ForumEin Kindesverführer wird umzingelt

Forum / Ein Kindesverführer wird umzingelt
 Foto: Editpress-Archiv/Didier Sylvestre

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Herr Tom Weidig (ADR) ist von Amts wegen ein „Honorable“. Dieser Titel steht ihm als Mitglied des Parlaments höchst offiziell zu. Dass Abgeordnete als „Ehrenwerte“ gelten, entspricht einer hohen Erwartung. Parlamentarier sollen ein tadelloses Verhalten erkennen lassen. Sie sollen vor allem nicht bei der erstbesten Gelegenheit ihren Eid auf die Verfassung mit Füßen treten. Genau das aber leistet sich Herr Weidig. Immer wieder greift er Andersdenkende und Anderslebende an und benutzt dabei sein Abgeordnetenmandat, um aufzuwiegeln und Hass zu säen.

Da fragt man sich natürlich, welche „Ehren“ denn einem Demokratiesaboteur bezeugt werden sollen, und an wen sich der Aufruf zur Ehrerweisung überhaupt richtet. Etwa an die Kunstfigur Tatta Tom, die neulich von Herrn Weidig zum zweiten Mal mit schwerem Geschütz angegriffen wurde? Tatta Tom wurde von der Direktion der Ackerbauschule eingeladen, um sich mit Schülern über Diversität und Toleranz auszutauschen. In dieser Einladung sieht Herr Weidig quasi ein Kapitalverbrechen. Tatta Tom erklärt er zur Gefahr für „die Kinder“. Dem LTA-Direktor wirft er vor, sein Amt zu missbrauchen. Er unterstellt ihm, der Indoktrination von Schutzbefohlenen Tür und Tor zu öffnen und dabei „die Eltern“ rücksichtslos zu übergehen. Gleichgesinnte fordert er auf, sich bei der Direktion umgehend zu beschweren. Er möchte, wie schon im vergangenen Jahr, einen Aufstand gegen Tatta Tom anzetteln.

Die Flut von Reaktionen auf der Facebook-Seite des „Lycée technique agricole“ entwickelt sich schnell nach einem deutlichen Muster: Ein paar Menschenfeinde preschen vor mit drastischen Behauptungen und Forderungen, eine große Anzahl Demokratieverteidiger hält argumentativ dagegen. Dieses auf den ersten Blick beruhigende Ungleichgewicht täuscht. Denn was hängen bleibt, sind die krassen Sprüche der Menschenfeinde. Wer nuanciert und auf Differenzierung setzt, ist sofort im Nachteil, auch rein sprachlich. Wer ohne Rücksicht auf Feinheiten draufhaut, gewinnt. Menschen wie Herr Weidig faxen nicht lange. Sie scheren sich nicht um komplexe Details.

Nazi-Gedankengut

Bemühen wir uns mal, den Blickwinkel von Herrn Weidig zu verstehen. Er muss ja auf eine gewisse Kompetenz zurückgreifen können, um Tatta Tom so heftig anzugehen. Was ist ihm zugestoßen? Könnte es sein, dass er frühzeitig in die Fänge von Kindesverführern geraten ist? Leidet er an einer frühkindlichen Ideologisierung? Wer hat ihm denn so zugesetzt? Oder anders gefragt: Wie ist er zum hasserfüllten Rechtsaußen geworden? Er wird wahrscheinlich antworten: So bin ich doch gar nicht! Was heißt hier Rechtsaußen? Alles böswillige Unterstellungen!

Auch wenn Herr Weidig ganz in der jüngeren Tradition seiner Partei ein Faktenleugner erster Güte ist, kommt er an einem schwerwiegenden Fakt nicht vorbei: Im Nationalsozialismus wurden Schwule und Lesben, wie alle anderen „Entarteten“, gezielt exterminiert. Warum also reproduziert er das verheerende Nazi-Gedankengut, bis hinein in den sprachlichen Exzess? Wieso erhebt er sich zum Verächter und Verfolger von Minderheiten? Ist ihm nicht bewusst, was am Ende bei dieser destruktiven Besessenheit herauskommt? Hat er rein gar nichts gelernt aus der Nazi-Katastrophe? Oder muss man annehmen, dass er das entsprechende Weltbild gutheißt?

Und jetzt eine Hypothese: Herr Weidig hat im Parlament nichts verloren. Er verletzt bewusst seinen Verfassungsauftrag, er hetzt, statt zu versöhnen. Dass er überhaupt ins Parlament gewählt wurde, beweist nur eines: Es gibt in der Bevölkerung eine kleine Fraktion von weltanschaulich Vergifteten, die einen selbsternannten Führer braucht. Umgekehrt muss der Gifmischer seine Vergifteten bei Laune halten, indem er ihnen von Zeit zu Zeit Zucker gibt. Denn sein politisches Überleben hängt genau von dieser Wahlklientel ab. Also heißt es: Aufstacheln, noch mehr Gift streuen, Vorurteile zementieren. Da kommt eine Kunstfigur wie Tatta Tom gerade recht. An ihr können sich die Vergifteten nach Lust und Laune abreagieren. Das schafft ein Gemeinschaftsgefühl. Und beflügelt die Illusion von politischer Stärke.

Ausschluss aus Parlament

Klar: Jeder soll so leben, wie er will. Doch diese Aussage ist ein zweischneidiges Schwert. Sie braucht unbedingt einen Zusatz, und zwar: Jeder soll so leben, wie er will, sofern er dadurch keinem anderen Schaden zufügt. Die pauschale Formulierung greift zu kurz, weil sie auch jene einschließt, die nicht zulassen wollen, dass andere so leben, wie es ihnen vorschwebt. Wenn der Begriff „wehrhafte Demokratie“ einen Sinn haben soll, liegt es an den staatlichen Institutionen, sich aktiv und konkret gegen jene zu wehren, die das demokratische Fundament aushöhlen. Dann genügt es allerdings nicht, wie es der Parlamentspräsident bei anderer Gelegenheit tat, mit dem Demokratieverächter Weidig hinter verschlossenen Türen ein sogenanntes „klärendes Gespräch“ zu führen. Dieser symbolische Minimalismus führt zu gar nichts. Vor allem dann nicht, wenn von vorneherein feststeht, dass der halbherzig Gerügte ein Wiederholungstäter ist, der sich von einer formalen Ermahnung nicht beeindrucken lässt. Die Frage ist viel mehr: Wie können Vorkehrungen getroffen werden, um Unbelehrbare wie Herrn Weidig aus dem Parlament auszuschließen? Man braucht sich ja nur auf die Verfassung zu berufen. Sie bietet Anhaltspunkte und Beweggründe genug.

Vielleicht hat der nach eigenem Bekunden vielfach missverstandene und fehlinterpretierte Herr Weidig ja selber ein Einsehen und kündigt seinen Abgeordnetenposten, dem er in keiner Hinsicht gewachsen ist. Wir hätten da eine persönliche Empfehlung für seine weitere Karriereplanung: Er könnte ja auswandern und sich in einem der berüchtigten US-Südstaaten einbürgern lassen. Jede Wette, dass er in diesem vom Trump-Faschismus verseuchten Milieu schnell aufblühen wird und keine lästige demokratische Gegenwehr in Kauf nehmen muss. Bon débarras!

Guy Rewenig ist Schriftsteller. Sein aktuelles Buch im Binsfeld-Verlag heißt „La coupe est pleine“.
Guy Rewenig ist Schriftsteller. Sein aktuelles Buch im Binsfeld-Verlag heißt „La coupe est pleine“.
E Letzeboier
24. Mai 2024 - 16.50

En Artikel, deen den Nol op de Kapp trëfft, merci dofir! Zu der Tatta Tom; eng gutt Initiative fir déi jonk Generatioun zu méi Versteesdemech, Weltoppenheet an Mënschlechkeet ze verleeden an déi sozial Cohésioun ze stärken, weider esou!

Grober J-P.
24. Mai 2024 - 16.11

Was sagen denn die Honorabelen dazu?

fraulein smilla
24. Mai 2024 - 13.49

Lieber die Sottisen eines Weidig ,als die Diktatur der Guten die ohne Komplexe der Meinung sind vom Volk gewaehlte Parlamentarier aus dem Parlament auszuschliessen , wenn deren Aussagen einem nicht in den Kram passen .

Clemens Rosalie Marie
23. Mai 2024 - 16.40

Här Rewenig, Vir datt den ‚Honorable‘ Weidig bei der Préparatioun vu senger Auswanderung gutt viru kënnt, kéint een him jo hëllefen d‘Valissen ze paken oder? Als méiglech Südstaaten géif ech z.B. Alabama proposéieren. Do ass d‘Welt mat apart décke Brieder zougeneelt! Ëmmer erëm e Genoss Är Artikelen ze liesen! R.M. Clemens Diddeléng

Guy Mathey
23. Mai 2024 - 9.32

Exzellenter Beitrag Herr Rewenig! Die Initiative der Ackerbauschule und ihres Direktors Tom Delles, Tata Tom einzuladen, möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich begrüssen!