
David Angel (OGBL) und Francis Lomel (LCGB) liegen sich in den Armen. Isabelle Schömann vom Europäischen Gewerkschaftsbund hat soeben ihre Rede beendet, der Musiker Dany le Loup verabschiedet die Demonstranten, die sich über die Seitengassen des Knuedler in die Altstadt Luxemburgs verteilen. Patrick Dury (LCGB) verschwindet schweißgebadet in einem Zelt hinter der Bühne, während Nora Back (OGBL) strahlend zwischen Journalisten und grüßenden Passanten hin und her läuft. Erleichterung und Freude machen sich unter den Gewerkschaftern breit. Von der Anspannung der vergangenen Tage, Wochen und Monate ist in diesem Augenblick nichts mehr zu sehen oder zu spüren. Die nationale Demonstration der Gewerkschaftsunion zwischen OGBL und LCGB verbuchen die Salariatsvertreter als vollen Erfolg. Die Mobilisierung seit der Ankündigung am 28. Januar hat sich gelohnt.
Wir akzeptieren heute nicht, dass der Premierminister Luc Frieden demonstrativ versucht zu zeigen, wie egal ihm diese Demo ist
„25.000 Menschen sind heute auf der Straße, 25.000 Menschen, die entschieden haben, nicht in den Wald spazieren zu gehen“, ruft Nora dem am Knuedler versammelten Demonstrationszug zu. „Wir akzeptieren heute nicht, dass der Premierminister Luc Frieden demonstrativ versucht zu zeigen, wie egal ihm diese Demo ist.“ Patrick Dury wird später noch deutlicher. „Unser Land hatte enormes Glück, dass es in schwierigen Zeiten von richtigen Staatsmännern wie Thorn, Santer, Juncker und Bettel regiert wurde. Es hatte Glück, dass in diesen Momenten richtige CEOs und Persönlichkeiten wie Faber, Kinsch und Wurth in der Wirtschaft das Sagen hatten, und keine Süßwassermatrosen.“
Tausende füllen die Straßen
Die Gewerkschaften zählen an diesem 28. Juni 25.000 Demonstranten, die Polizei spricht von 12.000 bis 14.000. Es ist letztendlich eine Detailfrage, die im Kampf um die Deutungshoheit in den kommenden Tagen und Wochen wohl eine Rolle spielen wird. Entscheidend ist aber, dass die Straßen der Luxemburger Hauptstadt in ein rot-grünes Meer getaucht wurden, Trillerpfeifen, Trommeln, Vuvuzelas, Sprechchöre und Protestgesänge hallen am Samstagmorgen über die Avenue de la Liberté. Der Fingerzeig Richtung CSV-DP-Regierung ist an diesem Samstagvormittag unter gleißendem Sonnenschein mehr als deutlich gewesen.

Wie bereits angekündigt, haben sich mit Ausnahme der ADR alle Oppositionsparteien dem Protestzug angeschlossen. Auch die KPL und Fokus sind auf der Demo vertreten. Ein politisches Schwergewicht verfolgt die Demonstration vom Straßenrand aus, sein Fahrrad an eine Laterne gestützt: Jean Asselborn. Luxemburgs ehemaliger Außenminister meint, dass die Demo eine gute Message sei, die man auch im Wald vernehmen könne. „Ich bin hier, weil ich solidarisch bin“, sagt Asselborn. „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und vergesse meine Wurzeln nicht.“ Nicht die einzige LSAP-Grande, die sich unter die Demonstranten mischt: der ehemalige Arbeitsminister und EU-Kommissar Nicolas Schmit. „Ich bin aus Überzeugung hier“, sagt Schmit. Sogar bei den Mindestlöhnen sei Luxemburg dabei, vieles zu verwässern. „Deswegen ist das hier ein wichtiges Zeichen für Luxemburg und Europa, dass die Menschen nicht alles mit sich machen lassen.“
Die Regierung muss sich jetzt endlich bewegen. Wir müssen das Sozialmodell, das Luxemburg zu einer Success-Story gemacht hat, wieder hochhalten.
Eine offene Frage

Ob der Protestschrei der gewerkschaftlichen Kundgebung es tatsächlich bis zum Waldspaziergang von Luc Frieden geschafft hat, ist nicht überliefert. Der Premierminister will sich am Samstagabend im Journal bei RTL erstmals äußern. Währenddessen wollen OGBL und LCGB über ihr weiteres Vorgehen mit Blick auf die angekündigte Dreierrunde am 9. Juli beraten. „Die Regierung muss sich jetzt endlich bewegen“, stellt Nora Back nach ihrer Rede klar. „Wir müssen das Sozialmodell, das Luxemburg zu einer Success-Story gemacht hat, wieder hochhalten.“ Die Gewerkschaften würden nicht verlangen, dass die Regierung all ihre bisherigen Vorschläge und Gesetzesprojekte zurückziehe. Stattdessen wolle man, dass die Regierung endlich in einen Dialog mit den Gewerkschaften tritt. Auf Augenhöhe und in der Absicht, in Verhandlungen nach Lösungen zu suchen. Das aber vermisse man derzeit. „In welcher Form wir am 9. Juli teilnehmen, klären wir jetzt. Sie wissen, dass wir stets bereit sind, einen seriösen Sozialdialog wieder aufzunehmen.“ Dazu gehöre, sich auf Augenhöhe zu begegnen und keine Tagesordnung vorzugeben, bei der das Resultat bereits feststeht.
„Der heutige Tag ist ein Warnschuss“, stützt Patrick Dury die These von Nora Back. „Wir sind in den vergangenen Tagen mit mehreren Salven von Patronatsseite konfrontiert worden, die auf der untersten intellektuellen Stufe anzusiedeln sind.“ Nach Details gefragt meint Dury trocken: „Ech kommentéieren net all Topegkeet, déi iergendeen hei am Land vum Stapel léisst.“ Erstaunlich sei mittlerweile, dass man nicht genau wisse, wo die Luxemburger Handelskammer aufhöre und das Staatsministerium anfange. „Noch nie hat in Luxemburg eine Seite den Weg vordiktiert: weder Gewerkschaften noch die Regierung, noch das Patronat.“ Erste zaghafte Öffnungsversuche in der Rentendebatte seitens der Regierung durch Außenminister Xavier Bettel will Dury nicht in der Presse kommentieren. „Wir haben als Gewerkschaften ein Dokument mit sechs bis acht möglichen Denkanstößen hinsichtlich einer Rentenreform vorgelegt. Darüber wurde mit uns noch nicht verhandelt.“ Zwei Organisationen, die weit über 125.000 Menschen in Luxemburg repräsentieren, würden ihren Standpunkt selbstbewusst vertreten – egal ob auf der Straße oder am Verhandlungstisch.
Arm in Arm laufen OGBL und LCGB am 28. Juni über die Adolphe-Brücke. Ein symbolischer Akt mit Wirkungskraft nach außen: Versuche seitens der Regierung, OGBL und LCGB zu entzweien, sind spätestens mit diesem 28. Juni gescheitert. „OGBL und LCGB sind bereit, werden nicht davor zurückscheuen, noch weitere Aktionen in die Wege zu leiten, um die Rechte der Arbeitnehmer und Rentner zu verteidigen“, ruft Nora Back den Demonstranten am Knuedler zu. Die Gewerkschaften sind bereit, alles in die Waagschale zu werfen, ein Generalstreik scheint bei gleichbleibendem Wind aus neoliberaler Richtung nicht mehr ausgeschlossen. „Die Frage, die sich heute stellt, ist die, ob unsere Regierung ein Teil der Lösung oder ein Teil des Problems ist. Diese Frage bleibt uns der Premierminister schuldig.“

De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können