Wenn der Ex-Kriegsgegner über das Comeback der Wehrpflicht sinniert, gerät auf dem Balkan auch der Nachbar schnell ins Grübeln. Als Erstes ging zu Jahresbeginn der Generalstab von Serbiens Armee mit dem „Vorschlag“ für die Wiedereinführung des Zwangswaffendienstes in die Offensive. Begründung: Zum Erhalt der Kampffähigkeit müssten deren Reihen angesichts der derzeitigen Sicherheitslage „verjüngt und angefüllt“ werden.
Wenige Tage später beauftragte Kroatiens Premier Andrej Plenkovic angesichts der weltweiten „Sicherheitsgefährdungen“ seinen Verteidigungsminister, ein Konzept für „kürzere“ Wehrdienstkurse auszuarbeiten: In Zagreb wird an einen einmonatigen Pflichtwehrkurs nach der mittleren Reife als Ersatz für die 2008 aufgehobene Wehrpflicht gedacht.
Zu sozialistischen Zeiten wurde Jugoslawiens Volksarmee (JNA) noch zu einem Großteil von Wehrpflichtigen getragen: 100.000 ihrer 180.000 Soldaten waren Rekruten. Nach dem Zerfall des Vielvölkerstaats im blutigen Jahrzehnt der Jugoslawienkriege (1991-1999) speckten die Nachfolgestaaten ihre Streitkräfte stark ab und wandelten sie nach und nach in reine Berufsarmeen um: Als erster schaffte Slowenien 2003 die Wehrpflicht ab. Serbien folgte als letzter 2010.
Ergibt die Wiedereinführung einer verkürzten Wehrpflicht für die ex-jugoslawischen Balkanstaaten Sinn? Finanziell und organisatorisch wäre diese von den meisten der ausgebluteten Armeen der Region derzeit kaum zu stemmen: Auch wegen der schlechten Bezahlung der Berufssoldaten klagen die Berufsverbände grenzüberschreitend über deren anhaltenden Aderlass.
Nostalgische Verklärung des Waffendienstes
Auch den militärischen Nutzen kostspieliger Kurzzeitrekruten halten Analysten für begrenzt. Zwar gilt die Region der unvergessenen Kriege als spannungsgeladener Dauerkonfliktherd. Eine direkte Kriegsgefahr besteht trotz des russischen Einflusses in Serbien und der bosnischen Republika Srpska aber nicht.
Vier der sieben Nachfolgestaaten sind Mitglieder der NATO, die auch in Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo präsent ist: Selbst der offiziell neutrale, von NATO-Mitgliedern umringte EU-Anwärter Serbien verschwendet nach dem verlorenen Kosovokrieg von 1999 trotz regelmäßigen Säbelrasselns ernsthaft keine Gedanken an einen erneuten Waffengang.
Zwar spricht sich grenzüberschreitend eine Mehrheit für die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus, doch oft sind es patriotisch gesinnte Geister oder Ältere, die in Erinnerung an die eigenen Rekrutenerfahrungen in der JNA von der Armee als Schule der Nation und Jugend schwärmen.
Im Gegensatz zu den Wehrpflichtdiskussionen anderer NATO-Staaten haben die Debatten im früheren Jugoslawien kaum etwas mit dem Ukraine-Krieg zu tun. Es ist die nostalgische Verklärung des Waffendienstes, aber auch tief sitzender Argwohn gegenüber den Nachbarn, die gewiefte Würdenträger die Wehrpflicht schon seit Jahren als Wahlkampffutter und für Ablenkungsmanöver nutzen lässt.
Beleibte Männer mit erhöhtem Cholesterinspiegel
In Serbien ist es nach Ansicht von Analysten die sich mehrende Kritik an den manipulierten Parlaments- und Kommunalwahlen im Dezember, die Belgrad nun zum wiederholten Male über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht schwadronieren lässt. Von einem „Spin“ der gut geölten „Propaganda-Maschinerie“ der regierenden SNS spricht der Publizist Nenad Kulacin. Als „Thema zur Ablenkung der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit“ bewertet der TV-Sender N1 den Belgrader Wehrdienstvorstoß, der an ähnliche, aber nie umgesetzte Initiativen in früheren Jahren erinnere.
In Kroatien sind es die im zweiten Halbjahr anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die die Debatte beflügeln. Vor jeder Wahl sei es „dasselbe“, ätzt das Webportal „index.hr“. Eine Gruppe beleibter Männer mit erhöhtem Zucker- und Cholesterinspiegel, „die selbst ein verzweifelter Diktator nie mobilisieren würde“, treffe sich zum „Brainstorming“ der Regierungspartei über den Kampf um die Stimmen aus dem rechten Lager – und hecke das Comeback der Wehrpflicht aus: „Doch das Gerede von der Erhöhung der Kampfbereitschaft durch eine einmonatige Laien-Ausbildung ist ein armseliges Vorwahlmärchen.“
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