Dienstag21. Oktober 2025

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Luxemburg-Stadt„Es war traumatisch“: Wie eine Mitarbeiterin der Caritas den Skandal erlebte

Luxemburg-Stadt / „Es war traumatisch“: Wie eine Mitarbeiterin der Caritas den Skandal erlebte
Rund zwölf Jahre arbeitete Ana Luisa Teixeira für die Caritas und wechselte nach Bekanntwerden der Betrugsaffäre zu „Hëllef um Terrain“ Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Ein Millionenbetrug bei der Caritas erschütterte im Sommer 2024 den sozialen Sektor. Der Fall hatte Auswirkungen auf zahlreiche Projekte und den Alltag vieler Angestellter. Eine von ihnen ist Ana Luisa Teixeira, die bei der ehemaligen Caritas den Bereich „Sensibilisierungsprogramm“ koordinierte. Im Zentrum „Lët’z Refashion“ in der Oberstadt erzählt die 51-Jährige, wie sie sich für den Fortbestand ihres Herzensprojekts einsetzte. 

Tageblatt: Seit 2012 arbeiteten Sie bei der Caritas und waren seit 2018 gemeinsam mit ihrem Team sowie „Fairtrade Lëtzebuerg“ für die Kampagne „Rethink your Clothes“ verantwortlich. Im Rahmen davon wird im Zentrum „Lët’z Refashion“ in der Oberstadt zum Thema Überkonsum bei Kleidung informiert. Wie hat der Betrugsskandal das Projekt beeinflusst?

Ana Luisa Teixeira: Nachdem der Skandal im Juli öffentlich wurde, war schnell klar, dass die Kooperation (Anm. d. Red.: Die „Direction de la coopération au développement et de l’action humanitaire“ des Außenministeriums) uns nicht weiter unterstützen kann. „Fairtrade Lëtzebuerg“ – die mit uns für die Kampagne „Rethink your Clothes“ verantwortlichen war – wird weiter von der Kooperation unterstützt, die neue Vereinigung „Hëllef um Terrain“ (HUT) allerdings nicht. Die Caritas konnte nicht mehr für das Projekt „Lët’z Refashion“ aufkommen und ab September hatten wir keine Fördermittel mehr.

Das Projekt stand also kurz vor dem Aus. Welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf? 

Nach dem ersten Schock musste ich handeln. Ich wollte „Lët’z Refashion“ retten und musste proaktiv handeln. Mir war bewusst, dass ich nicht darauf hoffen konnte, dass der Verwaltungsrat der Caritas die Probleme regelt. Ich musste selbst eine Lösung finden – und ich wäre später nicht mit mir im Reinen gewesen, wenn ich das nicht versucht hätte. Es gab viele schwierige Versammlungen und ich ging von einem Ministerium zum nächsten. Das Umweltministerium hatte bereits ein Projekt mit Accessoires aus upgecycelten Militär- sowie Polizeiuniformen unterstützt und ich fragte mich, ob es nicht noch mehr beitragen wollte.

Auch wenn Ana Luisa Teixeira heute gefasst über die Ereignisse der letzten Monate berichten kann, liegt eine schwere Zeit hinter ihr
Auch wenn Ana Luisa Teixeira heute gefasst über die Ereignisse der letzten Monate berichten kann, liegt eine schwere Zeit hinter ihr Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Auf die Unterstützung der Caritas konnten Sie zu dem Zeitpunkt also nicht zählen, sagen Sie. Wie ging es weiter?

Das Umweltministerium sagte uns seine Unterstützung zu und soll bald eine vierjährige Konvention mit HUT unterzeichnen. Der Antrag wird aktuell überprüft. Wir führen das Projekt nun ohne „Fairtrade“ weiter. Damals suchte ich den Austausch mit PwC (Anm. d. Red.: PricewaterhouseCoopers), da sie zu dem Zeitpunkt die Zügel in der Hand hatte. Anfang August präsentierte ich Christian Billon und dem Krisenkomitee das Projekt. Heute wirke ich gefasst – schließlich konnte ich das Projekt und meine Arbeit retten. Doch Oktober und November waren nur schwer zu ertragen. Da kamen die Nachwehen, als mir klar wurde, dass das Projekt weitergeht und ich mich ausruhen kann. Der Stress seit Juli hat Spuren hinterlassen. Es war traumatisch. 

Sie erwähnen PwC, also eine Beraterfirma, deren Einsatz im Skandal um die Caritas für viel Kritik sorgte.

Es gab viel Ablehnung und ich verstehe, dass man PwC als einem der „Big Four“ gegenüber kritisch eingestellt ist. Doch in diesem Fall haben sie außergewöhnliche Arbeit geleistet. Sie standen vor einer historischen Herausforderung, die nur wenige hätten bewältigen können. In meinen Augen verfügen in Luxemburg nur sehr wenige Organisationen über die nötigen Kompetenzen für eine solche Aufgabe. Die Mission von PwC war letztlich die Rettung von dem, was von der Caritas noch übrig war: die Beschäftigten. Meiner Meinung nach ist ihnen diese Mission gelungen.

Mein Vertrag mit HUT ist besser als alles, was ich je bei der Caritas unterschrieben habe

Ana Luisa Teixeira

Viele waren allerdings nicht damit einverstanden, wie die Übernahme der Angestellten von der Caritas zu HUT ablief.

Nur wenige Tage nach Bekanntwerden des Skandals fand eine große Versammlung mit dem OGBL statt. Die Gewerkschaft kritisierte die neuen Verträge, die wir mit HUT unterzeichnen sollten. Ich kann das nicht nachvollziehen, denn ich für meinen Teil hatte einen ganzen Tag lang Zeit, bevor ich unterschrieb. Ich konnte das Dokument mit in mein Büro nehmen und es dort in Ruhe lesen. Es wurde bemängelt, dass neue Punkte enthalten seien. Das kommt daher, dass unsere Verträge große Lücken hatten – zum Beispiel was die Nacht- oder Sonntagsarbeit angeht. Mein Vertrag mit HUT ist besser als alles, was ich je bei der Caritas unterschrieben habe. 

Sie sprechen von traumatischen Erlebnissen. Was hätte die Caritas anders machen müssen?

Ich war im Urlaub, als alles öffentlich wurde. In einer ersten Reaktion schrieb ich dem Generaldirektor eine Nachricht, um ihm Mut zu machen und zu sagen, dass wir Lösungen finden würden. Er hat nie darauf geantwortet – vermutlich hatte er andere Sorgen. Ich wollte solidarisch sein, denn die Caritas bedeutete mir viel – so wie vielen anderen auch. Viele aus dem Team hatten keine Motivation mehr oder wurden krank. Auch bei mir war das so, Ende Oktober, nachdem ich wusste, dass „Lët’z Refashion“ gerettet ist. Für uns war das alles mehr als nur Arbeit, was die Erfahrung umso traumatischer machte.

Das Projekt

Im Rahmen der Kampagne „Rethink your Clothes“ eröffneten Caritas Luxemburg und „Fairtrade Lëtzebuerg“ das Zentrum „Lët’z Refashion“ am Hamilius in Luxemburg-Stadt. Im Juli 2022 zog dieses in die rue Genistre in der Oberstadt. Provisionsfrei bieten dort rund 70 Kreative ihre Ware an, etwa upgecycelte Kleidung aus Gardinenstoff. Doch der Fokus liegt nicht auf dem Verkauf, sondern auf der Sensibilisierung. So soll die Öffentlichkeit über durch die Textilindustrie verursachte Umwelt- und Sozialschäden aufgeklärt werden. Dafür besucht das Team Schulen oder empfängt in dem Zentrum Klassen. Aber auch für die Öffentlichkeit werden dort Workshops zum Thema Upcycling oder zur Reparatur von vor allem Kleidung angeboten. Freitags kann man zwischen 14.30 und 17.30 Uhr Kleidungsstücke flicken lassen. Nach dem Betrugsskandal bei der Caritas ist nun allein „Hëllef um Terrain“ dafür verantwortlich. Künftig soll das Projekt vom Ministerium für Umwelt, Klima und Biodiversität gefördert werden.  

Mehr Kommunikation hätte Ihnen zufolge also die Ereignisse erträglicher gemacht. 

Die Presse berichtete täglich darüber, doch intern sprach niemand von der Caritas mit uns. Vier Personen aus der Direktion waren krankgeschrieben. Unsere ganze Hingabe hatte bis dahin der Caritas gegolten – doch sie ließ uns im Stich. Die fehlende Kommunikation war schwer zu ertragen, weil wir nicht wussten, was auf uns zukommt. Durch die permanenten Verhandlungen veränderte sich die Situation ständig. Am Ende bestimmten die Medien das Narrativ.

Plötzlich schämten wir uns, wenn wir sagten, dass wir für die Caritas arbeiteten

Ana Luisa Teixeira

Über einen längeren Zeitraum war die Caritas fast tagtäglich Thema. Wie war das für die Angestellten?

Plötzlich schämten wir uns, wenn wir sagten, dass wir für die Caritas arbeiteten. Vorher brachte die Arbeit ein gewisses Prestige mit sich: Wenn ich beim Abladen der Kleider für den Laden mit dem Auto die Straße blockierte, erklärte ich, dass ich für die Organisation arbeite und niemand beschwerte sich. Das haben wir verloren. Nach allem, was der Caritas passiert ist, hatten wir auch nicht mehr die richtigen Voraussetzungen und die Legitimität für ein politisches Plädoyer. Unser Name war beschmutzt. Man kann der Regierung keine Empfehlungen geben, wenn die eigene Organisation keinen Bestand hat. Wir hatten unser Gesicht verloren.

Bei „Lët’z Refashion“ kann man unter anderem upgecycelte und Secondhand-Kleider kaufen, mehr über den Überkonsum bei Kleidung erfahren oder an Workshops teilnehmen
Bei „Lët’z Refashion“ kann man unter anderem upgecycelte und Secondhand-Kleider kaufen, mehr über den Überkonsum bei Kleidung erfahren oder an Workshops teilnehmen Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Welche Auswirkungen hatte all das auf „Lët’z Refashion“ und die Aktivitäten des Zentrums? 

Es gibt im Zentrum Workshops – zum Beispiel zum Thema Upcycling. Diese gingen weiter. Das Gleiche gilt für den Verkauf, der sogar in die Höhe ging. Zwei oder drei Menschen im Laden stellten Fragen, doch eher um zu erfahren, ob wir weitermachen. Der Skandal hielt die Kundschaft nicht vom Einkaufen ab. Zwischen Oktober und Dezember wurden außerdem 70 neue Verträge zwischen HUT und den Kreativen unterschrieben, die hier zum Beispiel upgecyclte Kleidung anbieten. Der Erlös geht vollständig an sie. Bei den Zahlungen an sie gab es Verspätungen, doch bis Jahresende war das geregelt.

Wie geht es weiter, wie blicken Sie nach all dem der Zukunft entgegen?

„Lët’z Refashion“ ist viel mehr als nur ein Laden. Wir bieten Workshops an, informieren die Besucher des Zentrums und sensibilisieren in Schulen – das taten wir auch während der Krisenzeit. Nun wollen wir unsere Sensibilisierungsarbeit in Gemeinden und Unternehmen ausbauen. In unserem Team waren wir vorher zu sechst, doch zwei kündigten und eine Person ging in Rente. Die Krise hat uns verbleibenden drei zusammengeschweißt und wir sind wieder motiviert. Bald werden neue Personen eingestellt. Wir haben gesehen, dass das Projekt die nötige Anerkennung erhält. Ich werde HUT genauso viel geben wie der Caritas. Aber es wird Zeit brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen.


Hat der Caritas-Skandal Ihre Meinung zur Arbeit von Angestellten im sozialen Bereich beeinflusst?


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Bettendorff Marcia
25. Februar 2025 - 18.20

""Mein Vertrag mit HUT ist besser als alles, was ich je bei der Caritas unterschrieben habe."

Ja, die nehmen sogar Nicht-Christen!

Grober J-P.
25. Februar 2025 - 9.37

"Mein Vertrag mit HUT ist besser als alles, was ich je bei der Caritas unterschrieben habe."
Was anderes sagen wäre kontraproduktiv!

Leila
24. Februar 2025 - 23.40

Schön zu sehen, dass sie wieder lächeln kann! Sie hat ihre Gefühlslage und die der anderen ohne zu jammern gut beschrieben. Alles Gute den ohne eigenes Verschulden Leidtragenden für die Zukunft gewünscht!