Mittwoch22. Oktober 2025

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Dieschbourg-Rücktritt„Der letzte Strohhalm, an den sie sich noch klammert“ – Stimmen aus dem Parlament

Dieschbourg-Rücktritt / „Der letzte Strohhalm, an den sie sich noch klammert“ – Stimmen aus dem Parlament
 Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Luxemburgs Umweltministerin Carole Dieschbourg („déi gréng“) hat überraschend ihren Rücktritt erklärt. Ihre Begründung: Sie wolle nicht, dass die Chamber noch mehr Zeit durch die Traversini-Affäre verliert. Was sagen die Abgeordneten zu Dieschbourgs Rückzug? Wir haben mit ihnen – und einem Ministerkollegen – gesprochen.

Martine Hansen (CSV)
Martine Hansen (CSV) Foto: Editpress/Alain Rischard

Martine Hansen (CSV)

Dieschbourgs Amtsniederlegung kommt unerwartet, sagt die Co-Fraktionsvorsitzende der CSV, Martine Hansen, gegenüber dem Tageblatt. Die CSV habe Dieschbourg bereits 2019 dazu aufgefordert, Verantwortung zu übernehmen, um die Glaubwürdigkeit der Politik zu bewahren. „Jetzt trifft die Ministerin zwei Jahre später diese Entscheidung“, sagt Hansen. Von Dieschbourgs Rücktritt habe die CSV bis zur offiziellen Bekanntmachung vor der Presse nicht gewusst. 

Am Freitag sei ein Brief mit einem kompletten Dossier der Staatsanwaltschaft an die Chamber geschickt worden. Laut Verfassung kann die Staatsanwaltschaft selbst keine „Mise en accusation“ gegen Minister einreichen, das obliege dem Parlament, sagt Hansen. Allerdings haben die Abgeordneten dieses Dossier bis Freitagnachmittag selbst noch nicht zu Gesicht bekommen und könnten dieses aus dem Grund auch noch nicht beurteilen.

Dieschbourgs vorherige Bitte, ihre Immunität von der Chamber aufheben zu lassen, ergebe „an sich keinen Sinn“, da sie diese Immunität überhaupt nicht besitze – im Gegensatz zu den Abgeordneten. „Das war eine Forderung, die überhaupt nicht zu erfüllen war“, meint Hansen.

Den Wunsch zur Aufhebung der Immunität und der anschließende Rücktritt wirken laut Hansen „etwas überstürzt“: „Wir haben das Gefühl, dass die Ministerin ihr Amt abgelegt hat, um einer ‚Mise en accusation‘ durch die Chamber aus dem Weg zu gehen.“ Allerdings sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, ob es nicht dennoch dazu kommen wird, weil das Parlament möglicherweise immer noch dafür zuständig ist. Da der Vorfall sich während Dieschbourgs Amtszeit ereignete, könnte die Chamber immer noch dafür zuständig sein, glaubt Hansen.

Es sei wichtig, nun keine Formfehler bei dieser Prozedur zu begehen. Darum gebe es am Montag um 17.30 Uhr eine Sitzung, bei der Licht ins Dunkel gebracht werden soll. Je nach deren Ausgang würde dann kommende Woche eine Resolution zur „Mise en accusation“ in der Chamber eingereicht werden. Die jetzige Frage laute: „Wer gibt das ‚Go‘ an die Justiz?“

Josée Lorsché („déi gréng“)
Josée Lorsché („déi gréng“) Foto: Editpress/Julien Garroy

Josée Lorsché („déi gréng“)

„Ich hatte nicht damit gerechnet“, sagt Grünen-Fraktionschefin Josée Lorsché. „Ich wusste nicht genau, dass die Chamber entscheiden muss, damit Carole Dieschbourg an dem Gerichtsprozess beteiligt werden kann.“ Prozedural gehe es leider nicht anders. „Nur wenn das Parlament eine ‚Mise en accusation‘ entscheidet, fällt die Immunität während des Prozesses weg“, sagt Lorsché. Man müsse die Angelegenheit aber auch aus der Perspektive des Menschen sehen: „Sie ist ja nicht nur Ministerin, sondern auch ein Mensch mit Gefühlen und einer Grenze des Belastungspotenzials.“ Seit zwei Jahren sei sie immer wieder mit der Situation konfrontiert worden. „Es gab sehr viel Druck, vor allem in den sozialen Netzwerken“, sagt Lorsché. „Dort kursierten auch Unterstellungen, in denen Carole Dieschbourg immer wieder im Kreuzfeuer stand, ein großer menschlicher und psychischer Druck auf eine Person.“ Das habe in Dieschbourgs Entscheidung wohl auch eine Rolle gespielt.

„Das andere ist, dass gesagt wurde, dass sie wirklich am Prozess teilnehmen möchte, um Klarheit in der Sache zu schaffen.“ Dieschbourg wurde laut Lorsché von der Staatsanwaltschaft nicht an der „Enquête préliminaire“ beteiligt, „überhaupt nicht“ eingebunden. „Sie möchte sich ausdrücken“, sagt Lorsché. „Wir hätten da zugestimmt, damit sie vor Gericht kann.“

Über Dieschbourgs Nachfolge als Ressortchef im Umweltministerium sei noch nicht entschieden. „Wir werden das in unseren eigenen Reihen abwägen und diskutieren, was wir machen“, sagt Lorsché. Natürlich müsse dieser Ministerposten wieder besetzt werden. „Wir können Claude Turmes nicht einfach eine doppelte Mission zumuten.“ Turmes habe bereits jetzt sehr viel Arbeit mit Energiefragen. „Ich habe trotzdem sehr großen Respekt und Verständnis vor dieser Entscheidung und Carole Dieschbourg“, sagt Lorsché. „Es ist uns sehr wichtig, als Fraktion und Partei, dass wir immer wieder sagen, wir stehen auf ihrer Seite und unterstützen sie auf allen Ebenen.“

Sven Clement (Piraten)
Sven Clement (Piraten) Foto: Editpress/Alain Rischard

Sven Clement (Piraten)

Dieschbourg könne zu jedem Zeitpunkt als Zeuge gehört werden, meint Sven Clement von den Piraten. Es gehe nicht darum, eine persönliche Verfehlung zu attackieren. „Wenn ein Minister zu schnell oder alkoholisiert fährt, dann kann dieser auch ohne die Zustimmung der Chamber angeklagt werden“, sagt Clement. „Es geht gezielt darum, dass eine Ministerin im Rahmen ihrer Funktion sich potenziell haftbar gemacht hat.“ Und: Die Staatsanwaltschaft beantrage die Anklageerhebung nicht ohne Grund.

Dieschbourg würde jetzt mit Nebelkerzen werfen, im Sinne von „ich bin zurückgetreten, dann kann nicht mehr überprüft werden, ob ich in meiner Funktion Fehler gemacht habe“, sagt Clement. Das sei „vielleicht der letzte Strohhalm, an den sie sich noch klammert“. Das Problem sei allerdings, wenn das so funktionieren würde, dann heiße dies, dass der Schutz der Abgeordneten und Minister aufhöre, sobald sie nicht mehr im Amt sind. „Wenn ich heute in der Chamber etwas sage, was jemandem nicht gefällt, dann bin ich geschützt durch meine ‚immunité parlementaire’. Wenn ich morgen dann nicht mehr in der Chamber sitze, kann diese Person mich dann trotzdem noch ansuchen?“, fragt Clement. Die Antwort müsse ein klares Nein sein.

Clement ist über die Situation nicht froh. Das sei „schlecht für das Vertrauen in die Abgeordneten“. Rein parteitaktisch könne man natürlich sagen, dass dadurch ein potenzieller Gegner weniger gefährlich werde. „Aber Minister oder Abgeordnete, die wegen Fehlverhalten zurücktreten, stärken nicht das Vertrauen in unsere Entscheidungen“, sagt Clement. Diese Affäre dürfe sich jedenfalls nicht bis nach den Wahlen ziehen – „egal, wie es ausgeht“. Sollte Dieschbourg freigesprochen werden, dann müsse das auch vor den nächsten Wahlen bekannt sein.

Fernand Kartheiser (ADR)
Fernand Kartheiser (ADR) Foto: Hervé Montaigu

Fernand Kartheiser (ADR)

Der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser ist erleichtert. „Als ich das gehört habe, dachte ich mir: Das ist gut, dann können wir vielleicht endlich erfahren, was in dieser Affäre passiert ist“, sagt er. Der juristische Aspekt betreffe die Chamber jetzt nicht mehr. „Sie ist ja nicht mehr Minister.“ Das bedeute allerdings nicht, dass das Kapitel „Gaardenhaischen“ damit zu Ende sei.

„Wenn ‚déi gréng’ gerne ihre Glaubwürdigkeit zurückhaben wollen, dann müssen sie uns jetzt sagen, was in dieser Affäre passiert ist“, sagt Kartheiser. Politisch gesehen müssten sie nun eine integre Persönlichkeit als Minister vorstellen. Sei dies nicht der Fall, würde dies der ganzen politischen Landschaft schaden. „Und das wollen wir nicht.“ Das Umweltministerium und die Ministerin seien mit etlichen Skandalen geplagt gewesen.

Myriam Cecchetti („déi Lénk“)
Myriam Cecchetti („déi Lénk“) Foto: Editpress/Julien Garroy

Myriam Cecchetti („déi Lénk“)

„Wir sind nicht ganz unschuldig an der ganzen ‚Gaardenhaischen’-Affäre, als der Bürgermeister den Hut nehmen musste – und das hier ist jetzt der Rattenschwanz, der noch dranhängt“, sagt die Abgeordnete Myriam Cecchetti von „déi Lénk“. Die Staatsanwaltschaft müsse jetzt ihre Arbeit machen – die Unschuldsvermutung gelte auch bei einer Ministerin. „Wir sind nicht die Richter, wir sind eine Partei und wir wollen auch nicht, dass es ihr jetzt geht, wie es ihr geht“, meint Cecchetti. Sollte die Staatsanwaltschaft allerdings sagen, sie sei unschuldig, dann würde Dieschbourg gut da stehen. „Tant mieux.“

Die Abgeordnete ist der Meinung, dass dies der richtige Schritt gewesen sei. Trotzdem: „déi gréng“ würden sich nun geschwächt aus dieser Affäre ziehen.

François Bausch („déi gréng“)
François Bausch („déi gréng“) Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

François Bausch („déi gréng“)

„Für mich war es heute nicht einfach, mich auf die Vorstellung des PNM2035 zu konzentrieren, obwohl das ja mein Lieblingsthema ist“, sagt Dieschbourgs Parteikollege François Bausch gegenüber dem Tageblatt. „Es tut mir besonders weh, weil ich es schrecklich ungerecht finde.“ Er könne die Entscheidung von Carole Dieschbourg aber verstehen. „Wir haben natürlich miteinander gesprochen, aber sie hat gesagt: Ich will nicht Opfer einer Prozedur aus dem 19. Jahrhundert werden. Das heißt, nicht von einer unabhängigen Justiz gehört werden, sondern vom Parlament“, gibt Bausch wieder.

„‚Wou si mir dann zu Lëtzebuerg‘? Ein Dossier, das unter dem Justizgeheimnis ausgearbeitet wurde, würde an eine politische Instanz übergeben werden. Da verstehe ich Carole Dieschbourg, dass sie das nicht will“, meint Bausch und weiter: „Es ist nicht an der Politik, Richter zu spielen. Diese Prozedur gehört nicht ins 21. Jahrhundert. Deswegen habe ich Verständnis für sie und ihre Entscheidung.“

Gilles Baum (DP)
Gilles Baum (DP) Foto/Fabrizio Pizzolante

Gilles Baum (DP)

„Die Justiz hat ihre Arbeit und ihre Untersuchungen gemacht und ist zu einem Schluss gekommen. Sie muss auch weiter ihre Arbeit machen und um das bestmöglich zu begleiten, war der Schritt der Frau Ministerin meines Erachtens nötig und der richtige“, sagt DP-Fraktionsführer Gilles Baum. Jedoch scheine auch der Druck auf Dieschbourgs Mitarbeiter und ihre Familie in den vergangenen zwei Jahren durch die Affäre sehr groß gewesen zu sein. „Und dass sie vorgezogen hat, die Reißleine zu ziehen, das muss man ihr anrechnen“, sagt Baum.

Die Affäre sei nicht abgeschlossen, weil sich die Justiz seit zwei Jahren damit beschäftige. „Ich bin da auf der Linie mit Premier Bettel“, sagt Baum: „Die Justiz muss ihre Arbeit machen und wir müssen schauen, was die Schlussfolgerungen aus dieser Arbeit sind.“

Eine Regierungskrise sieht Baum wegen Dieschbourgs Rücktritt nicht. „Ich gehe gar nicht davon aus, dass dieser Rücktritt zu einer Regierungskrise führen wird“, sagt er. Was jetzt anstehe, sei, dass der Umweltminister ausgewechselt werde. „Das ist natürlich nie gut, für keine Partei.“ Baum geht aber nicht davon aus, dass das größere Auswirkungen auf die Regierung habe. „Wir befinden uns im Moment vor ganz anderen Herausforderungen, in einer Krise, die Kräfte müssen gebündelt werden“, sagt er.

Yves Cruchten (LSAP)
Yves Cruchten (LSAP) Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Yves Cruchten (LSAP)

„Diese Wahl ist zu respektieren, obwohl es ihr wahrscheinlich nicht leichtgefallen ist“, sagt LSAP-Fraktionspräsident Yves Cruchten gegenüber dem Tageblatt. Durch den Rücktritt würde sie der Justiz den Weg freimachen. Es sei schwierig, sich als Außenstehender in ihre Position zu versetzen, aber man habe gesehen, dass ihr das nicht leichtgefallen sei.

Die LSAP sei nicht direkt von dieser Situation betroffen – es sei jetzt an „déi gréng“, einen Nachfolger zu suchen. „In der Koalition wird respektvoll miteinander gearbeitet, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, dann wird verhandelt und das klappt momentan“, sagt Cruchten. Könnte Dieschbourgs Rücktritt nicht trotzdem ein Vorteil für die LSAP sein? „Diese Überlegungen sind zwar normal, aber ich mache mir keine Gedanken darüber. Die Wahlen sind in einem Jahr, da ist noch so viel Zeit – wir haben jedes Interesse daran, uns um uns selbst zu kümmern, da haben wir genug zu tun“, meint Cruchten.


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