Grenzgänger-Steuer„Die Darstellung des Luxemburger Finanzministeriums ist komplett falsch“

Grenzgänger-Steuer / „Die Darstellung des Luxemburger Finanzministeriums ist komplett falsch“
Feierabendverkehr an der Cloche d’Or: Grenzgänger aus Deutschland können für ihre Überstunden jetzt vom deutschen Fiskus zur Kasse gebeten werden Symbolfoto: Editpress-Archiv/Julien Garroy

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Der Aufschrei war groß: Grenzgänger aus Deutschland müssen ab 2024 ihre in Luxemburg gearbeiteten Überstunden in Deutschland versteuern. Das Luxemburger Finanzministerium gab in der vergangenen Woche Entwarnung – zumindest laut einer Pressemitteilung der Gewerkschaften OGBL und LCGB: Wegen einer Steuerfreigrenze im deutschen Steuersystem sollte die Belastung nur gering ausfallen. Im Tageblatt-Interview erklärt der Steueranwalt Stephan Wonnebauer: Das stimmt nicht. Und es gibt noch andere schlechte Nachrichten für Grenzgänger.

Tageblatt: Herr Wonnebauer, was müssen deutsche Grenzgänger nun genau versteuern? 

Stephan Wonnebauer: Gemeint sind meines Erachtens die reinen Überstundenlöhne, die komplett steuerfrei sind, insbesondere die Zuschläge. Es gibt eben diese Konsultationsvereinbarung, und in der wurden als Konkretisierung noch einmal Kleinigkeiten festgelegt. Und da steht der unschuldige Satz: „Überstunden gelten als nicht besteuert.“

Ist diese Regelung denn neu? 

Dass Überstunden in Deutschland versteuert werden müssen, ist eine neue Entwicklung. Bislang wurden die Überstunden als in Luxemburg besteuert angesehen. Der Betrag ist durch die Steuermühle, nämlich die Luxemburger Steuervorschriften, gemahlen worden. Es gibt die sogenannte Rückfallklausel. Die wird normalerweise so interpretiert, dass Deutschland keine Steuern erhebt, wenn es ein Gesetz in Luxemburg gibt und der Betrag in Luxemburg von diesem Gesetz her steuerfrei ist. Aber dieses Paradigma des Steuerrechts definieren die beiden Länder jetzt neu. Sie sagen auf einmal: „Überstunden gelten als nicht besteuert.“ Vorher galten sie als besteuert.

Stephan Wonnebauer ist Rechtsanwalt in Deutschland und Luxemburg mit dem Spezialgebiet Steuerrecht und Steuerberatung. Er betreut Mandanten in Kanzleien in Wasserbillig, Stadtbredimus und Trier.
Stephan Wonnebauer ist Rechtsanwalt in Deutschland und Luxemburg mit dem Spezialgebiet Steuerrecht und Steuerberatung. Er betreut Mandanten in Kanzleien in Wasserbillig, Stadtbredimus und Trier. Foto: privat

Wieso gelten ausgerechnet Überstunden auf einmal als nicht besteuert, andere Zuschläge, wie beispielsweise für Feiertagsdienste, aber nicht? Sie sind in Luxemburg doch auch steuerfrei. 

Eben! Ich sehe da keinen Unterschied. Ich weiß nicht, wieso sie das so geschrieben haben. Aber es ist keine Banalität. Die Deutschen hätten auch sagen können: Wir besteuern Abfindungen. Bestimmte Abfindungen sind in Luxemburg auch steuerfrei. Aber die beiden Länder haben vereinbart, dass Abfindungen in Deutschland nicht zu versteuern sind. Und das ist tatsächlich auch gegen das Paradigma des Steuerrechts. Denn Abfindungen werden nach internationalem Steuerrecht im Wohnsitzland geleistet.  

Hat sich die Luxemburger Steuerverwaltung bei den Überstunden etwa übers Ohr hauen lassen?

Es gab nach dem Regierungswechsel auch einen Wechsel beim Personal in der Steuerdirektion, vielleicht hat es damit zu tun. Die Vereinbarung wurde im Januar unterschrieben, aber so etwas ist garantiert Monate vorher verhandelt worden. Im Satz mit den Überstunden steht auch, dass „Lottogewinne“ ebenfalls als nicht besteuert angesehen werden. Lottogewinne? Das ist schon sehr außergewöhnlich. Es steht übrigens nicht drin, dass die Überstunden in Deutschland besteuert werden. Es steht da nur, dass sie in Luxemburg nicht besteuert angesehen werden. Da muss man schon ein Steuerexperte sein, um das richtig zu interpretieren. Ich gehe davon aus, dass dieser Satz in Luxemburg als harmlos angesehen wurde, jedenfalls seine Sprengkraft nicht erkannt wurde. 

Luxemburgs Finanzministerium sagt, dass es wegen des deutschen Freibetrags „voraussichtlich nicht zu einer systematischen Besteuerung“ der Überstunden kommt.

Das ist auch ein Witz, dass das luxemburgische Finanzministerium das deutsche Steuerrecht erklärt. Und das auch noch falsch. Der Finanzminister sollte sich nicht dazu äußern. Er redet sich heraus und sagt: Es passiert eh nichts. Er sollte eher mal erklären, warum dieser Satz in der Konsultationsvereinbarung steht. Was hat sich die Luxemburger Finanzdirektion dabei gedacht? Da wird ja ein Paradigma geändert.    

Es ist ein Witz, dass das luxemburgische Finanzministerium das deutsche Steuerrecht erklärt

Stephan Wonnebauer, Steueranwalt

Die Angaben des Ministeriums sind nicht richtig? 

Die Darstellung des Luxemburger Finanzministeriums ist komplett falsch. In Deutschland gibt es tatsächlich eine Steuerfreigrenze – aber nicht für Grenzgänger. Wenn ein Grenzgänger beispielsweise 3.000 Euro Mieteinkünfte in Deutschland hat und 50.000 Euro in Luxemburg verdient, dann sagt man nicht: Die 3.000 Euro liegen ja unter dem Steuerfreibetrag. Nein, die 50.000 Euro werden dazugerechnet. In Deutschland gilt der sogenannte Progressionsvorbehalt. Der Steuersatz ermittelt sich also aus dem Luxemburger Gehalt und dem in Deutschland zu versteuernden Anteil. Das weiß jeder Steuerfachangestellte. 

Wie sieht die Besteuerung denn konkret aus? 

Ein Beispiel: Ein Handwerker verdient 40.000 Euro brutto in Luxemburg und dazu 3.000 Euro mit Überstunden. Jetzt nehme ich die 3.000 Euro und setze sie in die deutsche Steuererklärung. Man zieht 1.200 Euro Werbungskosten ab. Bleiben 1.800 Euro übrig. Dann hat unser Handwerker bestenfalls noch ein paar Versicherungsrechnungen, die er absetzen kann. Am Ende bleiben aber 1.000 Euro übrig, die zu versteuern sind.

Wie viel Steuern sind dann darauf fällig? 

Die 1.000 Euro werden dann mit einem Steuersatz von 1.000 Euro plus 40.000 Euro versteuert. Da kommen bestimmt 20 Prozent raus. Auf die 3.000 Euro würden so 200 Euro anfallen. Bei einer Krankenschwester stehen auch mal 6.000 Euro an Überstundengehältern an. Andersherum: Wenn Sie 3.000 Euro brutto verdienen, verdienen Sie ja nicht 3.000 Euro zusätzlich mit Überstunden, sondern vielleicht 300, 400 Euro im Monat. Falls man Kinder hat, gibt es auch noch einen halben Kinderfreibetrag, dann kommt vielleicht gar keine Steuer raus. 

Wer ist von der Regelung betroffen? 

Ich mache Steuererklärungen vom Arbeiter bis zum Bankmanager. Ich würde mal sagen, es betrifft vielleicht 20 Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Otto-Normal-Verdiener, die Überstunden machen, meistens Handwerker, die verdienen unter 40.000 Euro Brutto. Und die sind davon betroffen. Leitende Angestellte, Hochverdiener, die 100.000 Euro im Jahr verdienen, die haben keine Überstunden. Da ist das im Jahresgehalt mit drin. Das ist natürlich auch wieder sehr unsozial.

Gilt die Regelung erst ab 2024? 

Nein. Denn in der Konsultationsvereinbarung steht drin: Sie gilt für alle offenen Fälle. Also rückwirkend für alle offenen Steuerverfahren. Und sie wird tatsächlich angewendet. Ich habe jetzt einen Fall, da besteuern die Deutschen die Überstunden. Und das ist von 2021. Wessen Steuererklärungen noch nicht abschließend bearbeitet wurden oder wer sie noch nicht eingereicht hat, muss jetzt mit vielem rechnen. Wer für die vergangenen Jahre noch keine Steuererklärung abgegeben hat, kann zur Kasse gebeten werden.

Wie bekommen die deutschen Finanzämter die Daten? 

Auf der Luxemburger Jahressteuerkarte gibt es eine Extrazeile „Überstunden“. Und die Luxemburger Bescheinigungen werden dem deutschen Finanzamt automatisch gemeldet. Die sind schon in Deutschland, bevor ein Arbeitnehmer seine Steuererklärung abgegeben hat. Das heißt, der deutsche Finanzbeamte sieht direkt: Ach ja, da ist ja die Zeile mit den Überstunden.

Welche Chancen hätte ein Grenzgänger, der gegen die Besteuerung klagt?

Das wäre ein Präzedenzfall. Eigentlich müsste ein Finanzgericht entscheiden: Gilt das jetzt nach dem Steuerrecht als fiktiv besteuert oder nicht besteuert? Es wird so sein, dass wir als Steuerberater eine Steuererklärung abgeben ohne Überstunden – und ich dazu schreibe: „Ich weiche von der Rechtsmeinung des Finanzamts ab.“ Wie es dann ausgeht: Man weiß es nie. Auch Richter ändern einmal ihre Meinung. Aber der Punkt ist zumindest fragwürdig – und es sind auch schon andere Vorschriften gekippt worden. Ich bin gespannt.