Solidarität„Bureau d’information besoins spécifiques et seniors“ hilft gefährdeten Eschern durch die Krise

Solidarität / „Bureau d’information besoins spécifiques et seniors“ hilft gefährdeten Eschern durch die Krise
Schöffe Andé Zwally und Leiterin Romaine Wagner vor dem Escher „Bibss“ Foto: Melody Hansen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Seit dem 16. März klingelt das Telefon im Escher „Bureau d’infomations pour besoins spécifiques et seniors“ (Bibss) Sturm. Das Team, das zum Seniorendienst der Stadt gehört, wurde nach der Bekanntgabe des Lockdowns vor allem mit Anfragen für „Essen auf Rädern“ überhäuft. In kürzester Zeit mussten sich die Mitarbeiter an die Situation anpassen und schnelle Lösungen finden.

„Wir konnten keine Kunden mehr für unseren ‚Essen auf Rädern’-Dienst annehmen”, sagt Romaine Werner, die Leiterin des Büros. Nachdem die Wartelisten für Altenheime Ende 2019 immer länger wurden, waren auch die Anfragen für den Lieferdienst angestiegen. Mit 99 ausgelieferten Menüs pro Tag waren die Möglichkeiten bereits ausgeschöpft. Die Menschen im Regen stehen lassen war für das Bibss allerdings keine Option.

 Grafik: Lionel Francois

Das Büro kontaktierte das Unternehmen für Gemeinschaftsverpflegung, Sodexo, sowie Servior, um ein gemeinsames Konzept zu entwickeln. Entstanden ist das Notfallpaket „repas“ über das seit dem 26. März 360 Menüs ausgeliefert wurden. Daneben hat das Bibss eine Liste mit Restaurants erstellt, die Essen ausliefern.

Das zweite Notfallpaket, das innerhalb kurzer Zeit von Romaine Werner und ihrem Team ins Leben gerufen wurde, ist das Paket „achats“: ein Einkaufs- und Apothekendienst für all jene Escher, die der Risikogruppe angehören und keine Familienmitglieder oder Nachbarn haben, die ihre Einkäufe erledigen.

Internetseite innerhalb von 36 Stunden

Um beide Notfallpakete sowie alle weiteren nützlichen Informationen für Escher aus der Risikogruppe übersichtlich zu bündeln, musste eine Internetseite her. „Der Informatikdienst der Gemeinde hat wirklich Außerordentliches geleistet“, sagt Werner. Innerhalb von nur 36 Stunden war hellef.esch.lu online. Zusätzlich haben die Informatiker eine Datenbank eingerichtet, die dem Bibss dabei hilft, den Überblick bei den Bestellungen zu behalten.

Es würden sich nur sehr wenige Escher Senioren, die ihre Wurzeln in südlichen Ländern haben, melden. Meistens übernehme bei ihnen die Familie die Versorgung. Der Altersdurchschnitt derer, die das Notfallpaket „achat“ nutzen, liegt bei 74 Jahren. Der jüngste Nutzer ist 38 Jahre alt und gehört zur Risikogruppe, der älteste ist 95 Jahre alt. Über 80 Mal wurde der Einkaufsdienst seit dem 26. März bereits genutzt. Ungefähr zweimal am Tag gehe ein Freiwilliger zur Apotheke.

Die beiden Studenten Johannes Heuschkel und Mara Kroth, die gemeinsam die Plattform „GoldenMe“ gegen Vereinsamung im Alter gegründet haben, greifen dem Bibss seit Beginn der Krise tatkräftig unter die Arme. Mit ihrer Aktion #ZesummenStattAlleng konnten sie alleine in Esch 40 Freiwillige rekrutieren. Das Bibss hat die Freiwilligen mit den Senioren zusammengebracht.

Neue Synergien

Die Zusammenarbeit mit „GoldenMe“ bestand bereits vor der Krise. Die aktuelle Situation habe aber auch Menschen zusammenführt, die sonst nie miteinander gearbeitet hätten. „Freiwillige, die in Gemeindediensten arbeiten, die derzeit reduziert sind, helfen uns jetzt“, sagt Werner. Elektriker aus dem Escher Theater gehen einkaufen, Busfahrer liefern Essen aus und Verkehrsbeamte verteilen Flyer. „Es entsteht ein interessanter Austausch. Die Solidarität innerhalb der Gemeindedienste ist enorm“, schwärmt Romaine Werner.

Auf der einen Seite melden sich viele ältere Menschen, um Hilfe zu beantragen. Auf der anderen Seite beobachtet die Bibss-Leiterin, dass eine Reihe Senioren trotzdem noch vor die Tür gehen. Es seien vor allem 70 bis 80-Jährige, die sich nicht an die Vorschriften halten. Das sind Werner zufolge zu einem großen Teil fitte, aktive Menschen, die bei den Escher Seniorenfeiern oder dem Programm Fit60+ am meisten vertreten sind.

„Sie haben das Bedürfnis, unter Menschen zu gehen, wollen ihre Selbstständigkeit behalten und niemandem zur Last fallen“, sagt sie. Viele Senioren empfinden die Ausgangssperre als eine Bestrafung. Das sei nur allzu verständlich, aber eben auch gefährlich. Die Herausforderung des Bibss liegt darin, sie darauf hinzuweisen, zu Hause zu bleiben, ohne sie jedoch zu sehr zu drängen. „Das kann sonst nach hinten losgehen“, warnt Werner.

Es ist zwar gut, auf das Digitale zu bauen, aber es ist auch eine Gelegenheit, um unsere sozialen Kontakte zu normalisieren. Ich wünsche mir, dass es wieder zur Normalität wird, mit den Nachbarn zu reden und sich gegenseitig zu helfen.

Romaine Werner, Leiterin des Escher Bibss

Was das Bibss ebenfalls beobachtet: Paare, von denen ein Partner im Krankenhaus liegt, dürfen sich nicht sehen. „Ich telefoniere mit Menschen, die ihren Partner seit drei Wochen nicht gesehen haben.“ Das sei eine sehr belastende Situation für beide. Es gebe zwar die Möglichkeit des Videochats, aber ältere Menschen wüssten meist nicht, wie das funktioniert.

Zurück zur Nachbarschaft

Jetzt, nachdem die ersten Notlösungen gefunden wurden und der Gemeindedienst seinen Arbeitsrhythmus an die aktuelle Situation angepasst hat, gilt es, Lösungen für diese Art von Problemen zu finden. Romaine Werner sieht in der Krise auch eine Chance. Zwar sei es gut, auf das Digitale zu bauen, es sei aber auch eine gute Gelegenheit, die sozialen Kontakte wieder zu normalisieren. „Dazu gehört, mit dem Nachbarn zu reden, sich vorzustellen und dann auch gegenseitig zu helfen“, sagt sie. Werner wünscht sich, dass das wieder zur Normalität wird.

Mit hellef.esch.lu bietet das Bibss eine Plattform, die Menschen vernetzen soll. „Dabei sind sie frei, zu entscheiden, was davon sie nutzen wollen“, betont Werner. Insgesamt zählt die Escher Bevölkerung 5.115 Menschen im Alter über 65. „Wenn man bedenkt, dass der Escher CIGL immer noch für seine Kunden einkauft und auch die häuslichen Pflegedienste ihre Kunden weiter versorgen, werden bereits viele Senioren gut betreut“, sagt Romaine Werner. Trotzdem ruft sie dazu auf, dass jeder, der Hilfe braucht, sich nicht schämen soll, sich zu melden. „Dofir si mir do!“