Sonntag26. Oktober 2025

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„Akzeptiere die Methoden von Richtung22 nicht“Escher Kulturbeauftragte Josée Hansen über den Streit zwischen frEsch und Richtung22

„Akzeptiere die Methoden von Richtung22 nicht“ / Escher Kulturbeauftragte Josée Hansen über den Streit zwischen frEsch und Richtung22
Josée Hansen am Dienstagvormittag im Garten der Maison Mousset in der rue de Luxemburg, wo der Escher „Service culture“ untergebracht ist  Foto: Editpress/Julien Garroy

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Anfang April hat die langjährige Kulturjournalistin Josée Hansen die Leitung der kulturellen Angelegenheiten der Stadt Esch von Ralph Waltmans übernommen. Insbesondere wegen der Unruhen rund um die ASBL frEsch dürfte es keine einfache Aufgabe für die Beamtin werden. 

Tageblatt: Nach einer langen Journalistinnenkarriere erst bei RTL, danach beim Lëtzebuerger Land, sind Sie 2021 zu Sam Tanson (Grüne) ins Kulturministerium gewechselt. Ein Jahr nachdem Eric Thill von der DP Kulturminister wurde, haben Sie die Stelle von Ralph Waltmans als Direktorin des „Service culture“ in Esch übernommen, wo seit 2017 mit Pim Knaff ebenfalls die DP für Kultur verantwortlich ist. Wieso wollten Sie nach Esch?

Josée Hansen: Als Journalistin hatte ich irgendwann das Gefühl, 100 Mal über alles und jeden geschrieben zu haben, Luxemburg ist klein. Im Kulturministerium habe ich sehr viel gelernt, vor allem, wie Verwaltungen intern funktionieren – Abläufe, Prozeduren, wer wofür die Verantwortung trägt. Das war „super flott“, ich konnte viel bewegen, habe „Assisen“ organisiert. In Esch hat sich mir die Möglichkeit geboten, gestalterisch tätig zu werden. Ich bin nicht Mitglied einer Partei und richte meine Entscheidungen nicht nach politischer Zugehörigkeit aus, sondern nach Möglichkeiten.

Was verbindet Sie mit Esch?

Ich war einst im Verwaltungsrat der Kulturfabrik, weil ich oft dort rumhing. Später war ich Verwaltungsratspräsidentin der Rockhal, als Belval noch fast unbebaut war. Seit dem Kulturjahr 2022 hat sich viel getan: Bridderhaus, Konschthal, die Kufa noch immer; Carole Lorang an der Spitze des Escher Theaters; die Stadtbibliothek, deren Leitung sehr aktiv ist; nicht zu vergessen die Rockhal, die Uni und die Industriebrachen. Das alles interessiert mich sehr und ich möchte mich stärker einbringen, um beispielsweise auch darauf zu achten, dass die Kultur bei der Umgestaltung der Brachen nicht vergessen wird.

Spätestens seit Esch 2022 ist die Kulturpolitik in Esch sehr politisiert …

Esch 2022 wurde sehr skandalisiert, das ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit Politisierung. Wenn eine Stadt in einen bestimmten Bereich investiert, statt in einen anderen, wird das ideologisch gedeutet. Das Kulturjahr 1995 war auch mega skandalisiert: Erst war Guy Wagner Direktor, als er das Handtuch warf, kam Claude Frisoni, danach der Skandal um den „Plakert“… Kulturjahre waren stets skandalbehaftet. Wenn große Budgets zur Verfügung stehen, wird genauer hingeschaut, das ist normal. In Esch herrscht zurzeit vor allem Aufregung wegen frEsch. Ansonsten finde ich, dass hier sehr viel passiert. Das ist der Grund, weshalb Esch mich angezogen hat.

Sie waren am Freitag bei der Debatte über die Zukunft von frEsch im Gemeinderat anwesend. Was ging Ihnen durch den Kopf?

Ich arbeite seit zehn oder elf Wochen in Esch, ich komme in eine Situation, die „historisch gewachsen“ ist. Worüber am Freitag im Gemeinderat diskutiert wurde, ist mir aber nicht neu. Ich finde es gut, dass jetzt beschlossen wurde, die Politik aus dem Verwaltungsrat auszuschließen, weil sich die Dinge dadurch vielleicht etwas beruhigen werden. Es verhindert, dass politische Debatten auch im Verwaltungsrat ausgetragen werden und ermöglicht es dem Verwaltungsrat, sich auf die Governance der ASBL zu konzentrieren.

Werden Sie Mitglied des Verwaltungsrats von frEsch bleiben?

Das weiß ich noch nicht, die ASBL wird die Mitglieder des Verwaltungsrats erst im Sommer bestimmen. Als Beamtin stehe ich selbstverständlich zur Verfügung für die Aufgaben, die mir zugetragen werden.

Die Verwaltung des Bâtiment4 ist eine eher alltägliche Aufgabe, vergleichbar mit der Leitung der Escher Stadtbibliothek oder ähnlichen Häusern. Wenn es der Gemeinde unterstellt wäre, würde vielleicht etwas mehr Ruhe dort einkehren.

Joseé Hansen, Leiterin des Escher „Service culture“

Das Risiko von Interessenkonflikten bei frEsch könnte durch den Ausschluss der Politik gelöst werden, doch es scheint noch immer an Transparenz hinsichtlich der Kontenführung zu mangeln. LSAP und Linke haben vorgeschlagen, Ihnen beziehungsweise dem „Service culture“ das Bâtiment4 (B4) zu unterstellen. Was halten Sie von der Idee?

Pim Knaff hat das vorgeschlagen, LSAP und Linke haben die Idee unterstützt. Ich finde sie auch gut, weil frEsch Events organisiert (Francofolies und „Nuit de la culture“; Anm.d.Red.), die großen Anklang finden. Dafür ist die ASBL mit den „Grands Rêveurs“ gut aufgestellt. Die Verwaltung des B4 ist eine eher alltägliche Aufgabe, vergleichbar mit der Leitung der Escher Stadtbibliothek oder ähnlichen Häusern. Wenn das B4 der Gemeinde unterstellt wäre, würde vielleicht etwas mehr Ruhe dort einkehren.

Im April hat Josée Hansen die Leitung der kulturellen Angelegenheiten der Stadt Esch übernommen
Im April hat Josée Hansen die Leitung der kulturellen Angelegenheiten der Stadt Esch übernommen Foto: Editpress/Julien Garroy

Weil das Kunstkollektiv Richtung22 nach Ablauf seiner Konvention das B4 nicht verlassen will, hat frEsch nun rechtliche Schritte eingeleitet. Hätte man die Angelegenheit nicht anders lösen können?

„Hätten an hate sinn zwou verschidde Staten“, sagen die Luxemburger. Ich kann das nicht beurteilen, ich bin Mitglied des Verwaltungsrats von frEsch, der beschlossen hat, während der laufenden Ermittlungen nicht über die Angelegenheit zu kommunizieren.

„Carole, René, Josée: Wat ass lass mat Iech?“, fragte Richtung22 vergangene Woche in einem offenen Brief im Tageblatt. Was antworten Sie dem Kunstkollektiv?

Ich akzeptiere die Methoden von Richtung22 nicht. Sie sondern mich aus dem Verwaltungsrat von frEsch aus, denken, ich würde über dem Gemeinde- oder Schöffenrat stehen und könnte alles, was bis jetzt beschlossen wurde, über den Haufen werfen. Ich bin Mitglied eines Verwaltungsrats und muss mich an Regeln halten, doch Richtung22 nimmt mich als Geisel. Sie schreiben mir Mails und drohen mir an, sie würden Informationen über den oder den leaken, wenn ich mich nicht persönlich mit ihnen treffe. Ich finde das inakzeptabel und seither ist meine Geduld mit ihnen am Ende. Was soll ich denn als Einzelperson tun? Ich hege Sympathien für ihre Inhalte, begleite ihre Arbeit schon seit zehn Jahren, schaue mir alles an. Ich habe nichts gegen ihre Kunst, aber ich finde ihre Methoden unannehmbar.

Ich bin Mitglied eines Verwaltungsrats und muss mich an Regeln halten, doch Richtung22 nimmt mich als Geisel

Josée Hansen, Leiterin des Escher „Service culture“

Reaktion von Richtung22

Aus Gründen der Fairness baten wir Richtung22 um eine Reaktion zu den von Josée Hansen im Interview an das Kollektiv gerichteten Vorwürfen. Richtung22 ließ dem Tageblatt am Dienstag folgende Stellungnahme zukommen: „Josée Hansen lenkt von ihrer Machtposition und ihren Handlungsmöglichkeiten ab. Weder der Gemeinde- noch der Schöffenrat haben entschieden, die Mediation mit Richtung22 abzubrechen, Lösungsvorschläge abzulehnen und uns vor Gericht zu zerren, um uns gewaltsam auf die Straße setzen zu können. Diese Entscheidungen traf alleine der Verwaltungsrat von frEsch, in dem Josée Hansen als ‚Einzelperson’ sitzt. Auch gibt es dort zumindest offiziell keine ‚Regel’, die besagt, dass sie sich dem politischen Feldzug von Pim Knaff in vorauseilendem Gehorsam zu unterwerfen hat. Wir sind erstaunt, dass sich Josée Hansen jetzt als Opfer inszeniert und unsere Existenz im Bâtiment4 als Drohung, unsere Warnungen als Erpressung und unser Gesprächsangebot als Geiselnahme empfindet.“

Die sogenannte Event-Kultur unter CSV, DP und Grünen wird nicht nur im Gemeinderat, sondern auch in Künstlerkreisen regelmäßig beanstandet. Die Erwartungen an Sie als langjährige Kulturjournalistin des linksliberalen Lëtzebuerger Land sind insbesondere in der politisch linken Kulturszene hoch. Können Sie dem gerecht werden?

Ich kann versuchen, darauf einzuwirken. Meiner Ansicht nach kann man die Event-Kultur nicht ganz einstellen, denn es gibt ein Publikum dafür. Die „Nuit de la culture“ hat durchaus ihre Legitimität, sie ist sehr lebendig. Die Leute können Kultur erleben, ohne sich Gedanken zu machen, ob sie einen Euro dafür ausgeben oder nicht. Die Francofolies abzuschaffen, um einem anderen Haus mehr Geld zu geben, finde ich keine gute Idee. Es wird aber nicht nur in Event-Kultur investiert: Die Konschthal bietet ein auf europäischer Ebene relevantes Programm an. Der Eintritt ist gratis, es werden sehr viele Mediationsprogramme durchgeführt. Carole Lorang setzte im Theater acht Kreationen und zwölf Koproduktionen alleine in der letzten Saison um. Es ist wichtig, dass das Gleichgewicht erhalten bleibt.

Eines der Hauptziele des Kulturplans „Connexions“ lautet, dass bis 2027 Kultur in Esch als „multiculturelle, diverse et accessible“ wahrgenommen wird und jeder daran teilhaben kann. Aus der am Freitag veröffentlichten Studie „100% Esch“ geht jedoch hervor, dass derzeit nur ein Viertel der Bevölkerung regelmäßig an kulturellen Veranstaltungen teilnimmt. Wie kann man das ändern?

Man wird nie das Ziel erreichen, dass 100 Prozent der Menschen sich alles anschauen. Jeder soll für sich selbst entscheiden, was er sich ansehen möchte. Es darf aber keine Barrieren geben: Menschen, die an etwas teilnehmen wollen, sollen das auch tun können. Die Rolle der Politik und von mir als Beamtin ist es, dafür zu sorgen, dass diese Barrieren abgebaut werden. Im Koalitionsvertrag steht, dass die Stadtbibliothek ein neues Gebäude erhalten soll. Das gefällt mir, denn das aktuelle Haus ist zwar sehr schön, aber es ist für Menschen mit Rollstuhl oder Kinderwagen nicht zugänglich, was ein Problem darstellt.

Laut dieser Studie sind die Rockhal und das Kinepolis in Belval die beliebtesten Kulturhäuser in Esch. Institutionen wie Konschthal und Bridderhaus bedienen eher ein Nischenpublikum. Wie schwer ist es, den Spagat zwischen populärer und intellektuell anspruchsvollerer Kultur hinzubekommen?

Wer populärere Musik hören will, kann in die Rockhal gehen, für alternativere Sachen gibt es die Kulturfabrik. Schade ist tatsächlich, dass es im Escher Zentrum kein Kino mehr gibt. Vor dem Hintergrund der Studie wäre darüber nachzudenken, ob die Öffentlichkeit eine Struktur unterstützen sollte, die ein künstlerisches und experimentelles Kinoprogramm anbietet. Pim Knaff hat am Freitag vorgeschlagen, dass die Stadt das Kinosch in der Kufa stärker fördern könnte.

Im Vorgespräch zu diesem Interview haben Sie gesagt, Sie würden gerne etwas über die „spannende Escher Kulturszene“ erzählen. Welche Szene haben Sie damit gemeint?

Aus der am Freitag vorgestellten Studie geht hervor, dass die Escher der Meinung sind, dass sie die Kultur in ihrer Stadt positiver sehen als im Rest des Landes und sie es schade finden, dass Esch ein etwas negatives Image hat. Ich finde das auch schade, dass in den Zeitungen fast nur über den Streit bei frEsch berichtet wird und das künstlerische Schaffen etwas in den Hintergrund gerät. Schon bevor ich hier gearbeitet habe, war ich regelmäßiger Gast in der Konschthal und habe interessante Künstler dort kennengelernt. Carole Lorang bietet im Theater ein beachtenswertes Programm an und hat die richtige Einstellung, um die Menschen an die Kunst heranzuführen. Das sind kleine, doch sehr wertvolle Schritte. Ins Theater kommen inzwischen auch „Stater“ und denen fällt das auf, das finde ich sehr spannend. Auch die Industriebrachen sind „immens“, um sich neu zu erfinden. Natürlich stecken dahinter kommerzielle Interessen des Eigentümers, doch Esch kann sich mit einbringen, um Raum für seine Künstler und Vereine zu schaffen. Nicht zu vergessen das Projekt „Cultures of Assembly“ in der Brillstraße, wo der Inhaber des Lehrstuhls der Stadt Esch an der Uni Luxemburg, Markus Miessen, urbane Entwicklung und partizipative Prozesse in den Mittelpunkt stellt.

Die Kunst in Esch spielt sich vor allem in institutionalisierten Räumen ab, die öffentlich gefördert und zum größten Teil auch gesteuert sind. Woran es fehlt, sind Freiräume zum Experimentieren und zur künstlerischen Entfaltung. Das B4 war ursprünglich als selbst verwaltetes Kulturzentrum geplant, daraus wurde aber nichts. Woran liegt das?

Einerseits am Immobilienmarkt, der dafür sorgt, dass kaum Orte existieren, die zu besetzen wären. Initiativen wie die zur Rettung des früheren Schlachthauses, in dem sich die Kulturfabrik heute befindet, gingen in den 80er Jahren von Schülern und Studenten aus – Gegenkultur kann nicht von der Gemeinde verordnet werden. Andererseits ist der Kunst- und Kulturmarkt in Luxemburg viel zu klein: Wenn die öffentliche Hand mein Produkt nicht bezahlt, wer dann? Vor allem ganz kleine Szenen müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen.

Im B4 zeichnet sich jetzt eine Besetzung ab, was aber durch rechtliche Schritte von der Stadt gleich im Keim erstickt wird. Die politischen Diskussionen im Gemeinderat erinnern zum Teil an die über die Kufa Ende der 80er Jahre.

FrEsch bezahlt für das B4 Miete an Arcelor-Mittal, komplett frei ist diese Szene also nicht. Ich weiß auch nicht, wo sich in Esch oder sonst wo in Luxemburg Räume zur Freigestaltung finden ließen. Ich weiß nur, dass eine Gemeinde nicht entscheiden kann, dass junge Menschen rebellisch sein sollen.

Beginnt jetzt der Häuserkampf? 
Beginnt jetzt der Häuserkampf?  Foto: Editpress/Julien Garroy
HeWhoCannotBeNamed
21. Mai 2025 - 15.30

Interessantes Interview!
Auch wenn ich prinzipiell die Existenz einer Lifestyle-Dadaisten-Truppe in der Escher Kulturlandschaft begrüße, nein, als Notwendigkeit betrachte : Richtung22 bringen es immer wieder fertig, den Ast abzusägen auf dem sie sitzen. Und vergessen dabei das, was Frau Hansen hier trefflich formuliert : "Gegenkultur kann nicht von der Gemeinde verordnet werden".
Dabei gibt es wichtigere Fragen als das Bâtiment4 : wie legitim ist noch die Existenz von frEsch; wie kann das francofolies Festival gestaltet werden dass es tatsächlich im Einklang mit Bevölkerung und Natur ist; usw.

Lucilinburhuc
21. Mai 2025 - 15.09

Rhetorische Frage; wieso liegt die Luxembourger Entscheidungsträger so oft im Clinch mit der Kunst und vor allem Künstler? Werden diese Personen nach Kompetenz oder Verbindungen ausgesucht ?

Aufermann Knut
21. Mai 2025 - 15.07

Als international tätiger freier Kurator bin ich schon vor 2022 auf Richtung22 aufmerksam geworden durch Artikel in der englischen Zeitung The Guardian. Während der Kulturhauptstadt konnte ich Richtung22 dazu gewinnen eine 22-stündige Live-Radiosendung zu produzieren, die sie mit einer unangekündigten, symbolischen Besetzung des Brill-Platzes in Esch verbanden. Dazu gehört Mut, Professionalität und wie in allen ihrer Arbeiten eine große Prise Humor. Ich sehe sie in einer Reihe mit den Yes Men und auch Christoph Schlingensief. Richtung22 hat internationale Strahlkraft und ist ein Grund warum ich auch weiterhin die Luxemburgische Kunstszene beobachte.