Kampf gegen ArmutCaritas kritisiert „neoliberales Denken“ im Koalitionsvertrag

Kampf gegen Armut / Caritas kritisiert „neoliberales Denken“ im Koalitionsvertrag
„Wir begrüßen, dass der Kampf gegen Armut eine absolute Priorität sein soll“: Carole Reckinger von der Caritas Foto: Editpress/Tania Feller

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Während der Koalitionsverhandlungen auf Schloss Senningen war die Caritas eingeladen, um Formateur Frieden und den Delegationen von CSV und DP Vorschläge im Kampf gegen die Armut zu unterbreiten. Im fertigen Programm findet sie einige ihrer Ideen wieder.

„Wir hatten schon im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen gesagt, dass es wichtig ist, aus dem Silodenken auszubrechen“, sagt Carole Reckinger von der Caritas. Armut sei transversal und multidimensional und müsse demnach auch so von der Politik behandelt werden. Die neue Regierung aus CSV und DP hat in ihrem Programm nun festgehalten, eine transversale Strategie und einen nationalen Aktionsplan im Kampf gegen die Armut auszuarbeiten. Das sei für die Caritas im Prinzip eine gute Sache. „Natürlich ein bisschen vage, es kommt darauf an, was in dem Plan drin stehen wird“, sagt Reckinger.

In den Kapiteln, die die Caritas interessierten, gebe es jedoch auch ein paar konkrete Maßnahmen, so Reckinger. Ein Beispiel sei da die regelmäßige Anpassung des Revis an die durchschnittliche Lohnentwicklung. Gleichzeitig kritisiert Reckinger andere Passagen aus dem Koalitionsvertrag, wenn es um den Revis geht, z.B. die Forderung, dass der Mindestlohn immer über dem Revis liegen sollte, um Menschen zur Arbeit zu motivieren. „Da lese ich schon ein bisschen ein neoliberales Denken heraus, die Vorstellung: Das sind alles Leute, die nicht arbeiten wollen.“ Das sei aber eine vereinfachte Sichtweise. Menschen seien aus unterschiedlichen Gründen nicht fähig, zu arbeiten, z.B. auch krankheitsbedingt. „Auch wenn sie eine Prämie einführen wollen, um die Leute zu motivieren, wieder arbeiten zu gehen, das wird nicht viel ändern“, so Reckinger. Möglicherweise möge das bei einem kleinen Prozentsatz funktionieren, aber nicht für den Großteil. „Da sind vielleicht auch alleinerziehende Frauen oder Männer dabei, die keinen Krippenplatz finden für ihre Kinder. Da hilft auch keine Prämie, dahinter liegen strukturelle Probleme.“

GLS-Organisationen besser unterstützen

Die Caritas zählt zu den Organisationen der Zivilgesellschaft, die Formateur Frieden und die beiden Delegationen von CSV und DP in ihrer „Phase des Zuhörens“ zu den Koalitionsverhandlungen auf Schloss Senningen geladen hatten. Was ist daraus geworden? „Es ist schon ein Teil unserer Vorschläge übernommen worden“, sagt Reckinger, „aber eben nur ein Teil“. Ein Beispiel sei die soziale Mietverwaltung („Gestion locative sociale“, GLS) im Bereich des Wohnungsbaus. Im Vertrag steht an dieser Stelle übersetzt: „Die Steuerbefreiung für Nettoeinkünfte aus der Vermietung von Wohnraum über eine Organisation, die in der sozialen Mietverwaltung (GLS) tätig ist, wird auf 90% erhöht.“

Das sei prinzipiell etwas Positives, sagt Reckinger. Das Problem aber liege darin, dass man die Organisationen, die in der GLS tätig seien, besser unterstützen müsse. „Die können gar nicht noch mehr Wohnungen aufnehmen“, so Reckinger. Das Geld, das diese Organisationen bekämen, um die Wohnungen instand zu halten, reiche bei weitem nicht aus, um das Risiko zu decken, das sie damit trügen. „Wenn die GLS-Organisationen den Wohnungseigentümern nicht versichern können, dass sie ihre Wohnungen genau so zurückbekommen, wie sie sie zur Verfügung gestellt haben, dann können diese Organisationen gar nicht mehr Wohnungen aufnehmen.“ GLS sei eines von vielen sinnvollen Puzzlestücken, ein Beispiel, wo ein Schritt in die richtige Richtung getan wurde. „Aber damit es ein wirklicher Erfolg wird, fehlt noch ein zweites Puzzlestück.“

Für die Caritas sei es wichtig, dass jeder in Luxemburg würdig leben könne, dass die Grundrechte aller Menschen respektiert und die Ärmsten und Verletzlichsten der Gesellschaft nicht vergessen würden. „Da begrüßen wir natürlich, dass im Vertrag steht, dass der Kampf gegen Armut eine absolute Priorität sein soll“, so Reckinger. „Aber wenn es eine absolute Priorität sein soll, warum steht es dann auf Seite 84?“ Die Caritas-Mitarbeiterin stellt außerdem ein großes Versäumnis fest: „Es wird nicht über Kinderarmut gesprochen, dabei ist das ein riesiges Problem in unserem Land. Jedes vierte Kind hat das Risiko, in Armut aufzuwachsen.“