Entdecker neuer Musikwelten: Der Radio-DJ John Peel wäre am 30. August 80 Jahre alt geworden

Entdecker neuer Musikwelten: Der Radio-DJ John Peel wäre am 30. August 80 Jahre alt geworden

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DJs sind fast ausnahmslos unkreativ und unproduktiv. Sie, die Parasiten, nutzen die Kunst anderer, um sich zu „Lenkern des öffentlichen Geschmacks“ aufzuschwingen. So hat es John Peel gesehen. Der Radio-DJ des 20. Jahrhunderts schlechthin wollte niemals der Star mit der Hand an den Reglern sein, die Macht und Einfluss im Musikbusiness bedeuten, obwohl er für so viele dieser Star war.

Von Oliver Seifert

Wenn Musiker sich ausgiebig im Scheinwerferlicht sonnten, amüsierte ihn das nur, wenn seine Fans, die „Peeliten“, ihn auf der Straße oder im Konzert in nervöser Ehrfurcht ansprachen, erschrak er ob ihrer Demutshaltung. Keiner der Hörer seiner Radiosendungen, die er einlud zu sich nach Hause, ihnen Adresse und Telefonnummer gab, kam je vorbei, klagte Peel in seinem Tagebuch. Er war ja selbst schüchtern, gehemmt, ein Eckensteher und Mann im Hintergrund, ein Fan im Schatten der Popstars.

In den Mittelpunkt rückte John Peel konsequent die Musik. Er spürte sie fernab des Mainstreams auf, je ungewöhnlicher, radikaler, desto willkommener. Für die Auswahl der Künstler und Songs gab es keine handfesten, analytischen Kriterien, wenig Chance allerdings hatte, wer im Presseinfo mit Jazz als Stil, den New York Dolls, Stooges, MC5 als Inspiration oder einer Saxofonistin als Hingucker warb.

Sein Ansatz war subjektiv, gespielt wurde nur, was gefiel. Immer auf der Suche nach dem Song, der für den Moment der größte war, dafür stand John Peel – bis zur Sucht offen für alles umwerfend Neue – an seiner Anlage und hörte, wenn er Zuhause war, von morgens bis weit in die Nacht die Platten, Kassetten und CDs, von denen er Hunderte pro Woche zugeschickt und zugesteckt bekam.

Eine Lebensaufgabe, die er nicht delegieren konnte, denn die Gefahr, etwas für ihn Bedeutendes zu verpassen, war viel zu groß.

John Peel spielte, angefixt von den Ramones, als einer der Ersten 1976 Punk im Radio, entdeckte Reggae, Hip-Hop und elektronische Musik. Er war stets früher dran als seine Kollegen, stand am Anfang der Karrieren von T. Rex, Pink Floyd, Napalm Death, P.J. Harvey, The Smiths, Nirvana, Aphex Twin oder White Stripes. Erfreut, aber entspannt uneitel nahm er deren Erfolg zur Kenntnis.

Erste Erfahrungen in den USA

So war es auch bei seinen zwei liebsten Lieblingsbands, aufgetan 1978: The Undertones mit dem Lieblingslied „Teenage Kicks“, auch zu seiner Beerdigung erklungen, und The Fall, deren Alben alles Lieblingsalben waren und als einzige – wie ein Schatz – separat gehütet wurden. The Fall gastierten so oft wie keine Band in den legendären „Peel Sessions“, erst eingespielt in einem BBC-Studio, dann im Bauernhaus in Suffolk, in dem er mit seiner Frau und vier Kindern lebte.

John Peel wurde am 30. August 1939 als John Ravenscroft in Heswall nahe Liverpool geboren. Nach Schule und Militär ging er in die USA. Dort sammelte er erste Erfahrungen bei einem Radiosender in Dallas, bevor er nach seiner Rückkehr 1967 beim größten englischen Piratensender die Sendung „The Perfumed Garden“ moderierte.

Der Sender wurde verboten, Peel landete beim neu gegründeten BBC Radio 1, dem er knapp 40 Jahre verbunden blieb. In seinen posthum erschienenen, von seiner Frau Sheila vollendeten Memoiren betonte er die Freiheit, die ihm seinerzeit der öffentliche Rundfunk bot: Niemand redete ins Programm rein, geriet es auch häufig sehr exzentrisch.
Auszeichnungen erhielt Peel, der im Alter von 65 im Peru-Urlaub einem Herzinfarkt erlag, viele: mehrmals „DJ des Jahres“ beim Melody Maker, Titel „Godlike Genius“ („gottähnliches Genie“) vom New Musical Express, britischer Verdienstorden.

Seine letzte Sendung vom 14. Oktober 2004 nahm die BBC zum Anlass für den „John Peel Day“ – alljährlicher Ehrentag für den berühmtesten Radio-DJ der Welt.
Was seine Sendungen letztlich ausmachte? Die radiountaugliche Stimme? Die bei falscher Geschwindigkeit abgespielten Vinylscheiben? Die vielen Geschichtchen aus dem Familienalltag? Humor, Freundlichkeit, Begeisterung? Der große Respekt gegenüber der Musik, den Urhebern und den Hörern? All das und noch viel mehr.