LeitartikelDer Streit um die Rechtsstaatlichkeit ist ein Armutszeugnis

Leitartikel / Der Streit um die Rechtsstaatlichkeit ist ein Armutszeugnis
Beim Video-Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend wurde nicht ersichtlich, wie der Streit um den EU-Haushalt und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit beigelegt werden kann Foto: dpa/AP Pool/Olivier Matthys

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Derzeit ist nicht absehbar, wie die EU-Staaten die Blockadehaltung Polens und Ungarns bei der Freigabe des mehrjährigen Finanzplans, woran ebenfalls der 750 Milliarden Euro schwere Wiederaufbaufonds gekoppelt ist, lösen können. Zumal die Regierungen in Warschau und Budapest eigentlich ein anderes Gesetz im Visier haben, das die Zurückhaltung von EU-Geldern durch die Kommission vorsieht, wenn ein Mitgliedstaat sich nicht an die in der EU geltenden Grundprinzipien hält, wie sie in Artikel 2 des Lissabonner Vertrags festgeschrieben sind. Warum der ungarische Regierungschef Viktor Orban und der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, sich dagegen wehren, liegt auf der Hand: Ihre politischen Absichten laufen diesen Grundprinzipien, die in der laufenden Debatte auf den Begriff Rechtsstaatlichkeit reduziert werden, zuwider. Das zeigen die Verfahren wegen „der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Grundwerte der EU“, die derzeit gegen beide Länder laufen. Das zu Polen wurde von der EU-Kommission initiiert, das zu Ungarn vom Europäischen Parlament.

Eigentlich hätte es nicht zu dieser Eskalation kommen dürfen. Selbst dieses neue Gesetz, mit dem Mitgliedstaaten der Entzug von EU-Geldern angedroht wird, wenn sie sich nicht an die elementaren Regeln der Union halten, zeugt allerdings davon, dass die EU an gefährliche Grenzen gelangt ist. Immerhin hatten Polen und Ungarn als souveräne Staaten nicht nur mit ihrem EU-Beitritt diese Regeln anerkannt und akzeptiert. Sie haben nur einige Jahre später den Lissabonner Vertrag mit denselben Regeln mit ausgearbeitet und noch einmal bestätigt. Dass aber nun mit neuen Sanktionsdrohungen Grundprinzipien geschützt werden müssen, deren Einhaltung in der Union eine Selbstverständlichkeit sein müsste, die die EU-Staaten einen, miteinander verbinden und sie in vielerlei Hinsichten positiv auszeichnen, ist schon ein Armutszeugnis.

Was aus Ungarn derzeit über den Streit berichtet wird, wie Viktor Orban die Angelegenheit gegenüber seinen Landsleuten darstellt, hat derweil längst Trump’sches Niveau erreicht. So soll der ungarisch-stämmige US-Investor George Soros hinter dem Ganzen stecken. Dieser habe Politiker in der EU „korrumpiert“, damit sie Ungarn und Polen attackieren, zitierte gestern die Nachrichtenagentur dpa aus einem Rundfunk-Interview mit dem ungarischen Regierungschef. Ein andermal behauptet dieser, „Brüssel“ und die Linksliberalen aus dem Westen wollten dem Land Flüchtlinge aufzwingen, die nicht erwünscht seien. Und die Homoehe auch noch. In Polen wiederum wird offenbar von einer „Kolonialisierung“ des Landes und einem „Diktat“ aus Brüssel, wie Präsident Andrzej Duda es nannte, gesprochen. Man sieht, es ist, von einer Verschwörungstheorie bis hin zu absurden Behauptungen, alles dabei, was derzeit Populisten mit autokratischen Tendenzen an politischer Rhetorik anzubieten haben, um sich der Realität zu verweigern. Dass sich beim Videogipfel der 27 am Donnerstag der slowenische Regierungschef Janez Jansa – der jüngst international dadurch auffiel, dass er Donald Trump zu seiner Wiederwahl als US-Präsident gratulierte – Orban und Kaczynski angeschlossen hat, rundet dieses Bild ab.

Hier geht es nicht darum, zwei Länder zu disziplinieren oder sonst wie zu drangsalieren. Vielmehr soll sichergestellt werden, dass in Europa nicht wieder Regierungspraktiken und Strukturen entstehen, die politische Willkür in all ihren Facetten begünstigen.

GuyT
24. November 2020 - 18.50

Ungarn und Polen verletzte also die Werte, auf die sich die Union gründet: die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.

BG
23. November 2020 - 13.25

An der E.U. zu allererst ihre eigenen Ditektiven zu respektieren und strikt einzuhalten . Dann erst kann sie sich erlauben ihre Mitgliedstaaten zu kritisieren, oder ? Zu beginnen mit dem Respekt der einheitlich festgelegten E.U.- Aussengrenzen ! Ohne dies kein Weiterkommen.......

Jürgen Klute
22. November 2020 - 23.32

Möglicherweise gibt es doch einen Weg: https://www.piqd.de/subscriptions/piqs/noch-kann-die-eu-orban-und-kaczynski-stoppen

Klitz
22. November 2020 - 11.33

Hier wedelt definitiv der Schwanz mit dem Hund. Schon lange hat man den Eindruck dass einige osteuropäische Staaten auftreten als würden die Westeuropäer ihnen was schulden anstatt ein Minimum Dankbarkeit an den Tag zu legen. Orban, Kaczinsky und Konsorten erpressen und sabotieren die EU wo sie nur können als wären sie Putins (und Trumps) Schergen. Und die Kommission schaut tatenlos zu.

Tom
22. November 2020 - 10.57

Exakt?

HTK
21. November 2020 - 13.56

"Hier geht es nicht darum, zwei Länder zu disziplinieren oder sonst wie zu drangsalieren. Vielmehr soll sichergestellt werden, dass in Europa nicht wieder Regierungspraktiken und Strukturen entstehen, die politische Willkür in all ihren Facetten begünstigen." Mit welchen Maßnahmen sollte man denn dann gegen die schleichende Aufweichung der Demokratie und der Einhaltung des Vertrages vorgehen? Wer seine Abmachungen nicht einhält sollte im hohen Bogen rausfliegen.Dass die Länder die unter der Sowjetfuchtel standen Schwierigkeiten haben sich an Weststandards, was gelebte Demokratie angeht, zu gewöhnen war klar als wir von der Osterweiterung sprachen. Die Gelder die in Aussicht standen wurden gerne genommen.Jetzt soll geliefert werden und schon stellt man sich quer. Wie schon erwähnt: dann könnt ihr auch Erdogan aufnehmen.