MigrationEine Abschiebung und ihre schweren Folgen für eine Familie

Migration / Eine Abschiebung und ihre schweren Folgen für eine Familie
Anwältin Fatim-Zahra Ziani und ihre beiden Mandantinnen Imen und Khadija Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Vor knapp 21 Jahren wurde eine bosnisch-tunesische Familie ausgewiesen. Der Vater landete im Gefängnis und wurde gefoltert. Zwei seiner Töchter sind in das Land zurückgekehrt, das sie einst abgeschoben hat.

Taoufik Salmi blickt nachdenklich auf das Stück Land, das vor ihm liegt. Die Kargheit der Natur in der Gegend um Sidi Bouzid in der Mitte Tunesiens verlangt den Bewohnern einiges ab. Die Tiere, die sie halten, und das Obst und Gemüse, das sie dem Boden abgewinnen, müssen zum Leben reichen. Taoufik hat ein Haus gebaut. Seine Gedanken schwanken zwischen Vergangenheit und Zukunft, dazwischen ist das Hier und das Jetzt.

In Sidi Bouzid, der Hauptstadt des gleichnamigen Regierungsbezirks, zündete sich im Dezember 2010 der Gemüseverkäufer Mohamed Bouazizi an, der kurze Zeit später verstarb – ein Funke sprang über und löste die Tunesische Revolution und schließlich den Arabischen Frühling aus, der den Diktator Zine al-Abidine Ben Ali 2011 stürzte.

Hier in der Einöde des politischen Epizentrums der einstigen Revolution hat Taoufik seine Töchter Yamina, Imen und Khadija* großgezogen. Sie sind zusammen mit ihrem Vater in dem Dokumentarfilm „A Haunted Past“ zu sehen: wie die drei Mädchen beim Bewirtschaften des Landguts und im Haushalt helfen – und Taoufik, wie er zusammen mit anderen Männern ein Haus baut, in dem er einmal wohnen will.

Fatma Riahi hat sich erinnert, wie sie in ihrer Kindheit drei Pflegeschwestern hatte, die zusammen mit ihrer Mutter von ihrer Familie aufgenommen worden waren. Sie forschte nach, was aus den drei Mädchen geworden war. Behutsam erzählt sie die Geschichte der Familie, indem sie die Protagonisten, vor allem Taoufik und Yamina, die älteste der drei Töchter, zu Wort kommen lässt.

Unrühmliche Aktion der Sicherheitskräfte

Taoufik hatte einst in den 90er Jahren seine Heimat verlassen und war in den Balkankrieg gezogen, um auf der Seite der Bosniaken zu kämpfen. Er heiratete die Bosnierin Marcida und zog mit ihr nach Luxemburg, wo die beiden jüngeren Töchter Imen und Khadija zur Welt kamen. Die Familie stellte einen Asylantrag, der allerdings im März 2002 abgelehnt wurde. Am 31. März 2003 wurde Taoufik als vermeintlicher Terrorist bei einer groß angelegten Razzia der Luxemburger Polizei und des Geheimdienstes festgenommen. Später wurden mehrere Familien, die betroffen waren, für die in Teilen missglückte – die Polizei hatte sich unter anderem an einer Tür geirrt – und gewaltsame Aktion der Sicherheitskräfte entschädigt.

Zusammen mit seiner zu dieser Zeit schwangeren Frau, die nach Worten der Menschenrechtlerin Luiza Toscane auch in Abschiebehaft kam und bei der Ausweisung ihr Kind verlor, und seinen Kindern wurde er am 3. April 2003 nach Tunesien abgeschoben, obwohl die vier weiblichen Familienmitglieder nie zuvor tunesischen Boden betreten hatten und dem Familienvater dort unter der Ben-Ali-Diktatur als bekennendem Anhänger der islamistischen Bewegung Ennahda, die heute eine gemäßigt islamische Partei ist, Haft und Folter drohten. Der für die Asylpolitik und die Abschiebung damals verantwortliche Justizminister war Luc Frieden.

Mit der Abschiebung hatte Luxemburg gegen eine Konvention verstoßen, die besagt, dass niemand in ein Land abgeschoben werden dürfe, in dem ihm Folter drohe. Bis heute ungewiss ist, warum er ausgewiesen wurde, weil er keine gültigen Papiere hatte oder weil er angeblich Terrorist war und einen Anschlag plante. Bereits am Flughafen von Tunis wurde er verhaftet. Er kam ins Gefängnis und wurde mehrere Tage gefoltert. Unterdessen lebten Marcida und ihre Töchter bei der Familie von Fatma Riahi in der Hauptstadt.

Taoufik kam nach sechs Jahren Haft wieder frei, wurde aber zu einer zusätzlichen Strafe von fünf Jahren unter behördlicher Kontrolle verurteilt. Täglich hätte er sich bei einem Posten der Nationalgarde melden müssen, 32 Kilometer von seinem Wohnort entfernt. Das hinderte ihn daran, eine feste Arbeitsstelle zu finden und die nötigen Transportkosten zu bezahlen. Außerdem war er nicht in der Lage, den Unterhalt für seine Familie zu bezahlen. Die Strafe erwies sich faktisch als eine Art Hausarrest, denn Reisen war ihm nicht erlaubt. Es war ihm nicht möglich, seine Familie in Tunis zu sehen. Einen Reisepass erhielt er erst recht nicht.

Film über eine zerrissene Familie

Die Vergangenheit spielt in „A Haunted Past“ insofern nicht nur wegen des Titel eine Rolle, weil insbesondere Yamina häufig über ihre Mutter spricht. Sie hat die Familie verlassen, sich von Taoufik scheiden lassen und ist wieder nach Bosnien zurückgekehrt. Die älteste Tochter, die vor der Kamera zu Wort kommt, spricht über ihr Gefühl der Verbitterung und über das Leben auf dem Land.

Filmplakat von Fatma Riahis Dokumentarstreifen
Filmplakat von Fatma Riahis Dokumentarstreifen

Taoufik hingegen zeigt sich als ein Mann, der einerseits den Traditionen verhaftet ist, andererseits sich um die Zukunft seiner Töchter kümmert. Er erzählt von den Spaziergängen mit den Kindern in den Wäldern Luxemburgs. Taoufik scheint traurig und traumatisiert, untröstlich und wütend zugleich zu sein über das, was ihm widerfahren ist. Fatma Riahis Film zeugt von Menschen, die ihre Heimat aufgegeben haben, um im Westen Europas ihr Glück zu suchen, die dort abgewiesen wurden und ihre Heimat nicht mehr fanden.

„Wir haben etwa ein Jahr darüber nachgedacht, ob wir nach Europa kommen sollen“, sagt mir Khadija, die heute 21 Jahre alt ist und zusammen mit der zwei Jahre älteren Imen nach Luxemburg gekommen ist. „Schließlich haben wir nie woanders gelebt als in Tunesien. Außer die ersten Jahre in Luxemburg. Während Yamina, die mittlerweile ein Kind hat, in Tunesien geblieben ist, haben die beiden Schwestern zuerst ihre Mutter in Bosnien besucht. Marcida hat inzwischen wieder geheiratet. Das Wiedersehen sei nicht sehr freudig verlaufen, sagt Imen. Ihre Schwester und sie fühlten sich nicht willkommen im Haus ihrer Mutter.

Die beiden jungen Frauen können sich bestimmt eine Zukunft in Europa vorstellen. Etwa in Luxemburg, wo sie geboren sind und sich auch eine Perspektive wünschen. Angekommen am 15. November, erhielten sie gleich am selben Tag einen Termin für die Einwanderungsbehörde zugewiesen. Am 20. November mussten sie in der „Direction de l’immigration erscheinen. Imen um neun Uhr, Khadija anderthalb Stunden später.

Benachteiligt in der Behörde

„Das ist sehr außergewöhnlich“, sagt ihre Anwältin, Fatim-Zohra Ziani. „Normalerweise dauert es viel länger, bis man einen Termin bekommt. Zudem dauern die Gespräche länger. Hier scheint es so, als müsse alles besonders schnell gehen.“ Die beiden Schwestern seien eindeutig anders behandelt worden als die üblichen Asylbewerber, die einen internationalen Schutz beantragen. „Die beiden sind benachteiligt worden“, betont Fatim-Zohra Ziani. Sie weiß, dass das „droit du sol“ (ius soli) hierzulande gilt, wie etwa in Frankreich, demzufolge ein Staat seine Staatsbürgerschaft an alle verleiht, die auf seinem Staatsgebiet geboren werden – im Gegensatz zum „droit du sang“ (ius sanguinis), dem Abstammungsrecht. In Luxemburg gilt Letzteres mit eingeschränktem „ius soli“.

Bereits am 20. Dezember erhielten sie einen negativen Bescheid von der Behörde. Mithilfe ihrer Anwältin gingen sie in Recours. „Die Frist lief bis 19. Januar“, sagt Fatim-Zohra Ziani. Die beiden Schwestern hatten Anfang des Monats gesagt bekommen, sie könnten in eine andere Aufnahmestruktur nach Mersch kommen. Bisher waren sie in der „Structure d’hébergement d’urgence au Kirchberg“ (SHUK) untergebracht, einer in mehrere Blöcke eingeteilten Einrichtung mit Zelten – nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Privatsphäre kein angenehmer Ort, wie Imen und Khadija bestätigen.

Fatim-Zohra Ziani hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Fatim-Zohra Ziani hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Doch sie bekamen mitgeteilt, dass aus dem Umzug nichts mehr würde. Am 18. Januar, einen Tag vor Ablauf der Recours-Frist, sagte man ihnen im SHUK, dass sie nicht damit rechnen könnten, in Luxemburg bleiben zu können. Fatim-Zohra Ziani sieht eine letzte Chance darin, dass der zuständige Minister den Fall als einen außerordentlichen Fall einstuft. Dabei handelt es sich um Innenminister Léon Gloden. Die Anwältin weiß, dass die Zeit knapp ist und zu zerrinnen droht. Das Schicksal der Schwestern hängt nach ihren Worten von der Unterschrift des Ministers ab.

In dem Film „A Haunted Past” ist zu sehen, wie die drei Schwestern sich Fotos anschauen. Darunter ist eines, auf dem ihr Vater mit Yamina zu sehen ist. „Es ist in Luxemburg entstanden“, sagt Taoufik. Ihn schmerzt noch heute, was ihm einst widerfuhr. In seinen Augen schimmert die Sehnsucht nach einer kurzen Zeit des Glücks, für seine Familie eine Heimat gefunden zu haben, weit weg vom Bosnienkrieg und auch von Sidi Bouzid. Es ist eine Heimat, die in der Vergangenheit liegt. Die Zukunft soll seinen Töchtern gehören.

Imen und Khadija sind nicht zuletzt nach Luxemburg gekommen, um auch etwas zu vollenden. So sind die Worte von Khadija zu deuten, die sagt, es sei „a case of our father“. Dieser mag enttäuscht und gekränkt sein darüber, dass seine Familie zerrissen wurde und nicht mehr zusammenfindet. Über seine Ex-Frau spricht er nicht schlecht. Taoufik sei ein komplizierter Mensch im steten Kampf um seine Rolle als Vater, sagte die Regisseurin in einem Interview. Ihr 2018 fertiggestellter und von Al Jazeera produzierter Dokumentarfilm wurde auf mehreren Festivals gezeigt – unter anderen in Amsterdam, Costa Rica, Durban, Montréal und Toronto. Mit ihm hat sie Zeugnis abgelegt vom Traum eines Mannes und seiner Töchter – und von vielen Menschen und Familien.

* Khadija wird mit Nachnamen, im Gegensatz zu ihrem Vater und ihren Schwestern, Salimi geschrieben, was auf einen Fehler der Luxemburger Meldebehörde zurückzuführen ist.

jean-pierre.goelff
26. Januar 2024 - 14.11

....an daat am esou reichen ,deïf-kathoulischen-Marienländchen!Deï sougenannt ,,(Ir)-Resposabel sollen sech bis an den Buëdem eran schummen!

Jupp
26. Januar 2024 - 12.55

@Nomie. Daat ass kéng Hetz, daat ass d'Realitéit.
Zum sujet vum Artikel kann ech nëmme soen, datt ët traureg ass wéi daat demols ofgelaaf ass, an datt ech ët nach méi traureg fannen, datt 2 jonk Fraen déi zu Lëtzebuerg gebuer sin elo nët kënnen hei bleiwen.

Nomi
26. Januar 2024 - 11.34

@ Hottua : Haalt dach endlech ob mat der Hetz !
Dei' Zeiten sinn laang eriwer . Nach 10 Johr dann sinn der 100 Johr eriwer !

Meng kritesch actuell Proposen gin zensei'ert mee Hetz ass hei erlaabt !

Robert Hottua
26. Januar 2024 - 10.01

Ab 1933 wurden im unfehlbaren, päpstlichen "Luxemburger Wort" Foltermaßnahmen begrüßt und bejaht.
MfG
Robert Hottua

clauma
26. Januar 2024 - 7.24

Interesseiert keen......