Eine verrückte Familie: Die erste Travestie-Truppe Luxemburgs wird 40

Eine verrückte Familie: Die erste Travestie-Truppe Luxemburgs wird 40
Jean-Marie, Gusty und Marcel traten am Anfang als Glass Family auf.

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Die Fada’s Family ist im wahrsten Sinne des Wortes eine verrückte Familie: Eine Travestie-Gruppe, die auf 40 Jahre Erfahrung zurückblicken kann. Fast ein halbes Jahrhundert, in dem sich die Sicht der Gesellschaft auf die LGBTQ-Community gewandelt hat, und daran waren Roby, Marcel, Jean-Marie, Gusty und ihre Nachfolger nicht unbeteiligt.

Alles hat 1978 im Café „Fada“ in der Hollericher Straße in Luxemburg angefangen. Damals sind Jean-Marie, Gusty und Marcel als Glass Family in Robys Bar aufgetreten. Roby, ein sehr männlicher Typ, breite Schultern, Haare auf der Brust, hat damals aus Jux mitgemacht. Er hat sich verkleidet, seine Brusthaare unter den ausgestopften Brüsten gut sichtbar – er war der Clown der Truppe. Das Publikum liebte das Quartett, und so kam es, dass sich die vier überlegten, gemeinsam weiterzumachen. Aus dem Zusammenschluss der Glass Family und Roby, Besitzer des „Fada“, wurde die Fada’s Family. Der Anfang einer Ära.

Als in den 80er Jahren Tausende Menschen, vorwiegend Homosexuelle, an Aids starben, war das auch für die Fada’s Family wie ein Schlag ins Gesicht. Eines der Gründungsmitglieder, Roby, erlag 1991 der Krankheit. „Er war der erste Homosexuelle, der in Luxemburg an Aids starb. Alles, was wir uns bis dahin aufgebaut hatten, war batsch, einfach futsch“, erinnert sich Marcel Dichter aka Sonia zurück. Er war damals gerade für eine Show mit Jean-Marie in Lübeck, als sie die schreckliche Nachricht bekamen.

Die Truppe ist als Trio weiterhin aufgetreten. Das war damals alles andere als einfach. Sätze wie „Da kommen die Aids-Kranken“ waren keine Seltenheit. Trotzdem hat die Travestiegruppe durchgehalten. „Wir sind weiterhin aufgetreten und haben uns nie zu solchen Kommentaren geäußert“, sagt Marcel. Die Truppe hat stattdessen ihre Stimme genutzt, um aufzuklären und um Spenden für Betroffene zu sammeln.

„Die Travestie-Bewegung hat über Jahrzehnte zur Offenheit der Gesellschaft gegenüber der LGBTQ-Community (Lesbian, gay, bi, trans, queer) und damit auch gegenüber HIV-Infizierten beigetragen“, bestätigt Roby Antony, Verantwortlicher des schwul-lesbischen Informationszentrums Cigale. Die Fada’s Family habe früher als eine Art Brücke fungiert, welche die Gesellschaft mit der Szene zusammengebracht hat. Marcel Dichter erinnert sich, dass sie in den 80ern an Orten in Luxemburg aufgetreten sind, in denen die Einwohner noch nicht einmal wussten, dass Homosexualität überhaupt existiert. Die Fada’s Family hat ihnen diese Diversität nähergebracht – auch durch die mit ihrem Erfolg zusammenhängende Mediatisierung.

In der Schmuddelecke

„Travestie und HIV hatten in den 80ern eine Gemeinsamkeit: Sie wurden in die gleiche Schmuddelecke gedrängt“, sagt der Cigale-Verantwortliche. Es war ein Tabu-Thema über das nur in Schwulen-Bars offen diskutiert werden konnte: „Der Ort, an dem Travestie-Shows stattfanden, war gleichzeitig auch der Rückzugsort der Community, die damals am schwersten mit der Krankheit und seinen Folgen zu kämpfen hatte.“

Die Fada’s Family schafft es, sich von dem Imageschaden zu erholen und performt sich zurück in die Herzen der Luxemburger. Marcel Dichter berichtet sogar, dass er eine Zeit lang wie ein Star behandelt wurde, ihm im Cactus sogar an der Kasse der Vortritt gelassen wurde. Für einige Jahre wandert die Truppe sogar nach Gran Canaria aus, „the place to be“ in der Szene. Die Abschiedsfeier im Theater der Stadt Luxemburg war gigantisch – 800 Menschen waren gekommen und viele Tränen sind geflossen. Aber die Fada’s kamen zurück.

„Nach und nach kamen immer weitere Gruppen hinzu, die uns kopierten“, sagt Mike Schmitz, der seit dem Jahr 2000 dabei ist, „der Konkurrenzkampf ging los.“ Auf einmal hat es nicht mehr gereicht, nur Faxen zu machen. „Wir mussten viel mehr bieten“, erinnert sich der 37-jährige. Alles wurde größer, funkelnder und auch teurer: „Hat eine Show früher 200.000 Luxemburger Franken gekostet, bezahlen wir heute umgerechnet eine halbe Million Luxemburger Franken dafür, also zwischen 10.000 und 20.000 Euro.“ Die Materialien für die Shows kommen aus der ganzen Welt. „Das Internet hat das viel einfacher gemacht. Früher mussten wir reisen, um alles zu bekommen. Heute geht das per Mausklick.“

Travestie und Internet

Das Internet brachte auch eine ganz andere Wahrnehmung von Travestie mit sich. Amerikanische Dragqueens und Shows wie „RuPauls Drag Race“ haben die Latte extrem hochgelegt. „Da können wir einfach nicht mithalten“, sagt Schmitz, der selbst schon in Amerika aufgetreten ist. „Da drüben sind sie echt verrückt. Ich habe dort einmal gesehen, wie eine Dragqueen auf einen Bus geklettert ist und herunter, in den Spagat, gesprungen ist. Das mache ich heute nicht mehr – und das hätte ich auch mit 20 nicht gemacht“, sagt der ehemalige Kunstturner.

Wer heute mit Travestie anfängt, hat es viel einfacher als noch vor 20 Jahren; dessen ist sich Schmitz sicher. „Diejenigen, die heute hinzukommen, machen etwas nach. Der Weg ist schon da. Aber er musste erst geebnet werden, da liegt das Problem.“ Ein 20-Jähriger könne heute mit Travestie anfangen und zack bekannt sein. Das jüngste Mitglied der Fada’s Family ist 24. „Cédric ist gekommen und war sofort da, alles saß“, sagt Schmitz über seinen Schützling. Hätte er selbst früher die Möglichkeiten gehabt, die es heute gibt, hätte er Travestie zu seinem Hauptberuf gemacht. Aber dieser Zug sei heute abgefahren.

Trotzdem ist Mike Schmitz aus Überzeugung ein Mitglied der Fada’s Family: „Die Gruppe wird es mindestens so lange geben, bis ich nicht mehr da bin. Dann wünsche ich mir, dass Cédric die Truppe übernimmt.“ Schmitz hat sich das Projekt zu Herzen genommen. „Ich habe es mir zur Mission gemacht, den Namen hoch und heilig zu halten – aus Respekt vor dem, was die vor mir auf die Beine gestellt haben.“

Es sind viele Travestie-Gruppen gekommen und gegangen – genauso sind innerhalb der Fada’s Family viele Künstler ein Stück vom Weg mitgegangen und wieder verschwunden. 2016 hat mit Jean-Marie das letzte Gründungsmitglied die Truppe verlassen. Trotzdem hält sich die verrückte Familie auf dem Markt – und zaubert an den Wochenenden mit viel Glitzer und Federschmuck ein Lächeln in die Gesichter des Publikums. The show must go on!