Überstunden-SteuerDeutsche Grenzgänger können für sieben Jahre rückwirkend zur Kasse gebeten werden

Überstunden-Steuer / Deutsche Grenzgänger können für sieben Jahre rückwirkend zur Kasse gebeten werden
Grenzbrücke zwischen dem deutschen Wellen und dem luxemburgischen Grevenmacher: „Eine Aussage zu dem zu erwartenden Steueraufkommen aus luxemburgischen Überstundenvergütungen in Deutschland kann nicht getroffen werden“  Symbolfoto: Editpress-Archiv/Fabrizio Pizzolante

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Grenzgänger müssen ihre in Luxemburg entlohnten Überstunden jetzt in Deutschland versteuern. Das rheinland-pfälzische Landesamt für Steuern präzisiert nun: Wenn Grenzgänger in der Vergangenheit keine Steuererklärung gemacht haben, kann die Regel für sieben Jahre rückwirkend angewandt werden. 

Schock für Grenzgänger aus Deutschland: In einer Vereinbarung zum neuen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Luxemburg und Deutschland wird festgehalten, dass sie ihre Überstunden jetzt versteuern müssen – in Deutschland. Dafür muss eine Steuererklärung gemacht werden. Aber damit nicht genug: diese Regelung ist offenbar auch rückwirkend anzuwenden – für alle Arbeitnehmer, die keine Steuererklärung eingereicht haben. 

Allerdings nicht nur rückwirkend für das Jahr 2024 – dem Jahr, in dem die „Konsultationsvereinbarung“ von Vertretern der Luxemburger und Deutschen Steuerbehörden unterzeichnet wurde. Sondern theoretisch auch für viel ältere Fälle. Der Steuerexperte Stephan Wonnebauer erklärte in der vergangenen Woche im Tageblatt: „Wer für die vergangenen Jahre noch keine Steuererklärung abgegeben hat, kann zur Kasse gebeten werden.“ Grund dafür ist ein Satz auf dem Deckblatt des Schreibens, mit dem das Bundesfinanzamt Landessteuerbehörden über die Vereinbarung mit Luxemburg informiert: „Die Konsultationsvereinbarung ist auf alle Fälle anzuwenden, die zum Zeitpunkt ihrer Anwendung noch nicht abgeschlossen sind.“

Festsetzungsfrist entscheidet

Was heißt das konkret? Das haben wir das Finanzamt Trier gefragt. Das Amt, das für zig Tausend Grenzgänger in der Stadt Trier und im Landkreis Trier-Saarburg zuständig ist, wusste aber keine Antwort – und verwies uns an die übergeordnete Behörde, das „Landesamt für Steuern“ in Koblenz. Das Landesamt antwortete am Donnerstag. Es bestätigt: „Die Regelung gilt für alle offenen Zeiträume, das heißt für Fälle, in denen noch keine Festsetzungsverjährung in Deutschland eingetreten ist.“ Es hänge vom Einzelfall ab, wie viel Jahre noch offen seien. 

Prinzipiell betrage die „Festsetzungsfrist“ in Deutschland vier Jahre – und sie beginne „spätestens mit dem Ablauf des dritten Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist“, schreibt das Landesamt. „Das bedeutet, dass in Fällen, in denen keine Einkommenssteuererklärung abgegeben wurde, in der Regel noch sieben Jahre offen sind.“

Also: Grenzgänger, die in den vergangenen sieben Jahren Löhne für Überstunden aus Luxemburg bezogen haben und keine Steuererklärung gemacht haben, müssen sich jetzt womöglich erklären – und womöglich Steuern nachzahlen.

Das kann existenzbedrohend werden. Das tut den Menschen richtig weh.

James Marsh, OGBL

„Ich frage mich, wie ein normaler Arbeitnehmer das stemmen soll“, sagt James Marsh, bei der Gewerkschaft OGBL für die deutschen Grenzgänger zuständig. „Ich weiß, dass Überstunden im Bausektor angehäuft werden ohne Ende – und auch bei Transportunternehmen ist das so.“ Diese würden dann am Ende des Jahres ausgezahlt werden. „In einigen Berufssparten reden wir von einigen 1.000 Euro Nachzahlungen pro Jahr – auf sieben Jahre gerechnet, kommen wir da in den fünfstelligen Bereich“, erklärt der Gewerkschafter. „Das kann existenzbedrohend werden. Das tut den Menschen richtig weh.“

Marsh wundert sich noch immer darüber, dass die deutschen Behörden die Regelung nicht als neu ansehen. Tatsächlich schreibt das Landesamt für Steuern in seiner Antwort an das Tageblatt: „Bei den Ausführungen in der Konsultationsvereinbarung vom 11. Januar 2024 handelt es sich nicht um eine Neuregelung, sondern um reine Klarstellungen zu den Regelungen des DBA-Luxemburg.“ Demnach gingen „Luxemburg und Deutschland bereits vor Anwendungsbeginn des Änderungsprotokolls vom 6. Juli 2023“ davon aus, dass bestimmte Einkunftsteile, die in Luxemburg nicht tatsächlich besteuert werden, unter die Rückfallklausel fielen. „Hierzu zählten auch die Überstundenvergütungen. Insoweit hat sich an der geltenden Rechtslage nichts geändert, außer dass die Aussage zur Vermeidung von Rückfragen nun explizit in der Konsultationsvereinbarung aufgenommen wurde.“ Ähnlich hatte sich das Bundesfinanzministerium bereits auf Tageblatt-Anfrage geäußert. 

In Stein gemeißelte Regel?

„Ich verstehe nicht, warum das nicht in der Vergangenheit umgesetzt wurde – und jetzt auf einmal sagen sie, sie gehen sieben Jahre zurück“, sagt James Marsh. Er habe noch nie davon gehört, dass zuvor Arbeitnehmer vom Finanzamt angeschrieben wurden und Überstunden nachweisen mussten. Die vielen Grenzgänger, die Überstunden gemacht hätten, aber vorher keine Einkünfte in Deutschland hatten und deshalb keine Steuererklärung abgegeben hatten, die hätten jetzt ein Problem. „Das muss ich erst mal sacken lassen“, sagt Marsh. 

Seine Gewerkschaft habe erneut das Luxemburger Finanzministerium um ein Gespräch gebeten. Marshs Hoffnung: dass man wenigstens in Zukunft verhindern kann, dass die Überstunden versteuert werden müssen. Für die Fälle aus der Vergangenheit hat der Gewerkschafter keine große Hoffnung: „Wenn das Landesamt für Finanzen die Regel so auslegt, ist das wohl in Stein gemeißelt.“ Insbesondere, da sich die Behörde darauf beruft, dass die Regel eigentlich nicht neu sei, sondern jetzt nur für Klarheit gesorgt wurde. 

Was der deutsche Fiskus sich überhaupt an neuen Einnahmen erwartet? Unbekannt. Das Landesamt für Steuern schreibt: „Eine Aussage zu dem zu erwartenden Steueraufkommen aus luxemburgischen Überstundenvergütungen in Deutschland kann nicht getroffen werden.“