Erster EU-Gipfel in der RegionDie zwei Seiten des westlichen Balkans

Erster EU-Gipfel in der Region / Die zwei Seiten des westlichen Balkans
Der Boulevard der Märtyrer der Nation in Tirana: Albanien empfängt die Staats- und Regierungschefs der EU und der westlichen Balkanländer zu einem eintägigen Gipfeltreffen Foto: dpa/Andreea Alexandru

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Eine EU-Mitgliedschaft gilt in den sechs Westbalkan-Staaten als Lösung für vieles. Doch vor dem ersten EU-Gipfel an diesem Dienstag in Tirana blickt Brüssel vor allem auf Probleme in und durch die Region.

Tirana gehört nicht zu den Hauptreisezielen der europäischen Spitzenpolitik. Gleichwohl bestiegen Heerscharen von EU-Bediensteten und Regierungsbeamten der EU-Mitgliedsländer am Montag Flieger Richtung albanische Hauptstadt. Bei ihrem letzten EU-Westbalkan-Gipfel im Sommer hätten die Gipfelteilnehmer den Eindruck gewonnen, die Zeit sei „reif für den ersten Gipfel in der Region“, schilderte ein EU-Beamter im Vorfeld in Brüssel. Und so treffen denn an diesem Dienstag die Staats- und Regierungschefs der EU in Tirana ein – aber vermutlich nicht mit allen Hauptverantwortlichen der sechs West-Balkanländer zusammen. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic sagte seine Teilnahme Ende vergangener Woche aus Wut über Albin Kurti, den Kosovo-Regierungschef, wieder ab.

Das illustriert nachdrücklicher als lange Analysen, warum der Weg auf den Westbalkan nicht nur mit einem schlechten Gewissen der EU wegen der seit vielen Jahren verschleppten Aufnahme verbunden ist, sondern viel zu oft auch dem Griff in ein Wespennest gleicht. Da gab es für den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und sein Team im Herbst in Sachen Kosovo über Wochen nichts Dringlicheres, als sich mit Nummernschildern zu befassen.

Unklare Situation

Zwischen dem Kosovo und Serbien schaukelte sich die Frage, ob auch die im Norden des Landes lebenden Serben kosovarische Nummernschilder an ihre Autos schrauben müssen, zu einer symbolträchtigen Frage von Ruhe und Gewalt hoch. Sie konnte nach zahlreichen Vermittlungsbemühungen in Brüssel für den Augenblick geschlichtet werden: Serbien stellt keine Nummernschilder mehr für Serben im Kosovo aus, und der Kosovo verzichtet darauf, diesen Anspruch durchzusetzen.

Hinter dem Nummernschild-Streit steht eine zweifach unklare Situation. Serbien betrachtet den Kosovo weiterhin als eigene Provinz, während die große Mehrheit der EU-Mitglieder ihn als souveränen Staat anerkannt haben. Das unterstreichen alle albanischstämmigen Kosovaren. Im Norden des Kosovos indes betrachten sich die serbischstämmigen Kosovaren als zu Serbien gehörig. Beide Seiten finden viele Mittel und Wege, den Konflikt durch gegenseitige Provokationen auf offizieller wie inoffizieller Ebene, durch Beamte wie Banden, immer wieder neu zu schüren.

Ergänzt wird der Kosovo-Konflikt durch den Bosnien-Konflikt. Auch in diesem Land belauern sich die Entitäten, halten das friedliche Zusammenleben offen. Beides wird überwölbt von den Zusagen der EU, dieses Kerngebiet Europas perspektivisch auch mit einer Mitgliedschaft auszustatten. Die sechs Staaten werden schließlich umgeben im Norden von Ungarn (seit 18 Jahren in der EU), im Osten von Rumänien und Bulgarien (seit 15 Jahren in der EU), im Süden von Griechenland (seit 41 Jahren in der EU) und im Westen von Kroatien (seit neun Jahren in der EU).

Die Hinhaltetaktik der EU seit fast zwei Jahrzehnten geht einher mit einer wachsenden Erwartungshaltung der EU an die Region, denn die „Balkanroute“ der Migrationsströme macht erneut Probleme. Die Zahl der über den Westbalkan Richtung Österreich und von dort weiter nach Deutschland und Belgien strebenden Flüchtlinge hat sich in diesem Jahr verdoppelt bis verdreifacht. Nach einem Krisentreffen der EU-Innenminister legte die Kommission am Montag ein neues Maßnahmenpaket aus 20 Vorhaben auf fünf Feldern vor, um die Situation zusammen mit den sechs Staaten der Region in den Griff zu bekommen.

Die sechs Länder des westlichen Balkans

Vier Länder sind bereits offizielle Beitrittskandidaten: Serbien, Montenegro, Albanien und Nordmazedonien. Zwei Länder hoffen, bald den Status als Kandidaten zu bekommen: Kosovo und Bosnien-Herzegowina.

Dazu gehört ein Grenzmanagement an jeder einzelnen Grenze auf dem Weg von Süd nach Nord, wofür die EU die Zahl von 500 dort eingesetzten Frontex-Beamten nochmals erhöhen will. Es geht um die Unterstützung von Asylverfahren und die Registrierung aller Flüchtlinge, weil „unser System sonst nicht funktioniert“, wie Innenkommissarin Ylva Johansson unterstrich. Schließlich seien weniger als 250.000 Einreisen erfasst, aber über 650.000 Asylanträge gestellt worden.

Problem Menschenschmuggel

Weitere Punkte bestehen darin, die starken Menschenschmuggel-Aktivitäten im serbisch-ungarischen Bereich zu verfolgen, die Rückführungen abgelehnter Antragsteller zu verstärken und die Visapraxis anzupassen. Die Migrations-Expertin der Europa-SPD, Birgit Sippel zeigte sich enttäuscht. „Das Maßnahmenpaket der Kommission liest sich wenig innovativ und wiederholt großteils, was ohnehin die ausgegebene Zielsetzung der Mitgliedstaaten ist“, sagte sie unserer Redaktion.

Die Migration ist nur ein Teil der doppelten Sicht auf den Westbalkan. Da ist die Klage über einen Verlust gut qualifizierter junger Leute aus der Region an die EU, die die Gipfel-Teilnehmer an diesem Dienstag mit einem Milliarden-Programm für den Westbalkan beantworten wollen. Zugleich gibt es jedoch auch hier die andere Sicht: Je besser etwa die Verantwortlichen bei der Bekämpfung von Kriminalität und Korruption vorankämen, so empfiehlt Brüssel, desto leichter würde es auch Investoren aus der EU fallen, zu Attraktivität und Wohlstand in der Region beizutragen. Und zum EU-Beitritt.

JJ
6. Dezember 2022 - 9.19

" ..bestiegen Heerscharen von EU-lern Flieger in Richtung albanische Hauptstadt.." Flieger? Zug oder Fahrrad bitte schön. Wegen Klima.Da lob ich mir doch das Greta oder unseren CSV-Theologen der gern "neutral" unterwegs ist.( zur Zeit Richtung Scharm El Scheich).