BettelverbotDie repressive Seite des Neoliberalismus

Bettelverbot / Die repressive Seite des Neoliberalismus
Missbrauch des öffentlichen Raumes für ausbeuterische Tätigkeiten? Am ersten Tag der verschärften Kontrollen. Foto: Privat/Guy Foetz

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Die Politik des Neoliberalismus orientiert sich nicht nur an Markt und Profit, Privateigentum und Wettbewerbsfähigkeit. Wie der deutsche Philosoph Julian Prugger erklärt, gehen der neoliberale Abbau des Sozialstaats und die Betonung der Eigenverantwortung des Einzelnen mit autoritären Tendenzen sowie dem Ausbau von Polizei und einer erhöhten Überwachung einher. Jüngstes Beispiel: das Bettelverbot.

Herr Prugger, was verstehen Sie unter einer „Versicherheitlichung“?

In vielen europäischen Ländern, aber auch in den USA, haben seit den 1990er Jahren die Ausgaben für Sicherheitsorgane wie Polizei, aber auch für private Sicherheitsdienste enorm zugenommen. Das ging einher mit einer Ausweitung von deren Befugnissen. In der Logik ergibt das durchaus Sinn, weil auf die sozialen Probleme, die durch die neoliberale Politik entstanden sind, irgendwie reagiert werden muss: größere Armut, größere Ungleichheit, zunehmende Ängste. Vor allem in Folge von 9/11 und der damit gestiegenen Angst vor Terror wurden Unsicherheitsgefühle immer stärker mit polizeilicher Sicherheit beantwortet. Es gibt eine Verschiebung des Sicherheitsdiskurses weg von sozialer Sicherheit und Teilhabe hin zu Sicherheitsfragen im Sinne von exekutiver Gewalt. In Deutschland etwa sind im Zuge der Novellierung der Polizeigesetze mehr Eingriffsbefugnisse für die Polizei zum Schlagwort geworden. Viele Probleme werden zuerst zu Sicherheitsproblemen umgedeutet. So erklärt sich auch das Bettelverbot. Es ist eine kommunale, versicherheitlichte Antwort auf die Frage von Armut.

Hat das überhaupt noch etwas mit dem klassischen Liberalismus zu tun?

Neoliberale Politik, die in den 1980er Jahren ihren Anfang nahm, versteht sich als liberal im Sinne eines bestimmten Begriffs von individueller Freiheit und Eigentum, vertraut aber dem Staat. Dieser hat durchaus eine Funktion. Neoliberalismus heißt nicht unbedingt, dass der Staat stört. Ihm wird eine Ordnungsfunktion zugeschrieben. Er soll einen bestimmten gesetzlichen Rahmen schaffen. Darin sind sich die meisten Neoliberalen einig. Der Staat soll garantieren, dass der kapitalistische Markt sich frei entfalten kann. Das bedeutet auch, dass Renditechancen nicht begrenzt werden dürfen. Gleichzeitig bestraft der Staat Menschen, die innerhalb dieses Systems arm oder wohnungslos sind. Es wird behauptet, sie seien selbst schuld. In Bezug auf Sicherheit erklärt das eine ganze Reihe von repressiven Maßnahmen. In München gibt es nicht nur das Bettelverbot, sondern auch den sogenannten Kommunalen Außendienst, eine Art Ersatzpolizei, die obdachlose Menschen oder Drogenkonsument*innen vertreibt. Im Gegensatz dazu war für klassische liberale Theoretiker wie John Rawls, und auch schon für Adam Smith, Armut immer auch eine Frage sozialer Sicherheit. Für Rawls war deshalb die Verbesserung der Lebenssituation ärmerer Menschen ein wichtiges politisches Ziel. Und Smith erarbeitete eine Theorie darüber, was es bedeutet, ein ethisch guter Kaufmann zu sein. Dem Neoliberalismus steht dieser Weg nicht offen, da er dann zugeben müsste, dass Politik mehr ist als die Absicherung von Marktstrukturen und Renditechancen. Hier zeigt sich, dass das neoliberale Freiheitsversprechen eigentlich nur für Menschen gilt, die genügend „Humankapital“ mitbringen und somit attraktiv sind für Unternehmen und Märkte.  

Liberal ist das nur noch in einer wirtschaftsliberalen Form. Der Staat muss den Rahmen schaffen für den freien Markt, damit die Unternehmen ohne äußere Zwänge schalten und walten können. Das erinnert an die Politik von Margaret Thatcher und Ronald Reagan in den 80er Jahren.

Julian Prugger
Julian Prugger Foto: privat

Die politischen Anfänge sind in der Tat in jener Zeit zu finden. In Deutschland hingegen war die FDP in den 90er Jahren noch durchaus polizeikritischer und vorsichtig, wenn es um Datenspeicherung ging. Sie war damals auch noch eine Bürgerrechtspartei. In dieser Hinsicht hat sie sich ziemlich gewandelt. Im Neoliberalismus dagegen geht es vor allem um die Sicherung von Profiten. Dabei setzt eine Art von Privatisierungslogik ein. Auch was das Bettelverbot betrifft, wo es um den öffentlichen Raum geht. Der öffentliche Raum wird mehr und mehr als ein Ort betrachtet, bei dem es um Attraktivität geht. Er soll zum Beispiel möglichst attraktiv für den Tourismus sein. Es ist zu einem regelrechten Städtewettbewerb um die sicherste Stadt gekommen. Städte werden zu wirtschaftlichen Akteurinnen, die Einnahmen gerieren müssen, die sie selbst erwirtschaften. Das Betteln hingegen wird als Missbrauch des öffentlichen Raumes für ausbeuterische Tätigkeiten bezeichnet. Hier zeigt sich wieder: Armut wird mit Ausbeutung gleichgesetzt und kann bestraft werden, vor allem dann, wenn sie im Stadtbild für alle sichtbar ist. Doch für was ist der öffentliche Raum da? Nach neoliberalen Kriterien vor allem, um Profite zu erwirtschaften. In diesem Bild von öffentlichem Raum schwingt stets eine Privatisierungsidee mit. Auch hier unterscheidet sich der Neoliberalismus von anderen liberalen Ideen, bei denen eine demokratische Öffentlichkeit sowie allgemeine öffentliche Teilhabe noch eine größere Rolle spielen.

Wird nicht auch mit dem Unsicherheitsgefühl der Menschen gespielt?

Die Unsicherheiten sind durchaus real. Es handelt sich aber vielmehr um die Angst vor dem sozialen Abstieg, etwa durch gestiegene Mieten oder durch den Verlust des gesicherten Einkommens. Diese Angst will ich nicht leugnen. Aber sie wird instrumentalisiert, indem zum Beispiel suggeriert wird, sie werde von kriminellen Banden ausgelöst.

Oder von einer vermeintlichen Bettelmafia.

Genau. Es ist gefährlich, dass eine Bedrohung als Ersatz für die genannten Ängste inszeniert wird. Menschen, die sowieso schon häufig diskriminiert werden, Wohnungslose, Alkoholabhängige, Drogenkonsument*innen, teilweise auch Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus werden noch weiter drangsaliert und erfahren Gewalt durch Sicherheitsorgane. In München gab es viele Berichte über eine angebliche osteuropäische Bettelmafia. Dieses Bild wurde dann besorgten Bürger*innen als Begründung für sowas wie das Bettelverbot verkauft. Das politische Angebot heißt: mehr Polizei und Kontrollen, damit sich die weiße Mehrheitsgesellschaft sicherer fühlen kann. 

In dem Blog „Kontrapunkte“ der Münchner Hochschule für Philosophie schreiben Sie in puncto Bettelverbot von antiziganistischen Rassismen.

Das NS-Regime hat anfangs auch Armutsbekämpfung mit ähnlichen Narrativen betrieben: Damals wurde von mafiösen, organisierten Kriminellen, die die Gesellschaft nur ausbeuteten, gesprochen. Antiziganismus spielte dabei eine wichtige Rolle. Ich weiß, dass dies ein heftiger Vergleich ist. Aber damals wie heute handelt es sich um eine Kriminalisierung von Armut. Bis in die 70er Jahre gab es übrigens in Bayern eine „Zigeunerpolizei“. Die betroffenen Menschen wurden als arbeitsscheu oder asozial stigmatisiert. Auch heute spielen Antiziganismus und Antislawismus eine Rolle. Es wird ein Bild aufgebaut von Leuten aus dem Osten, die „uns“ ausbeuten wollen. Die Narrative sind genau dieselben. Die angeblichen Mafiastrukturen sind jedoch Netzwerke, die Fahrten oder Schlafplätze organisieren. Das sind reine Überlebensstrukturen.

Weit weg von einer Mafia.

Diesen Menschen wird dadurch vermittelt, dass sie eigentlich kriminell seien. Dafür eignen sich Begriffe wie Mafia, Clan oder Bande extrem gut. Alle Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass die Vorwürfe nicht stimmen. Interessanterweise höre ich Begriffe wie Mafia oder Bande im Zuge von Steuerhinterziehung fast nie. Wenn ich lese, wie die Strukturen hier funktionieren, scheinen sie mir hier viel besser zu passen.

Zurück zum Neoliberalismus: Kaum jemand bezeichnet sich heute als Neoliberaler. Wird der Begriff nicht vor allem von seinen Gegnern verwendet?

Ich würde die Verwendung des Begriffs immer verteidigen, weil er sich auch geschichtlich gut nachzeichnen lässt. Schon in den 1930er Jahren kamen verschiedene Ökonomen und Intellektuelle wie Walter Lippmann oder August von Hayek zusammen, um über eine Erneuerung des Liberalismus nachzudenken. Man hatte festgestellt, dass der klassische ‚Laissez-faire‘-Kapitalismus so nicht mehr funktioniert und mehrheitsfähig ist. Gleichzeitig lehnte man auch den keynesianischen Wohlfahrtsstaat ab. Das Ziel war: ein politisches Projekt, das Marktprinzipien auf alle Bereiche der Gesellschaft ausdehnt und privates Eigentum schützt. Dabei wird ein starker Fokus auf Eigenverantwortung gesetzt. Das ist auch ein typischer neoliberaler Begriff. Er wurde in Deutschland vor allem durch den sogenannten Ordoliberalismus stark gemacht, dem deutschen Ableger des Neoliberalismus. Es gibt einige Beispiele, wie diese Ideen umgesetzt wurden, etwa in Chile unter Augusto Pinochet oder die Privatisierungen von Staatsunternehmen und der Abbau von Sozialausgaben in den 80er und 90er Jahren. Zu dieser Ideologie gehört aber auch die Fokussierung auf eine globale Wirtschaft mit Handelsabkommen, die den freien Handel auch international absichern. Und es gibt politische Vertreter wie Thatcher und Reagan bis hin zu dem sogenannten dritten Weg der Sozialdemokratie …

… unter Gerhard Schröder und Tony Blair …

… was ganz klar mit dem Abbau von Sozialleistungen einherging. In Deutschland gibt es heute die „Initiative Soziale Marktwirtschaft“, die eine deutlich neoliberale Agenda verfolgt und in die viele Mittel aus der Wirtschaft gesteckt werden. Und es gibt die Mont Pélerin Society, ein Netzwerk und Think-Tank, das auf internationaler Ebene neoliberale Ideen zusammenbringt und versucht, Einfluss auf Politik zu nehmen. Der Neoliberalismus hat sich heute so tief in unser Selbstverständnis eingegraben, dass wir häufig gar nicht mehr merken, wie wir sein Denken übernommen haben. Wenn wir beispielsweise denken, dass Reichtum mit Leistung zusammenhängt. Oder, dass Menschen, die ums Überleben kämpfen, irgendwie kriminell seien. Das alles heißt aber auch nicht, dass vor dem Neoliberalismus alles gut war, ganz im Gegenteil. Antiziganismus, Rassismus und Gewalt durch Polizei und Sicherheitsbehörden gab es schon immer. Das haben auch klassische Liberale nicht kritisiert. Durch die zunehmende Versicherheitlichung verstärkt sich die Gewalt jedoch.

Geht der Neoliberalismus, der auch immer wieder die Wettbewerbsfähigkeit in den Vordergrund stellt, einher mit dem aufkommenden Autokratismus – oder zumindest mit einem autoritären Denken?

Im Gegensatz zum klassischen politischen Liberalismus gibt es im Neoliberalismus einen Primat der Ökonomie vor dem Politischen. Die Marktwirtschaft ist bei Rawls immer nur ein Teil des Ganzen. Fragen von allgemeinen Grundrechten, Demokratie und Gerechtigkeit stehen an oberster Stelle. Bei neoliberalen Autor*innen gibt es dagegen ein Primat der Ökonomie. Sie wollen nicht mehr über Gerechtigkeit reden, sondern übertragen die Grundprinzipien und Mechanismen des Marktes auf alle Gesellschaftsebenen. Beispielsweise gibt es die Idee, das Bürger*innen in einer Demokratie auch ihre Stimme verkaufen können sollten. Im Neoliberalismus soll sich also auch die Demokratie an den Markt anpassen. Autoritäre Tendenzen müssen deshalb gar kein Problem sein, solange die Marktprinzipien aufrechterhalten werden. Das zeigt sich auch im zunehmenden neoliberalen Ausbau des Sicherheitsapparats. Das neue Polizeiaufgabengesetz in Bayern wurde mehrfach als das schärfste Polizeigesetz seit 1945 bezeichnet, das die Grundrechte massiv einschränkt und anfangs auch ein zeitlich unbegrenztes Sicherheitsgewahrsam ohne Gerichtsurteil vorsah. Und auch in der Verdrängung und Kriminalisierung von Armut, teilweise auch durch die Verwendung rassistischer Stereotype, zeigen sich autoritäre Tendenzen. Ich würde deshalb nicht nur sagen, dass Neoliberalismus und Autoritarismus ganz gut zusammengehen. Der Neoliberalismus ist selbst ein autoritäres Projekt.

Die Angst wird instrumentalisiert, indem suggeriert wird, sie werde von kriminellen Banden ausgelöst
Das NS-Regime hat anfangs auch Armutsbekämpfung mit ähnlichen Narrativen betrieben
Der Neoliberalismus ist selbst ein autoritäres Projekt

Zur Person

Julian Prugger (33) ist Philosoph und arbeitet an der Hochschule für Philosophie in München zu Fragen der Polizeikritik, zum Postkolonialismus und zur Rolle von sozialen Bewegungen in der Demokratie. Er war Mitglied der „Polizeiklasse“, eines aktivistisch-künstlerischen Kollektivs aus München, das sich gegen die Novellierung des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes einsetzte.


@Här Hottua
13. Februar 2024 - 16.07

Esou e langen Roman liest ke Mensch

Grober J-P.
13. Februar 2024 - 14.13

Wollte mal nachfragen, ist H. Vogel krank oder bereits abgetreten?

fraulein smilla
13. Februar 2024 - 13.33

Wie kann es sein ,das Prugger dieser Titan der deutschen Philosophie noch keinen Eintrag in der Wikipedia hat ?Vieleicht weil er nichts zu sagen hat ausser Gutmenschenblabla .

Nomi
13. Februar 2024 - 13.26

@ Staater :
Splecken vun der Gesellschaft, graad daat ass den Businessmodel vun deser Zeitung !

DanV
13. Februar 2024 - 13.04

Nun ist aber mal genug!

Luxemburg mit einem Land zu vergleichen, das Armut mit Minijobs und Hartz IV bewusst herangezüchtet hat, grenzt schon an Defätismus.

Vergessen wir nicht, dass Deutschland den gesetzlichen Mindestlohn erst 2015 eingeführt hat. Bei uns gibt es ihn seit 1944 (Mémorial no 3 de 1945).

Staater
13. Februar 2024 - 10.44

Et geet elo duer mat deem Thema. E "No-problem" deen ëmmer erëm nei opgebauscht an dramatiséiert gëtt vu sougenannten Gutmënschen an âner Matleidender. Dât bréngt néischt et spléckt just d'Gesellschft a Gudder an a Schlechter.

ökostalinist
13. Februar 2024 - 10.02

So ist es. CSV und DP versuchen unter dem Deckmantel des "Sicherheitsgefühls" rassistische Politik zu machen.

Leila
13. Februar 2024 - 9.23

Der Mann überzeugt!

JJ
13. Februar 2024 - 9.12

Wenn der Sozialstaat ein solcher wäre gäbe es keine Bettler. Dazu braucht es keine Philosophen. Aber sollte das Thema jetzt nicht abgeschlossen werden? Die Welt beginnt auf uns zu schauen .

Robert Hottua
13. Februar 2024 - 9.01

Die "rassisch entarteten, psychisch kranken, idiotischen, gemeingefährlichen bettelnden Volksverderber" wurden 1933 von den schwarzen Kräften Luxemburgs als erbkranke Ballastexistenzen für die rassische "Heilserlösung" freigegeben.
▪ Hütten und Paläste. Am 1.9.1933 sagte der Leiter des NSDAP-Rassenamtes, Dr. med. Walter GROSS, auf dem Nürnberger Parteitag (also an die Weltöffentlichkeit gewandt): "Ein Volk, das seinen Säufern und Schwachsinnigen Paläste erbaut, während seine Arbeiter und Bauern mit schäbigen Hütten Vorlieb nehmen müssen, ein solches Volk geht mit Riesenschritten seinem Untergang entgegen. Unser Erbgesundheitsgesetz wird uns in Zukunft von diesen Ballastexistenzen befreien."
▪ Keiner hat die Bettler vor der Razzia gewarnt
(11.9.1993, Frankfurter Rundschau) Von Wolfgang AYASS.
Wie Wohlfahrtsverbände, Presse und Rundfunk Hand in Hand mit den Nazis gegen die Armen vorgingen. Mitte Juli 1933 ergriff das wenige Wochen zuvor gegründete Propagandaministerium in einem Schreiben an das Reichsinnenministerium Initiative für eine umfassende "Bekämpfung des Bettelunwesens". Bei den Vorbereitungen für das Winterhilfswerk 1933/34 glaubte man festgestellt zu haben, daß von bettelnden Menschen unerwünschte Konkurrenz für das geplante Winterhilfswerk drohte: "Von allen bisher zu den Vorarbeiten der Winterhilfe 1933 zugezogenen Stellen ist übereinstimmend der Meinung Ausdruck gegeben worden, daß Voraussetzung für ein Gelingen der Winterhilfe die Bekämpfung des übermäßig angewachsenen Bettelunwesens sei. (…) Das Propagandaministerium schlug eine einheitliche, reichsweite Bettlerrazzia vor, bei der "schlagartig in einer bestimmten Zeitspanne mit ganzem Aufgebot aller Polizeikräfte sämtliche bettelnden Personen angehalten werden können". Die 'Aktion' solle in der zweiten Septemberhälfte stattfinden, zeitlich gut abgestimmt mit der Anfang Oktober unter dem Motto "Keiner soll hungern, keiner soll frieren" anlaufenden Propagandakampagne für das Winterhilfswerk. Nach kurzem Zögern griff das Reichsinnenministerium den Vorschlag des Propagadaministers auf. In einem am 13. September im "Ministerialblatt für die Preußische Innere Verwaltung" veröffentlichten Erlaß wurde für Ende September eine bis dahin einmalige Großrazzia gegen Bettler angesetzt. (…) Die Bekämpfung der Bettler sei "aus Gründen einer gewissermaßen psychischen Hygiene nicht zu unterschätzen. Wenn die oft in widerlich aufdringlicher Weise aus egoistischen Zwecken öffentlich zur Schau gestellte Not aus dem Gesichtskreis der werktätigen Bevölkerung (…) verschwindet, so wird damit auch ein gewisses Gefühl der Befreiung und Erleichterung, der Stabilisierung der Verhältnisse und des wirtschaftlichen Vorwärtskommens gewährleistet." (...)
MfG
Robert Hottua