EditorialDie Proteste gehen weiter – doch wir dürfen nicht nur den Schwurblern zuhören

Editorial / Die Proteste gehen weiter – doch wir dürfen nicht nur den Schwurblern zuhören
Am 11. Dezember musste sogar ein Wasserwerfer der belgischen Polizei zum Einsatz kommen Foto: Editpress/Alain Rischard

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Wer gehofft hatte, dass auch die Gegner der Corona-Maßnahmen eine kleine Winterpause einlegen würden, wird leider enttäuscht. Protestieren scheint das neue Schwurbler-Hobby zu sein – egal, ob sie damit den Menschen schaden, die nichts für die Entscheidungen können, gegen die sie eigentlich protestieren. Denn wann die nächsten Veranstaltungen stattfinden sollen, kursiert bereits in den Schwurblergruppen.

Am Dienstag wollen einige ganz inbrünstig hinter der Kathedrale beten gehen. Am Mittwoch soll – ach du Schreck – ein „Generalstreik“ das Ländchen lahmlegen. Dass sie tatsächlich glauben, dass es irgendjemanden außer ihren direkten Chef interessiert, wenn 500 Protestler der Arbeit fernbleiben, zeigt, in welch wirklichkeitsfernen Glaubenswelten manche unterwegs sind. Und wenn es sogar – seien wir mal gnädig – 2.000 oder die von der Szene beschworenen 6.000 sind, die in Streik treten, wird es die große Mehrheit im Land kaum kratzen. 

Allein im vergangenen Monat befanden sich jede Woche weit mehr als 12.000 Menschen in Luxemburg in Isolierung und Quarantäne. Wir werden also mit Sicherheit auch einen Tag überstehen, an dem sich Impfschwurbler weigern, ihrer Arbeit nachzugehen. 

Natürlich dürfen auch die „Samstagsspaziergänge“ durch die Stadt nicht fehlen. Sowohl am 25. Dezember wie am 1. Januar will eine laute Minderheit am Glacis protestieren. Die Leidtragenden werden am Ende wohl die Polizisten sein, die ihren freien Tag opfern müssen, um die Corona-Schwurbler zu begleiten. 

Doch wieso schenken wir den paar Hundert herumschreienden Trotzköpfen so viel Aufmerksamkeit? Die Frage müssen auch wir Journalisten uns gefallen lassen. Immerhin dominieren die Corona-Proteste seit Wochen die Headlines. 

Darauf kann man entgegnen, dass es die Pflicht der Journalisten ist, Protestbewegungen zu begleiten. Immerhin haben wir auch über die Klima-Demonstrationen regelmäßig berichtet. Wenn Kritik an der Politik geübt wird, soll der Bürger auch darüber Bescheid wissen. Und sei es nur, damit er weiß, welche Straßen durch den Demozug gesperrt sind. Der Unterschied: Bisher sind Proteste in Luxemburg zumeist friedlich abgelaufen. 

Die Radikalisierung der Anti-Corona-Maßnahmen-Fraktion und die Abgründe, die sich, angetrieben durch die Rhetorik der Schwurbler-Influencer, auftun, müssen wir beleuchten. Da führt kein Weg dran vorbei. Bei einem Teilnehmer der Demos ist am Wochenende bei einer Hausdurchsuchung Sprengstoff gefunden worden. Ein anderer droht auf einem im Netz zirkulierenden Video den anwesenden Polizisten damit, sie anzugreifen, wenn er sie „in Zivil erwischt“. Am vorigen Wochenende wurden die Beamten mit Flaschen und Böllern beworfen. Und die Bilder des 4. Dezember, als Protestierende den Weihnachtsmarkt stürmten, sind uns noch gut im Gedächtnis. Das sind keine „einfachen“ Proteste mehr – sondern eine gefährliche Mischung aus friedlichen Demonstrierenden und gewaltbereiten Elementen, die nur darauf warten, die Demokratie zu unter-, wenn nicht sogar zu begraben.

Das Wichtige dabei ist, dass wir vor lauter Schwurblern nicht vergessen, über jene zu berichten, die durch die Schwurbler zu Schaden kommen, von ihnen instrumentalisiert oder verdrängt werden. Diejenigen, die einen geliebten Menschen durch das Virus verloren haben oder selbst noch mit den Langzeitfolgen einer Erkrankung kämpfen, haben ein Recht, gehört zu werden. Jene, die tatsächlich unter Nebenwirkungen der Impfung leiden und ernst gemeinte Fragen haben, müssen zu Wort kommen – ohne gleich fürchten zu müssen, als Corona-Schwurbler zu gelten. Und die ohnehin schon gebeutelten Geschäftsleute, deren Umsatz von den Protesten beeinträchtigt wird, sollen ihre Meinung ebenfalls sagen dürfen.