EuropawahlenSo positionieren sich die Luxemburger Parteien zum Thema Migrations- und Asylpakt

Europawahlen / So positionieren sich die Luxemburger Parteien zum Thema Migrations- und Asylpakt
Ankunft von Flüchtlingen an der Küste von Lesbos im Jahr 2015. Laut Asyl- bzw. Migrationspakt sollen solche lebensgefährlichen Überfahrten künftig Seltenheitswert haben. Foto: Carole Reckinger

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Nach fast einem Jahrzehnt zäher Verhandlungen hat die Europäische Union eine grundlegende Reform ihrer Asylpolitik beschlossen. Die „Plateforme immigration et intégration Luxembourg“ (PiiLux) organisiert am Mittwoch ein Rundtischgespräch zu dem Thema mit Vertretern der Listen, die in Luxemburg bei den Europawahlen am 9. Juni antreten. Das Tageblatt hat die Positionierung eines Großteils der Parteien unter die Lupe genommen.

Nachdem das Europaparlament am 10. April den Pakt über Migration verabschiedet hatte, hat der Rat der EU ihn am 14. Mai besiegelt. Polen und Ungarn stimmten gegen das gesamte Paket. Der aus zehn Gesetzen bestehende Pakt, der nur eine qualifizierte Mehrheit benötigte, soll vor allem die Zahl der Neuankömmlinge senken, die Asylverfahren beschleunigen und an die EU-Außengrenzen verlegen. Die Tschechische Republik und die Slowakei enthielten sich überwiegend, während Österreich laut Euronews nur gegen die Krisenregelung stimmte. Der Migrationspakt sieht unter anderem Folgendes vor: strengere Kontrollen bei der Ankunft der Migranten in der EU sowie die Einführung eines Solidaritätssystems bei der Verteilung von Flüchtlingen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Europäische Kommission wird im Juni einen Umsetzungsplan mit den rechtlichen und operativen Elementen vorlegen. Danach haben die einzelnen Mitgliedstaaten innerhalb einer sechsmonatigen Frist Zeit, selbst einen Plan auszuarbeiten, den sie der Kommission vorlegen müssen. Das Inkrafttreten des Pakts wird für Sommer 2026 erwartet.

Während die Einigung von den Befürwortern als „historisch“ gefeiert wurde, waren humanitäre Organisationen gespalten. Amnesty International etwa warnte davor, dass sich die Qualität der Asylprozeduren verschlechtern und zu „größerem Leid“ führen würde. Oxfam hingegen sieht darin immerhin einen „Hoffnungsschimmer“ sowie einen koordinierten, schutzorientierten Ansatz. Roberta Metsola, Präsidentin des EU-Parlaments, meinte, das Paket werde „nicht jedes Problem über Nacht auf magische Weise lösen, aber es sind zehn große Schritte nach vorn“. Die Abstimmung im Rat verlief ohne Debatte, da schon jedes Detail mehrfach ausgehandelt worden war.

Filterverfahren

Ziel des Migrationspaktes ist es etwa, jene EU-Länder, in denen die meisten Migranten ankommen, zu entlasten und dadurch einen gerechteren Rahmen für Registrierung und Bearbeitung der Asylanträge zu schaffen. Dafür werden mehrere neue Verfahren eingeführt: ein Filterverfahren (Screening) für jede irreguläre Einreise an den EU-Außengrenzen oder im Falle einer Polizeikontrolle im Inland sowie ein Asylverfahren „an der Grenze“.

 Die Verordnung über Krisen und Fälle höherer Gewalt sieht einen obligatorischen Solidaritätsmechanismus zwischen den Mitgliedstaaten vor. Der Pakt könnte den Zugang zu einem Rechtsbeistand, vor allem im Rahmen des Verfahrens an der Grenze, einschränken, da die Texte nicht vorsehen, dass dieser Rechtsbeistand obligatorisch sein wird. Allgemein schlägt der Migrationspakt vor, die Grenzkontrollen zu verschärfen

Die Zahl der Asylanträge in der EU lagen nach Angaben des Europäischen Statistikamts Eurostat 2023 bei 1,14 Millionen. Sie steigt seit vier Jahren kontinuierlich an. Laut Angaben der Grenzschutzagentur Frontex reisten im selben Zeitraum 355.300 irregulär in die EU ein, was der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen ist. Zusätzlich wurden seit 2022 etwa vier Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in der EU untergebracht.

 Am 1. Januar 2022 gab es 23,8 Millionen Immigranten in der Union, was 5,3 Prozent der Gesamtbevölkerung von 446,7 Millionen entspricht. Der neue Pakt schlägt vor, die zahlreichen Mängel der europäischen Asylpolitik zu beheben, indem die Grenzkontrollen verschärft werden, insbesondere um potenzielle Migranten abzuschrecken, und die Asylpolitik besser zu organisieren, insbesondere in Krisensituationen.

„Table ronde“ zum Thema Migrations- und Asylpakt

Am Rundtischgespräch der PiiLux ASBL über das Thema „Le Pacte européen sur la migration et l’asile: quelles conséquences pour l’Europe et le Luxembourg“, mit der Unterstützung der Œuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte, nehmen folgende Vertreter der jeweiligen Listen teil, die bei den Europawahlen vom 9. Juni antreten: Isabel Wiseler-Lima (Europaabgeordnete der CSV), Franz Fayot (Parlamentsabgeordneter LSAP, Kandidat auf der LSAP-Liste), Djuna Bernard (Kandidatin von „déi gréng“), Anastasia Iampolskaja (Kandidatin von „déi Lénk“), Starsky Flor (Kandidat Piraten), Jana Degrott (Kandidatin DP), Monica Semedo (Europaabgeordnete, Kandidatin für Fokus), Alexandre Chateau-Ducos (Kandidat auf der Liste Zesummen-D’Bréck). Moderation: Snezana Balesevic und Antoni Montserrat Moliner (PiiLux ASBL). Die Veranstaltung im Centre culturel Altrimenti, salle Rheinsheim (5, avenue Marie-Thérèse, Luxemburg-Stadt) beginnt um 19 Uhr.

LSAP

Migration wird als Chance betrachtet. Die LSAP fordert daher, dass Migranten nicht mehr als politisches Problem betrachtet werden. Die Sozialisten treten für eine „gemeinschaftliche und koordinierte Migrationspolitik“ ein, „die solidarisch zwischen den Ländern funktioniert und in der jedes Land seinen Anteil leistet“ – eine „europäische Migrationspolitik, die auf Menschenrechten, Respekt und Würde basiert“. Die Asyl- und Einwanderungsverfahren müssen laut LSAP einheitlich sein, die Rückführungsverfahren (Abschiebungen) müssten „verständlich, transparent und menschenwürdig“ sein. Die Partnerschaften mit den Herkunfts- und Transitländern müssen transparent sein. Humanitäre Hilfe dürfe nicht kriminalisiert werden und die EU nicht Geld für den Bau von Mauern und Zäunen ausgeben. Stattdessen solle es eine europäische Mission zur Rettung von Menschen in Not im Mittelmeer geben. Die Maßnahmen gegen Menschenhandel, sexuelle Gewalt und Ausbeutung von Menschen in Not sollen verstärkt werden. Inklusive Arbeitsmärkte sollen gefördert und lokale Behörden bei der Umsetzung ihrer Inklusionspolitik unterstützt werden. Bezüglich der Herkunftsländer im Globalen Süden gilt es laut LSAP, gleichberechtigte Partnerschaften einzugehen – „auf Augenhöhe“.

DP

Aus dem Wahlprogramm der Liberalen geht hervor, dass die DP „unter keinen Umständen akzeptieren“ werde, „dass Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Diktaturen fliehen, vom Asylrecht ausgeschlossen werden“. Was die Migration angeht, die nicht unter das Asylrecht fällt, hätten die zuständigen Stellen sowohl innerhalb der EU also auch in den Nachbarländern, die „direkt oder indirekt in die Behandlung von Migranten involviert sind, die absolute Pflicht (…) die Menschenrechtsstandards und humanitären Standards zu respektieren“. Auch die DP betont, dass die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern verbessert werden müsse. Die internationale Zusammenarbeit müsse den Schwerpunkt mehr auf die humanitäre Betreuung legen. Auch die Liberalen betonen die Solidarität und gerechte Lastenverteilung zwischen den Mitgliedsländern sowie die Vereinfachung der Asylverfahren. Sie befürworten den Migrationspakt, der in ihren Augen zwar eine „unvollkommene, aber ziemlich ausgewogene Einigung darstellt“. Migration wird zudem als Lösung für den Arbeitskräftemangel betrachtet. Den Migranten müssten langfristige Perspektiven in Form von Arbeitserlaubnissen geboten werden. Die DP bedauert den geringen Enthusiasmus in den meisten Mitgliedstaaten, „die Migrationsschübe an der Wurzel zu packen“. Schließlich müsste jungen Menschen in ihren Herkunftsländern auch Perspektiven eröffnet werden. Dies funktioniere insbesondere durch die Handels- und Entwicklungspolitik.

ADR

Zu Beginn des Abschnitts über Asyl- und Migrationspolitik in ihrem Europawahlprogramm betont die ADR, dass sie für eine humane Asylpolitik im europäischen Kontext stehe, verweist jedoch darauf, dass Migration „aus wirtschaftlichen Gründen oder um sich dem nationalen Wehrdienst zu entziehen“ keine Asylgründe seien. Auch Menschen aus sicheren Drittstaaten hätten im Prinzip kein Recht auf Asyl. Die Anträge auf Asyl sollten möglichst außerhalb der EU entgegengenommen und behandelt werden. Schnell kommt die ADR auf die kriminellen Machenschaften von Schleusern, Schmugglern und Menschenhändlern zu sprechen, die unterbunden und „streng bestraft“ werden müssten. Migranten sollten prioritär in sicheren Nachbarländern aufgenommen werden, „wenn möglich innerhalb ihres Kulturkreises“. Demnach tritt die ADR logischerweise für eine Rückführung von Menschen ein, die kein Recht auf Asyl haben. Etwa sieben Achtel des Kapitels über „Asyl und sichere Grenzen“ handeln eher von der Abwehr von Migration.

CSV

Freiheit und Sicherheit haben Priorität für die CSV
Freiheit und Sicherheit haben Priorität für die CSV Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Kurz und bündig ist die Einlassung der Christsozialen zum Thema Asylpolitik. Dass sie den Migrationspakt der EU befürwortet, ist bekannt. Es sei „selbstverständlich, dass jenen Menschen, die vor Verfolgung, Krieg und Terror flüchten, Asyl gewährt werden muss“. Die CSV setze sich deshalb „für eine ausgeglichene europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik ein“. In ihrem Manifest stellt sich die EVP, die größte Fraktion im Europaparlament, der die CSV angehört, als pragmatische Mitte dar. Sie weist auf die im vergangenen Jahr um 18 Prozent gestiegene Zahl der Asylanträge in der EU hin, was einer Studie zufolge die Angst der Wähler vor dem „Verschwinden ihrer nationalen und kulturellen Identität“ zur Folge haben könnte. Die EVP will als Reaktion darauf die EU-Grenzschutzagentur Frontex (Befugnisse, Budget und Personal) stärken. Abgelehnte Asylbewerber sollen in sichere Drittstaaten abgeschoben werden. Im Hintergrund schwingt der sogenannte Ruanda-Plan der britischen Regierung mit, Vorbild für Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern ist aber die Absichtserklärung mit Tunesien. Die EU nimmt ein jährliches Kontingent in ihrem Gebiet auf (die ukrainischen Flüchtlinge nicht einberechnet).

„déi gréng“

Von allen luxemburgischen EU-Parlamentariern stimmte nur die Grüne Tilly Metz gegen den EU-Migrationspakt. Es sei kaum zu glauben, so die Abgeordnete, dass selbst Kinder ab sechs Jahren in Zukunft inhaftiert werden sollen. Mit ihrer Unterstützung begebe sich die luxemburgische Regierung auf den Weg zu einer herzlosen Festung Europa 2.0. Statt Geflüchtete sollten Fluchtursachen bekämpft werden. Die Partei fordert eine menschenwürdige Behandlung von Geflüchteten und die Anerkennung sogenannter Klimaflüchtlinge. Um legale Fluchtwege zu schaffen, wollen die Grünen europäische Visa-Möglichkeiten für Familienzusammenführungen und Jobs auf verschiedenen Qualifikationsniveaus. Auf EU-Ebene brauche es eine europäische Aufnahmequote und die Anerkennung langzeitiger Immigranten „ohne Papiere“. Zudem sollen die psychologische und soziale Betreuung von Migranten sowie der Schutz vor Ausbeutung verbessert werden. Dazu brauche es eine Umstrukturierung der EU-Asylbehörde. Menschen monatelang in haftähnlichen Bedingungen an der Grenze festzuhalten, entspreche nicht ihrer Vorstellung einer humanen Asylpolitik, so die Grünen in ihrem Wahlprogramm.

„déi Lénk“

Eindeutig gegen die Festung Europa: Wahlplakat von „déi Lénk“
Eindeutig gegen die Festung Europa: Wahlplakat von „déi Lénk“ Foto: Editpress/Didier Sylvestre

„déi Lénk“ will vor allem Fluchtursachen bekämpfen. Diese liegen laut der Partei oftmals in der Handelspolitik, in Freihandelsabkommen und dem Waffenhandel. In der Asylpolitik fordern die Linken einen humanitären Ansatz, der Haftanstalten für Migranten und Zwangsabschiebungen ausschließt. Anstatt die Geflüchteten abzuschieben, sollen sie laut der Partei integriert und vor Ausbeutung oder Zwangsprostitution beschützt werden. Das soll eine neue Migrationsbehörde leisten, welche die EU-Grenzschutzbehörde Frontex ersetzt. Für Asylbewerber fordert die Partei das Recht, arbeiten gehen zu können. Sobald sie sechs Monate gearbeitet haben, sollen sie automatisch ein Aufenthaltsrecht bekommen. Ebenso, wenn ihr Asylantrag in einer bestimmten Frist nicht bearbeitet wurde. Die Menschen sollen sich auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft integrieren können, statt jahrelang ohne Perspektive in Ausnahmeeinrichtungen festzustecken. Eine solche Fristenregelung fordern ebenfalls die Piraten. Bezüglich der EU-Politik fordern die Linken, dass bilaterale Abkommen mit Nicht-EU-Staaten zur Abhaltung von Migranten durch wirksame Entwicklungshilfe ersetzt werden. Das Asylrecht soll harmonisiert und ein solidarisches Verfahren bei Aufnahme und Verteilung zwischen den Mitgliedsländern eingeführt werden.

Piraten

Die Piraten legen Wert auf eine gute Versorgung der Geflüchteten in der EU. Sie sollen möglichst dezentral untergebracht werden und in ihrer Unterkunft mitentscheiden dürfen. Zudem soll die Zusammenführung von Familien ermöglicht und Schutzräume für LGBTIQ-Geflüchtete geschaffen werden. Darüber hinaus fordern die Piraten politisches Asyl für Whistleblower. Um eine prekäre Lebenssituation der Menschen zu verhindern, sollen sie zu jedem Zeitpunkt das Recht auf Bewegungsfreiheit und Teilhabe an der Arbeitswelt, der Bildung und Kultur haben. Wenn innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung zum Asylantrag vorliegt, sollen Migranten automatisch aufgenommen werden. In der Außenpolitik soll es nach dem Willen der Piraten um eine nachhaltige Entwicklungshilfe gehen, um Fluchtursachen zu bekämpfen.

Zesummen – d’Bréck

Die neue Liste „Zesummen – d’Bréck“ setzt sich laut eigener Aussage für einen kulturellen Austausch und einen „universellen Humanismus“ ein. Ihr Programm kritisiert, dass sich die europäische Migrationspolitik vom „Wir schaffen das“ Angela Merkels zu einer Politik des Rückzugs gewandelt habe. Da die Frontex bei der humanitären Versorgung Geflüchteter an ihre Grenzen gestoßen sei, fordert die Liste unter dem Lehrer David Foka – ehemaliger Anhänger von LSAP und „déi gréng“ – die Schaffung einer Pufferzone in Afrika. In der Sahelzone soll ein „afrikanisches Silicon Valley“ entstehen. Neben diesem nicht näher erläuterten Plan fordert „Zesummen – d’Bréck“ die Verbesserung internationaler Partnerschaften, um Lösungen für die Aufnahme von Menschen, die internationalen Schutz suchen, zu finden.

Fokus

Fokus blickt vorrangig auf die wirtschaftliche Dimension der Migration. Europa habe im Laufe seiner Geschichte starke Zuwanderung und Abwanderung erlebt, aktuell brauche der gesamte Kontinent händeringend neue Arbeitskräfte. Deshalb fordert Fokus Möglichkeiten der legalen Einwanderung mit transparenten Abläufen und klaren Zu- und Absagen für Bewerber. Dadurch will die Partei eine Alternative zu dem Asylprozedere anbieten, welches für die meisten Einwanderer die einzige Möglichkeit sei, sich ein Leben in Europa aufzubauen. Die andere Seite der Medaille ist eine Verschärfung des Asylrechts. „Europa kann nicht alles Elend der Welt aufnehmen“, heißt es im Parteiprogramm. Wer „nicht wirklich“ wegen Krieg, Gefahr für Leib und Leben oder individueller Verfolgung bedroht sei, dürfe zukünftig kein Asyl mehr bekommen. Das massenhafte Ertrinken von Flüchtlingen werde aus Sicht der Partei zukünftig durch europäische Behörden verhindert werden, die bereits das Ablegen der Boote stoppen. Zudem fordert Fokus die „kulturelle Integration“. „Die Zugereisten“ sollen „unsere Sitten und Lebensgewohnheiten“ achten und respektieren. Darunter versteht die Partei die „generelle Achtung der Frau“, den Säkularismus und den gemeinsamen Schwimmunterricht von Jungen und Mädchen.