Freitag31. Oktober 2025

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Analyse von Frank EngelDie CSV und ihr Sozialproblem: Warum der sogenannte „soziale Flügel“ jetzt das Haus übernehmen muss

Analyse von Frank Engel / Die CSV und ihr Sozialproblem: Warum der sogenannte „soziale Flügel“ jetzt das Haus übernehmen muss
Luc Frieden lässt sich feiern: Macht er Politik, die im krassen Widerspruch zur Mitgliedschaft in einer christlich-sozialen Volkspartei steht? Foto: Editpress/Julien Garroy

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Es gab eine Zeit, in der viele Menschen der CSV beitraten, weil sie das war, was ihr Name besagt: eine christlich-soziale Volkspartei. In jener Zeit – das klingt nach biblischer Sprache und scheint auch ähnlich lange her wie die Verfassung der Evangelien – war sich die Partei bewusst, wo sie herkam, und sie wusste, wo sie hinwollte. Die CSV war, wie Jean Spautz es auszudrücken pflegte, eine Partei für den Arbeiter genauso wie für den Bankdirektor. Sie hatte keinen sozialen Flügel, sie war eine soziale Partei.

Frank Engel analysiert in einer Artikelreihe die internationale und die nationale Politik für das Tageblatt
Frank Engel analysiert in einer Artikelreihe die internationale und die nationale Politik für das Tageblatt Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Menschen wie der Verfasser dieser Zeilen traten der CSV aus zwei Gründen bei. Erstens, in meinem Fall, weil mich das föderalistische Europabekenntnis der Christdemokratie begeisterte. Zweitens, weil die katholische Soziallehre für mich ein inklusives Programm für die gesellschaftliche Entwicklung darstellte – sozialen Fortschritt, das Begreifen des Menschen nicht nur als Individuum, sondern als komplexe Person in ihrem gesamten familiären und gesellschaftlichen Umfeld. Wenn ich mir heute die wesentlichen Akteure der CSV anschaue, sie in ihrem politischen Wirken beobachte, stelle ich mir die Frage, ob sie jemals von den Dingen gehört haben, die ganze Generationen von auch jungen Menschen einmal für die CSV überzeugen konnten. 

Es gibt immer noch Menschen in der CSV, die aus der katholischen Arbeiterbewegung kommen. Es gibt noch welche, für die ein Mensch zuerst ein Mensch ist, eine Person, und dann erst nach vermeintlichem gesellschaftlichen Nutzen eingeordnet wird – als Führungskraft, als Beamter, als Landwirt, als Flüchtling, als Obdachloser, als Bettler. Es gibt noch Menschen in der CSV, die im Zweifelsfall die Arbeit über das Kapital stellen, weil sie für Christlichsoziale nur dort stehen kann. Es gibt noch Menschen in der CSV, die anerkennen, dass Arbeit den Selbstwert einer Person mitbestimmt, die Tatsache, dass eine Person arbeitet, sie gesellschaftlich verankert und stärkt, und dass sie schon allein deswegen vom Lohn ihrer Arbeit vernünftig und würdig muss leben können. 

Dazu gehört auch, nicht drei Viertel ihres verfügbaren Einkommens für das Menschenrecht auf Wohnen ausgeben zu müssen. Dazu gehört nicht, rund um die Uhr, auch sonntags, für wenig Lohn die Konsumorgien anderer bewirten zu müssen.

Patronatsanhängsel CSV

Leider wurde aber in der CSV Zepter, Schwert und Reichsapfel von Leuten übernommen, die die Dinge völlig anders sehen. Auf eine Weise, die eigentlich im krassen Widerspruch zur Mitgliedschaft in einer christlich-sozialen Volkspartei steht.

Es gibt heute zu viele Menschen in der CSV, die der Meinung sind, ihre Partei wäre für die erfolgreichen und wohlhabenden Menschen zuständig. Die glauben, Bettler verbieten und Obdachlose kriminalisieren zu müssen, weil sie im Leben eben nicht erfolgreich waren. Die sich für „wirtschaftskompetent“ halten, weil sie jede Position und Forderung der (Finanz)wirtschaft unbesehen für sich selbst übernehmen. Oder die ganz einfach finden, sie hätten Karriere, Amt und Würden verdient – egal, ob sie politisch irgendetwas leisten oder eben nicht. 

Dass es letztere Kategorie von Politikern und -innen nicht nur in der CSV gibt – geschenkt. Aber andere Parteien haben nicht die hehren Ansprüche der CSV. Zumindest nicht ihr liberaler Koalitionspartner, bei dessen Betrachtung mir immer wieder Loriots liberale Fantasiefigur in den Sinn kommt, die im TV-Gespräch mit Opa Hoppenstedt in Endlosschleife wiederholte, dass „liberal nicht nur im liberalen Sinne liberal“ bedeute. Es bedeutet eben liberal. Da gibt es keine Berufung auf weltanschaulich-philosophische Grundausrichtungen, und die DP hat auch nie behauptet, eine Partei des kleinen Mannes zu sein. Dennoch konnte sich die DP in den letzten Jahren zur modernen, weil ungebundenen, Volkspartei entwickeln. Wenn der liberale Außenminister die Reste des Sozialdialogs in Sitzungen retten muss, in denen der CEO der CSV dazu nicht imstande ist, spricht das Bände – über den neuen volksparteilichen Anspruch der DP ebenso wie über das Patronatsanhängsel CSV. Pierre Werner würde innerlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er die Stümperhaftigkeit seines aktuell in Funktion befindlichen Nachfolgers live miterleben müsste.

„Déi gréng musse fort“

Die CSV ist heute von erschlagender Beliebigkeit. Die meisten ihrer Hauptexponenten sind inhaltlich nicht mehr zu greifen – was oft genug daran liegt, dass sie überhaupt keinen Inhalt mehr transportieren. In Regierung und Parlament sitzen Dutzende Leute, von denen keine inhaltliche Aussage überliefert ist. Die CSV hat bei den letzten Wahlen den Absturz nur verhindern können, weil sie eifrig beim sehr zeitgemäßen und trendigen Grünen-Bashing mitgemacht hat – das Motto „déi gréng musse fort“ war die stärkste inhaltliche Position im CSV-Wahlkampf 2023. Dass sie dabei über 5 Prozent Stimmen leihen konnte, die sie eigentlich nicht mehr hat, belegt ihr Europawahlresultat 2024 – unter 23 Prozent, trotz Regierungsverantwortung, CSV-Premierminister und dreo Parlamentariern von sechs Kandidaten. Dort führt der Weg auch bei Chamberwahlen hin. 

Die Partei selbst existiert als Fabrik von Ideen und Vorschlägen nicht mehr. Das wundert nicht, nachdem die Parlamentsfraktion der CSV in zehn Jahren Opposition darauf verzichtet hat, irgendeine Linie erkennbar werden zu lassen – außer halt gegen die Regierung zu sein –, um ja für alle wählbar und an die Macht retournierbar zu sein. Die ehemalige Fraktionsvorsitzende antwortete einmal einem Journalisten auf die Frage, was denn eine „Partei der Mitte“ sei, mit: „Wir sind nicht extrem.“ 

Entgleisungen hoher ADR-Vertreter

Diese Sachlage könnte bei Menschen, die die CSV nicht im Herzen tragen, dazu führen, dass ein Maß an Schadenfreude aufkommt. Eigentlich ist die Entwicklung aber nur schade. Denn ohne eine große Partei der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, des sozialen Fortschritts und der Ausrichtung am Gemeinwohl wird die luxemburgische Parteienlandschaft objektiv ärmer. Das meiste von dem, was heute von der CSV übrig ist, kann von der DP mit übernommen werden. Wer dahin nicht will, kann zur ADR wechseln – angesichts der nachgerade ohrenbetäubenden Stille, mit der die CSV sämtliche Entgleisungen hoher ADR-Vertreter passieren lässt, werden das wohl nicht so wenige sein.

Wenn die CSV den sicheren Niedergang vermeiden will, muss der sogenannte „soziale Flügel“ jetzt das Haus übernehmen und verhindern, dass die Partei vollends in lächerliche Bedeutungslosigkeit abrutscht. Wenn jene, die noch wissen, wieso die CSV nicht die DP ist, sich nun nicht Mehrheiten und inhaltliche Hoheit sichern, braucht es die CSV schlicht nicht mehr. 

Guy Mathey
11. September 2025 - 19.14

Interessante, ziemlich realistische Beschreibung der aktuellen CEO - CSV, Herr Engel.

El Greco
11. September 2025 - 13.53

Der Gedanke, dass die inhaltliche Leere dieser CSV einerseits von der Lifestyle-Partei DP und andrerseits von den völkisch-nationalistischen Putinfreunden der ADR ausgefüllt werden sollte, lässt mich schaudern.

Luxmann
11. September 2025 - 13.24

Da schiebt aber einer maechtig frust auf seine ex parteikollegen😉

Altwies Yves
11. September 2025 - 13.07

"In Regierung und Parlament sitzen Dutzende Leute, von denen keine inhaltliche Aussage überliefert ist."

Eher diplomatische Umschreibung eines Trauerspiels.

Nomi
11. September 2025 - 10.45

Et ass just schued dass den Engel net mei an der CSV Eppes beidro'en kann !

Hie wir den besseren Novolger vum JC gewiescht !