Donnerstag30. Oktober 2025

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ÖsterreichFreude über deutschen Schuldenwumms erinnert an Neutralitätsschmäh

Österreich / Freude über deutschen Schuldenwumms erinnert an Neutralitätsschmäh
Der österreichische Bundeskanzler Christian Stocker will darüber nachdenken, wie der Staat schlanker werden soll Foto: AFP/John Thys

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Nicht nur in sicherheitspolitischer Hinsicht gefällt sich Österreich in der Rolle des Trittbrettfahrers. Jetzt hofft Wien auf die Segnungen der deutschen Schuldenpolitik.

Wenn die Russen kommen, dann wird uns die NATO schon zu Hilfe eilen. Kein österreichischer Politiker sagt das so, weil ein neutraler Staat auf den Primat der Selbstverteidigung verpflichtet ist. Aber in den Hinterköpfen der meisten Alpenrepublikaner, nicht nur ihrer Politiker, ist der Platz auf dem NATO-Trittbrett fix gebucht. Nur so konnte man es sich leisten, das Bundesheer noch mehr auszuhungern als Deutschland seine Bundeswehr. Nur so kann man es sich leisten, Velina Tschakarowas Analyse zu ignorieren. Die Beraterin des Verteidigungsministeriums warnte kürzlich im Tageblatt-Interview vor einem Bumerangeffekt der Neutralität, sollte Putin die Verteidigungsbereitschaft des Westens austesten wollen, ohne gleich eine Aktivierung von Artikel 5 des NATO-Vertrages zu riskieren. Da könnte nämlich ein Nicht-NATO-Staat ins Visier Moskaus geraten.

Heilige Neutralität

Immerhin hat die vom Kriegsverbrecher im Kreml erwirkte Zeitenwende auch in Wien ein bisschen Nachdenklichkeit ausgelöst. Das Verteidigungsbudget soll bis 2032 von jetzt 0,7 auf zwei Prozent des BIP steigen. Ein großer Schritt für Österreich, aber nur ein kleiner hin zur Selbstverteidigungsfähigkeit. Wirklich konsequent wie Schweden und Finnland ernsthaft über einen NATO-Beitritt (mit noch höheren Verteidigungsausgaben) zu debattieren, wagt kein Politiker, weil vier Fünftel der Österreicher das NATO-Trittbrett, Pardon, die Neutralität heilig ist.

Doch vielleicht hat Österreich schon bald mehr fürs Heer, wenn eine andere Trittbrettfahrer-Rechnung aufgeht: Quer durch alle Parteien freut man sich auf deutsches Manna, welches auf Österreich hernieder regnen soll. Die Aktienkurse der Baukonzerne Strabag und PORR sowie des Stahlkochers Voestalpine haben im März um die 20 Prozent Wertzuwachs erfahren, weil sie als Profiteure der schuldenfinanzierten deutschen Verteidigungs- und Infrastrukturoffensive gelten. Ein österreichisches Pendant zum Mega-Wumms der präsumtiven Berliner Koalition wird es nicht geben, „weil wir den Spielraum nicht haben“, beteuert SPÖ-Finanzminister Marterbauer. Sogar der ÖVP-Wirtschaftsbund findet den deutschen Schuldenberg wunderbar.

Reformmüdigkeit

Denn so kann sich Österreich leisten, was sich der große Bruder nicht leisten konnte: Den Verzicht auf eine Reform des Rentensystems, das bei einem gesetzlichen, tatsächlich drei Jahre darunter liegenden Rentenantrittsalter von 65 Jahren eine Nettoersatzrate auf fast luxemburgischem Niveau von knapp 70 Prozent garantiert. Davon können deutsche Rentner nur träumen. Möglich ist dies, weil – bei steigender Tendenz – ein Viertel des Staatsbudgets in Pensionszuschüsse fließt.

Auch sonst ist der Staat verschwenderisch organisiert. Das Land mit fünf Millionen weniger Einwohnern als Bayern leistet sich neun Bundesländer mit neun unterschiedlichen Bauordnungen, Jagd- und Jugendschutzgesetzen sowie undurchschaubar zersplitterten Kompetenzen im Bildungs- und Gesundheitswesen. Eine in der Verfassung gar nicht vorgesehene Landeshauptleutekonferenz ist zum Machtfaktor und Reformbremsklotz geworden. Im Föderalismus verbirgt sich ein Geldvernichtungsmonster.

Defizitschock

Schon lange geht sich diese Rechnung nicht mehr aus. Das zu Wochenbeginn von der Statistik Austria präsentierte 2024er-Defizit von 4,7 Prozent hat selbst Haushaltsexperten geschockt. Vor der Wahl im September hatte der inzwischen als EU-Kommissar nach Brüssel übersiedelte ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner noch von der Einhaltung der Drei-Prozent-Maastricht-Grenze fantasiert.

Jetzt soll alles anders werden, verspricht die Dreier-Koalition aus ÖVP, SPÖ und Liberalen. Manche Leitartikler hoffen tatsächlich, der Schock werde dieses Mal wirklich heilsam sein. Kanzler Christian Stocker will nachdenken, wie das „Staatsziel schlanker Staat“ umgesetzt werden könnte. Seit Jahrzehnten wird darüber nachgedacht.

Der für Deregulierung zuständige NEOS-Staatssekretär und Hotelier Sepp Schellhorn muss sich warm anziehen. Sein Ansinnen, mit den reformresistenten Landesfürsten Klartext reden zu wollen, quittierte der Vorarlberger ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner mit einer schnoddrigen Zurechtweisung: „Die Republik ist keine Hotelküche“.

Was soll’s: Wenn Österreich keinen Reform-Wumms schafft, bleibt es der Tradition des Trittbrettfahrens treu – diesmal am deutschen Schuldenzug.