatte, musste ich demnach aufgeben. (lacht) Ich muss mich noch schlaumachen, wie ich mir die Nachtspiele trotz der Zeitumstellung im Netz ansehen kann.

This is Thomas M. Barrett
Botschafter Thomas M. Barrett wurde am 25. August 2021 von Präsident Joe Biden als nächster US-Botschafter in Luxemburg nominiert. Bestätigt wurde der Demokrat vom US-Senat am 16. Dezember, bevor er nur wenige Tage später von Richtern Lynn Adelman in Milwaukee vereidigt wurde. In Luxemburg befindet sich der Botschafter seit dem 28. Januar 2022. Am 10. Februar konnte er Großherzog Henri das offizielle Beglaubigungsschreiben überreichen.
Barrett hat zwischen 2004 und 2021 fünf Amtszeiten – 18 Jahre lang – als Bürgermeister von Milwaukee gedient. Damit war der Demokrat das dienstälteste Oberhaupt der 50 größten Städte in den Vereinigten Staaten. Davor saß Botschafter Barrett fünf Legislaturperioden für die US-Demokraten im US-Repräsentantenhaus in Washington, D.C. Als Mitglied des Kongresses hat der in Wisconsin gebürtige Amerikaner unter anderem im Committee on Energy and Commerce, im Banking and Financial Service und in den Government Reform and Oversight, and Judiciary Committees gedient.
Zwischen 1989 und 1993 hat Barrett bereits erste politische Erfahrungen im Senat des Bundesstaates Wisconsin gesammelt. Davor war er fünf Jahre lang Mitglied der Wisonsin State Assembly. Der Vater von vier Kindern ist gelernter Jurist mit Erfahrungen im Privatsektor und im Bankenbereich. Barrett hat sein „Bachelor of Arts“ an der University of Wisconsin-Madison absolviert, bevor er an der University of Wisconsin Law School in Madison mit Auszeichnung promoviert hat. Thomas M. Barrett ist mit seiner Frau Kris verheiratet. Beide haben vier erwachsene Kinder: Tom (29), Annie (27), Erin (25) und Kate (23).
De Maart



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