Sonntag19. Oktober 2025

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FloridaEin Hurrikan ist kein Abenteuer: Luxemburger Journalist entkommt Milton

Florida / Ein Hurrikan ist kein Abenteuer: Luxemburger Journalist entkommt Milton
Im Walmart-Supercenter stehen die Kunden Schlange an den Kassen Foto: Eric Hamus

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In der Nacht zum Donnerstag hat Hurrikan „Milton“ eine Schneise der Verwüstung in Florida hinterlassen. „Revue“-Chefredakteur Eric Hamus befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Sicherheit. Bis dahin aber war es ein weiter Weg. 

In Savannah, Georgis, herrscht am Donnerstagmorgen wieder schönstes Herbstwetter
In Savannah, Georgis, herrscht am Donnerstagmorgen wieder schönstes Herbstwetter Foto: Eric Hamus

„Was für ein spannender Urlaub!“ Arthur lacht laut auf. Der Münchner ist mit seiner Tochter auf USA-Reise und hat gerade fünf Stunden Autofahrt hinter sich. Für eine Strecke, die eigentlich in maximal 90 Minuten zu bewältigen ist. Arthur und Mandy sind gerade zurück aus Tampa. Die Autobahn nach Orlando mussten sie sich mit Hunderttausenden Floridianern teilen, die den Evakuierungsaufforderungen der Behörden nachgekommen waren.

Zu diesem Zeitpunkt ist Milton noch 48 Stunden von der Westküste Floridas entfernt. Wir sitzen vor der Lobby eines Motels in der International Drive-Straße in Orlando und der Hurrikan ist Thema Nummer eins. An der Rezeption, im Salon, in der Raucherecke. Der Pool wurde sicherheitshalber schon geschlossen und die Angestellten sind damit beschäftigt, den Hotelgästen Absagen zu erteilen: „Es tut uns leid, aber wir können Ihnen das Zimmer nicht verlängern. Wir sind vollständig ausgebucht in den nächsten Tagen!“

Zwei zum Preis von einem

So wie anderen Besuchern ergeht es auch mir: unsicher und unentschlossen. Wie soll es in den nächsten Tagen weitergehen? Was tun? Milton wird voraussichtlich am frühen Donnerstagmorgen durch die Stadt ziehen. Bis dahin bleibt noch etwas Zeit, entweder das Weite zu suchen oder eine solide Bleibe zu finden. Meine neuen Bekannten nehmen es mit Humor. „Zwei Hurricanes zum Preis von einem – diese Reise hat sich gelohnt. Wir waren schon für Helene im Land“, meint Mandy nicht ohne Stolz.

Für die meisten Urlauber erscheint die Naturkatastrophe wie eine Art Abenteuer. Das wird sich später auch im Supermarkt zeigen, den ich auf Anraten einer Bekannten aus Florida aufsuche. Ich soll mich vorsichtshalber mit Lebensmitteln und Getränken eindecken, meint sie in einem Telefongespräch. Mindestens für sieben Tage. So lautet auch der Ratschlag der Behörden an die Einwohner Floridas. Für sie sind Tropenstürme und andere Naturkatastrophen zwar kein Alltag, aber dennoch scheinen sie sich mit den Begebenheiten in dem US-amerikanischen Bundesstaat im Halbinselformat abgefunden zu haben.

Viele Haushalte sind in der Hurrikan-Saison, die sich inzwischen zwischen Juni und November erstreckt, ständig auf den Notfall eingestellt: Konserven, Wasserfilter, Generatoren und ein sogenanntes „Go-Bag“ mit den wichtigsten Utensilien. Für den Fall, dass die Bewohner überstürzt abreisen müssen. Äußerlich zeigen sich die meisten Floridianer, mit denen ich in den letzten Tagen gesprochen habe, stoisch und gelassen. „Wir wissen ja, worauf wir uns einlassen, wenn wir uns an der Golfküste niederlassen“, meint die Bekannte, die in Fort Lauderdale wohnt.

Am Dienstag herrschen in Orlando noch Sonnenschein und Gelassenheit
Am Dienstag herrschen in Orlando noch Sonnenschein und Gelassenheit Foto: Eric Hamus

Hype um Milton

Auf dem Weg in den Supermarkt will mir ein Taxifahrer erklären, dass Panikmache ein Geschäftsmodell der Medien sei und der ganze „Hype um Milton“ nur dazu diene, das Volk im Zaum zu halten. Er selbst werde sich mit Chips und Eiscreme aufs Sofa setzen und sich einen Film reinziehen, meint er gelassen. Ob ich in Orlando bleiben oder das Weite suchen soll? „Do whatever you feel like doing, dude“, lautet die lapidare Antwort. Mach das, worauf du Lust hast? Klingt nicht unbedingt nach einem sinnvollen Ratschlag angesichts einer Naturkatastrophe, die in den Medien als „schlimmster Hurricane seit Jahrzehnten“ bezeichnet wird.

Tornados kenne ich aus der Heimat meiner Familienangehörigen, dem US-Bundesstaat Missouri. Mit einem Hurrikan aber hatte ich bislang noch nicht zu tun. Also versuche ich, so viele Ratschläge wie nur möglich einzuholen. Von Einheimischen natürlich. Nur stellt sich das als nicht so leicht heraus, wie ich mir das erhofft hatte. Von den Rezeptionisten über die Taxi- und Uber-Fahrer bis hin zur Bedienung im Restaurant und den netten Damen am Tisch nebenan: Jeder weiß etwas anderes. Mit dem Auto nach Norden, mit dem Zug nach Süden, mit dem Flugzeug aus dem Land oder mit dem Allerwertesten in Orlando bleiben – natürlich in sicheren vier Wänden.

Auch das ist in den USA nicht so einfach: Holz ist hier der erschwinglichste Baustoff, die Häuser entsprechend anfällig. „Was auch immer du machen möchtest, eins darfst du auf keinen Fall: Draußen sein, wenn Milton durch Florida zieht“, rät mir meine Bekannte. „Wenn du früh noch einen Wagen bekommst, mach dich auf nach Norden. Wenn nicht, such dir ein Hotel oder ein Air BnB weit weg vom Wasser und lass dich dort einige Tage nieder mit einem guten Buch und einigen Lebensmitteln.“ Klingt doch vernünftig!

In St. Augustine an Floridas Ostküste schickt Milton am Mittwochmorgen bereits Vorboten voraus
In St. Augustine an Floridas Ostküste schickt Milton am Mittwochmorgen bereits Vorboten voraus Foto: Eric Hamus

Mangelware

Im Supermarkt dann der Kulturschock: Ganz Orlando ist auf den Beinen, um Lebensmittel und Toilettenpapier zu horten. Die Schlange reicht am Gemüse vorbei bis zur Unterwäsche-Abteilung. Beim Wasser und beim Brot sind die Regale bereits leergeräumt, in der Campingabteilung streiten sich die Kunden um Gaskocher. Taschenlampen gibt es keine mehr, Batterien sind ebenfalls Mangelware und Milchflaschen dienen ab sofort als Ersatz für Benzinkanister.

Doch die Floridianer nehmen es mit einem Lächeln und Gelassenheit, während die Touristen am Rande Maulaffen feilhalten. Neben mir kommentieren zwei Briten das Geschehen mit herablassenden Bemerkungen. Dass es für viele Einwohner um die leibliche Existenz geht, scheint sie nicht weiter zu stören.

Nach dem Besuch im Supermarkt bin ich etwas beruhigt. Auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch keinen Wagen habe und noch keine Unterkunft für die besagte Nacht zum Donnerstag, so habe ich zumindest Lebensmittel, Getränke und Utensilien für den Notfall. Alles andere hängt nun vom Auto ab.

Und das gestaltet sich zunächst etwas schwierig. Eigentlich sollte ich meinen Wagen erst am Mittwochmorgen abholen. Weil der Flughafen wegen des Hurrikans aber geschlossen wird, versuche ich bereits am Dienstagnachmittag, an meinen Wagen zu gelangen. Doch der Angestellte schaltet zunächst auf stur. Ich muss weiter warten.

Die Zeit in der Warteschlange verbringe ich mit der Suche nach einer Unterkunft – sollte sich doch kein Wagen ergeben. Und zunächst sieht es auch nicht gut aus: Weil der Flugbetrieb eingestellt wird, verfällt auch meine Reservierung. Der Angestellte gibt sich als Marokkaner zu erkennen, weshalb wir plötzlich Französisch miteinander reden. Nadir freut sich: Er habe niemanden, mit dem er die Sprache sprechen könne. Und das zeigt Wirkung: Nadir hat ein Herz. Und reicht mir einen Autoschlüssel.

Eine Warnung

Am frühen Mittwochmorgen geht es dann nach Norden, raus aus der Gefahrenzone. Auf der I-95 nach Georgia sind zu diesem Zeitpunkt nur wenige Autos unterwegs. Doch es regnet in Strömen – Milton lässt grüßen. In Jacksonville lege ich einen Pitstop ein, mir fehlt noch eine Unterkunft für die nächste Nacht. Beim Blick aufs Handydisplay der Schock: Die Preise rangieren zwischen 500 und 1.600 Euro – für eine Nacht! Millionen Floridianer sind auf der Flucht, Zimmer sind Mangelware. Und Hoteliers profitieren von der Not. Eine Schweinerei!

Inzwischen hat der Verkehr auf der I-95 zugenommen. Auf dem Display erscheint eine Meldung der Behörden: In Jacksonville wurden sechs Notunterkünfte eingerichtet. Doch ich habe Glück: In Brunswick, gleich hinter der Staatsgrenze, werde ich noch fündig. Um 17 Uhr kann ich aufatmen: Ich bin in meinem Hotelzimmer und damit auch raus aus der Gefahrenzone.

Viele andere haben weniger Glück: Manche verlieren in der Nacht zum Donnerstag ihr Leben, andere stehen am Donnerstagmorgen vor den Trümmern ihrer Existenz. Naturkatastrophen sind kein Abenteuer. Vielmehr sind sie eine Warnung an uns alle, umsichtiger mit unserem Planeten umzugehen. Nur zuhören wollen viele immer noch nicht. Vielleicht sollten diese Leute nach Tampa Bay reisen und bei den Aufräumarbeiten eine Hand mit anpacken …