Die vergessenen Luxemburger Widerstandskämpfer

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250 Namen stehen auf der Liste, die der junge Historiker Olivier Boussong in seiner Abschlussarbeit „Les Luxembourgeois engagés dans le maquis français“ zusammengetragen hat. Hinter diesen 250 Namen stecken genauso viele Lebensgeschichten.

Boussong hat während zwei Jahren die Primärquellen gesichtet, um genau zu dokumentieren, wer hinter den bis dahin noch unbekannten Namen steckt, an welchen Aktionen sie beteiligt waren, welche Motivationen sie hatten und wohin es sie verschlagen hat. Damit ist er der erste Historiker, der sich umfassend mit den 250 Luxemburger „Maquisards“ beschäftigt hat.

Raymond Müller, Engel François oder auch Charles Unsen sind nur drei Beispiele für Luxemburger, die wegen der Invasion der deutschen Truppen am 10. Mai 1940 und der anschließenden Germanisierung, Nazifizierung und Verfolgung  aus dem Land geflüchtet sind. 1941 tauchten sie in den Untergrund ab – und konnten so dem Reichsarbeitsdienst und der Wehrmacht entkommen. Ein Jahr später stieg mit dem Aufbau verschiedener Luxemburger Organisationen in Frankreich die Zahl der Neuankömmlinge dort an.

Drei Arten von Aktionen

Maquis ist eigentlich die Bezeichnung für eine Vegetationsart im mediterranen Raum. In diesen Gebüschen haben sich oft Banditen und Gesetzlose versteckt. Als Maquisards werden besonders die Partisanen der Résistance bezeichnet. Diese hielten sich illegalerweise in den Wäldern, provisorischen Bunkern oder an verlassenen Bauernhöfen auf, um sich dort zu verstecken. Maximal lebten zehn Menschen zusammen.

Es werden drei verschiedene Arten von Aktionen definiert. Die „mouvements“ beziehen sich auf den Kampf gegen Propaganda der Besatzungsmacht und gegen das Vichy-Regime. Dazu gehörten vor allem das Verteilen von Zeitungen, Flyern und Flugblättern, um die Bevölkerung beispielsweise über die Niederlagen der deutschen Truppen zu informieren.

Dann gab es die Arbeit der Netzwerke, die für verschiedene Arten von Informationen zuständig waren. Sie lieferten unter anderem Auskünfte an die alliierten Truppen zu Infrastruktur und Bewegungen der deutschen Truppen.

Anschließend gab es noch die Aktionsnetzwerke. Die Widerstandskämpfer versuchten, der Besetzungsmacht mit militärischen Aktionen wie Sabotageakten, Befreiungen von Gefangenen, Unterbrechung von Kommunikations- oder Versorgungslinien  so sehr wie möglich zu schaden.

114 Gefangene befreit

Unter den vielen mutigen Widerstandskämpfern sind es die Hauptmänner der Gruppen, die als Vorbilder für die anderen fungierten. Einer von ihnen ist Antoine Diederich, besser bekannt als Capitaine Baptiste. 1943 war er einer der Zwangsrekrutierten, der es in das Maquis d’Auvergne geschafft haben. Schnell wurde er zum Kommandant der Kompanie 1103.

Im August 1944 waren 84 Widerständler im Gefängnis in Riom – der ehemaligen Hauptstadt der Auvergne – interniert. Am 14. August sollten 30 von ihnen hingerichtet werden. Am Vorabend begann die Mission Jericho. Ein Konvoi eilte in rasender Geschwindigkeit zum Gefängnis. Aus den Fahrzeugen stiegen etwa 60 Männer in deutschen Uniformen aus. Die Männer, die bis an die Zähne bewaffnet waren, stürmten das Gefängnis und befreiten 114 politische Gefangene – 98 Männer und 16 Frauen.

Vor allem junge Menschen engagierten sich im Maquis. Die Mehrheit war zwischen 16 und 20 Jahre alt. Der Jüngste auf der Liste der 250 ist Charles Loewenstein. Er wurde am 12.2.1928 geboren und war zum Zeitpunkt der Befreiung gerade mal 18 Jahre alt.

Eine junge Generation von Maquisards

Die Besetzung im Jahr 1940 hatte alle künftigen Widerstandskämpfer gleichermaßen geprägt – und sie wollten sich nicht kampflos unterordnen. Die jungen Luxemburger wollten vor allem ins freie Frankreich, um dem Reichsarbeitsdienst und dem Arbeitserziehungslager zu entkommen. Sie wollten nicht in die Hitlerjugend und andere Nazi-Vereinigungen eintreten.

Ein weiterer Grund für ihre Entscheidung war der Hass auf die deutsche Besatzungsmacht. Zwei Männer, die sich damals mit dieser Situation konfrontiert sahen, waren Jos Ronkar und Jos Besch. Sie stammten alle beide aus Canach und erhielten Ende Juli 1941 den Brief für die Einberufung zum Reichsarbeitsdienst.

Schon sehr früh weigerte sich Besch, der Hitlerjugend beizutreten. Sein erster Fluchtversuch scheiterte, doch später gelang es ihm, Luxemburg zusammen mit Ronkar zu verlassen. Ein luxemburgisches Unternehmen suchte einen Fahrer für eine Fahrt mit einem Lieferwagen nach Cognac. Die beiden erhielten den Job und wollten anschließend nach England, doch in Frankreich wurden sie von ihrem Vorhaben abgehalten.

Die meisten stammten aus dem Süden Luxemburgs

In weiteren Fällen hatten sich Deserteure im Maquis vor der Wehrmacht in Sicherheit gebracht. Die Anzahl der Fahnenflüchtigen nahm im eisigen Winter 1943 zu.  Manche verstümmelten sich selbst, um ins Lazarette nahe Luxemburg zu gelangen und von dort aus einen Fluchtversuch zu starten.

Die meisten Luxemburger, die nach Frankreich aufgebrochen sind, stammten aus der Südregion des Landes. Das erklärt sich ganz einfach durch die Nähe zur Grenze. 95 Maquisards kamen aus dem Kanton Esch/Alzette, 53 aus dem Raum Luxemburg-Stadt. Viele von ihnen lebten in den größeren Ballungsräumen. Luxemburg-Stadt, Differdingen und Düdelingen zählten die meisten Abreisenden.

Die Reise zur Grenze war beschwerlich, doch die Geflüchteten konnten zwischen verschiedenen Routen wählen. Die Niedersgegener Strecke begann in Moestroff (D) und führte über Mersch. Dann ging es in den Ortschaften Lasauvage, Oberkorn, Differdingen und Beles über die Grenze. Die zweite Alternative startete in Bettendorf über Mersch bis hin zu den Grenzortschaften im Süden. Zwei andere Linien führten bis nach Differdingen. Die Geflüchteten benötigten einen falschen Ausweis, Bargeld und zivile Kleidung. Den Recherchen nach existierten über ganz Frankreich verteilt zwischen 205 und 250 Orte, an denen Aktionen stattfanden.

Der Beginn eines neuen Lebens

Die Organisation „Familie Martin“ erwies sich als eines der wichtigsten Netzwerke zwischen Luxemburg und dem Maquis. Gegründet wurde es von Walter Hamber (alias Paul Gauthier). Er war Jude und stammte aus Österreich. Seit 1926 lebte er in Luxemburg. Am Tag der Invasion flüchtete er nach Frankreich. Er besaß viele Kenntnisse im Bereich der Spionage und Spionageabwehr.

Das Luxemburger Netzwerk „Familie Martin“ hatte sein zentrales Büro in La Ciotat bei Marseille. Im Laufe der Zeit konnten die Mitglieder wichtige Hinweise zu den Methoden der deutschen Polizeibüros liefern.

Das tägliche Leben innerhalb eines Maquisards war streng organisiert und lief überall ähnlich ab. Alltägliche Arbeiten wie die Suche nach Trinkwasser wechselten sich mit den militärischen Vorbereitungen ab. Gemeinsames Singen und Spiele brachten Abwechslung in den eintönigen Alltag. Die Lebensmittelversorgung nahm zudem einen Großteil des Tages in Anspruch. Ohne die Unterstützung der lokalen Bevölkerung wäre ein Überleben nicht möglich gewesen.

Während der Zeit der Besetzung wurden viele Luxemburger von den deutschen Machthabern verhaftet, deportiert, gefoltert oder gar hingerichtet. Von den Luxemburger Maquisards sind 43 während ihres Aufenthalts in Frankreich gestorben. Das sind insgesamt 17 Prozent.

Nach Ende des Krieges

Mit der Befreiung Frankreichs endete die „mission des maquis“. Viele der Widerstandskämpfer beteiligten sich an Militärparaden und Umzügen in den Städten, in denen sie für ihre Taten gefeiert wurden.  Ende September 1944 waren die meisten Regionen befreit – und die Luxemburger konnten sich wieder frei bewegen. Die einzelnen Maquis-Gruppierungen schlossen sich integral den alliierten Truppen an – mit dem Ziel nach Deutschland durchzubrechen.

Der Rückweg für die Maquisards war nach Ende des Krieges zumeist nicht einfach. Oft fanden sie sich alleine wieder und über ganz Frankreich verteilt. Sie konnten keine Hilfe der Regierung erwarten und wussten oft nicht, wie es ihrer Familie ging. In Luxemburg normalisierte sich das Leben wieder. Viele Maquisards wurden später mit dem Kriegsverdienstkreuz ausgezeichnet.

Kontakt: Wer weitere Informationen zu diesem Thema hat kann Olivier Boussong gerne per E-Mail (boussongolivier@gmail.com) kontaktieren.

J.C.KEMP
1. August 2019 - 9.11

Ist doch eine der Ursachen von Archiven: dort liegen Sachen, die man unter Verschluss halten will. Es wäre natürlich möglich, unangenehmes zu vernichten, aber man weiss ja nie, wo und gegen wen man diese Sachen noch gebrauchen kann.

Jang
29. Juli 2019 - 14.13

Nicht immer eine leichte Sache, Recherchen zu diesem Thema. Es gibt noch so manchen der auf den diesbezüglichen Dokument sitzt, das heißt Zugang zu Archiven und Dokumenten blockiert, wenn/weil es ihm nicht in den Kram passt. Besteht etwa die Gefahr, dass unangenehme Wahrheiten herauskämen ???

Jacques Zeyen
28. Juli 2019 - 21.51

..ich glaube da kann jeder eine kleine Geschichte beitragen. Von Eltern oder Großeltern die unter Granatenbeschuss alte Damen auf dem Rücken in Sicherheit gebracht haben oder Schienen gesprengt haben um Nazitransporte zu behindern. Aber schlimm, dass es dazu einen jungen Absolventen braucht um die ganze Geschichte in die Gedanken der neuen Generation zu bringen,aber auch gut so.