Die Attentate

Zum ersten Mal schlagen die Täter im Januar1984 in einem Gipsstollen in Helmsingen zu, wo sie Sprengstoff und Zündvorrichtungen stehlen. Nur zwei Wochen später folgt die erste Testsprengung: Im „Gréngewald“ wird eine Forstschranke zerstört. Es folgen ein weiterer Diebstahl in Wasserbillig und ein Test in Steinsel, bevor die „Bommeleeër“ am 30. Mai 1984 ein erstes Mal richtig zuschlagen. Doch der Anschlag auf den Hochspannungsmast in Beidweiler schlägt fehl. Die Täter sind erst beim zweiten Anlauf drei Tage später an gleicher Stelle erfolgreich. Zwei Jahre lang halten die Bombenleger die Behörden zum Narren, bis am 25. März 1986 vor dem Haus des pensionierten Gendarmerie-Chefs Wagner die letzte Bombe explodiert. Dazwischen kommt es zu 20 weiteren Anschlägen, etlichen Sprengstoffdiebstählen und einem Erpressungsversuch. Die Ermittlungen verlaufen schleppend. Die Fahnder arbeiten schlampig, Beweisstücke kommen abhanden, Spuren werden vernachlässigt. Erste Erfolge werden erst ab dem Jahrtausendwechsel ersichtlich. Eine neue Ermittlungsgruppe kommt zum Schluss, dass nur die ehemaligen Mitglieder der „Brigade Mobile de la Gendarmerie“ (BMG) als Täter infrage kommen. Bei den Verhören fällt der Verdacht schnell auf Marc Scheer und Jos Wilmes, die am 23. November 2007 verhaftet werden. Bis zum Auftakt des Prozesses sollten allerdings noch mehr als fünf Jahre vergehen.
Der Prozess
Eigentlich soll der Prozess im sogenannten Fall „Bommeleeër“ nur drei Monate dauern. Auf der Anklagebank sitzen mit Marc Scheer und Jos Wilmes zwei ehemalige Elite-Gendarmen der BMG, die sich während der Ermittlungen 2007 besonders verdächtig verhalten hatten. Nach Auftakt der Verhandlung am 25. Februar 2013 wird allerdings rasch klar, dass die juristische Aufarbeitung der ominösen Attentatsserie weitaus länger dauern wird. Gleichzeitig werden die beiden Angeklagten von Anfang an nur eine Nebenrolle im Prozess einnehmen. Beobachtern scheint es vielmehr, als wolle die Staatsanwaltschaft die Verhandlung nutzen, um weitere Komplizen und Hintermänner aus der Reserve zu locken. Und die Rechnung geht auf: 175 Verhandlungstage später lässt der beigeordnete Staatsanwalt Georges Oswald eine sprichwörtliche Bombe platzen: Im Juni 2014 wird der Prozess auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Rund hundert Zeugen haben bis dahin vor Gericht ausgesagt, dutzende Pisten, Spuren und Wendungen wurden aufgearbeitet. Mit dem Resultat, dass etliche Personen aufgrund ihrer Aussagen fortan nicht mehr als Zeugen betrachtet werden können, sondern als Verdächtige. In der Folge werden die Ermittlungen neu aufgerollt und im Juli 2019 abgeschlossen. Die entsprechende Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wird Anfang März 2022 dem leitenden Untersuchungsrichter zugestellt. Im Rahmen der sogenannten „Procédure de règlement“ wird diese nun mit den abschließenden Schlussfolgerungen versehen, bevor die Ratskammer des Bezirksgerichts darüber entscheidet, ob genügend Anhaltspunkte für eine Wiederaufnahme des Prozesses vorliegen oder nicht.
Pierre Reuland

Foto: H. Montaigu
Öffentlich lässt Pierre Reuland – Jahrgang 1957 – ein erstes Mal im November 2007 kurz nach der Verhaftung der beiden Polizisten Marc Scheer und Jos Wilmes im Fall „Bommeleeër“ aufhorchen. In einem internen Schreiben stellt sich der Polizeidirektor hinter die Beamten, was vor allem der Staatsanwaltschaft sauer aufstößt. Indirekt stellt er damit nämlich die Justiz infrage. Nur zwei Monate später sieht sich Polizeiminister Pierre Frieden gezwungen, den Polizeichef von seinen Aufgaben zu entbinden. Auslöser ist aber nicht die Mitteilung, sondern dessen Verhalten während der Ermittlungen. Vieles davon hält Staatsanwalt Robert Biever im Januar 2008 in einem Brief an Minister Frieden fest. Wie etwa den Druck, den Reuland jahrelang auf die Ermittler ausgeübt haben soll. Auch habe er Einfluss auf das Gesetz gegen Justizbehinderung nehmen wollen. Vor Gericht besticht der ehemalige Polizeidirektor und BMG-Chef vor allem mit Amnesie. Mehrmals wird er von der vorsitzenden Richterin wegen seiner herablassenden Art zurechtgewiesen. Bei einer Anhörung verliest er eine Stellungnahme und verweigert anschließend die Aussage. An eine Beschattung des Verdächtigen Ben Geiben im Oktober 1985 kann er sich nicht erinnern. Er sei auch nicht daran beteiligt gewesen – obschon Zeugen das Gegenteil behaupten. Stattdessen fühlt sich Reuland ungerecht behandelt und falsch verstanden. Was die Justiz aber nicht daran hindert, den pensionierten Polizei-Offizier des versuchten Totschlags, Körperverletzung und Brandstiftung sowie Falschaussage und Justizbehinderung zu bezichtigen. Ihm wird vorgeworfen, als Täter, Mittäter oder Komplize in die Attentatsserie verwickelt gewesen zu sein.
Aloyse Harpes

Colonel Aloyse Harpes war auf dem Höhepunkt der „Bommeleeër“-Affäre Chef der Gendarmerie. Ihm wurde zu jener Zeit ein autoritärer Stil unterstellt. Auch habe er die Gendarmerie wie eine Militärstruktur zu leiten versucht. Wie andere Gendarmerie-Offiziere weicht auch Harpes während der Verhandlung immer wieder auf Fragen zur der Affäre aus. Er gibt an, vieles nicht gewusst zu haben. Auf das Gericht macht er aber eher den Eindruck, er habe vieles nicht wissen wollen. Eklatant ist vor allem das Desinteresse, das der hohe Offizier in dieser Hinsicht vorzuspielen versucht. So scheint es nicht nur Gerichtsbeobachtern, als habe der oberste Polizeichef kein Interesse an den Geschehnissen dieser Zeit gehabt. Den Ermittlern zufolge soll sich Harpes auch nur wenig um die Bombenanschläge gekümmert haben. Gleichzeitig seien unter seiner Leitung nicht alle Ermittlungsunterlagen an den Untersuchungsrichter weitergeleitet worden. Vielmehr habe der Gendarmerie-Chef zu jener Zeit versucht, Mauern zwischen den unterschiedlichen Abteilungen der ermittelnden „Sûreté“ aufzubauen. Sollte es zu einer Weiterführung des Prozesses kommen, wird sich auch Harpes wegen des versuchten Totschlags, Körperverletzung und Brandstiftung sowie Falschaussage und Justizbehinderung verantworten müssen.
Armand Schockweiler

Täter, Mittäter, Komplize oder unwissendes Opfer? Als Chef der ermittelnden „Sûreté“ soll Armand Schockweiler die Ermittlungen mehr behindert als gefördert haben. Während der Verhandlung wird der Chef der Ermittler immer wieder zu den Pannen und Unzulänglichkeiten befragt, die während der Untersuchungen zu den Bombenanschlägen nicht abreißen wollten. Schlüssige Antworten bleibt Schockweiler den einzelnen Parteien allerdings schuldig. Man habe wohl aneinander vorbeigearbeitet, meint der ehemalige Offizier auf die Frage der Verteidigung, warum so viel schiefgelaufen sei, dass man von organisierter Inkompetenz ausgehen musste. Die Frage der vorsitzenden Richterin, warum man ohne das Wissen des Untersuchungsrichters das FBI eingeschaltet habe, beantwortet Schockweiler indessen mit einem lapidaren: „Die Justiz musste ja nicht alles wissen“. In der Folge verstrickt sich der Ex-Offizier vor allem im Zusammenhang mit der damaligen „besten Spur“ Ben Geiben in Widersprüche. Eine fragwürdige Rolle spielt Schockweiler auch im Zusammenhang mit einem Rechtshilfeersuchen in Brüssel im Oktober 1985. Schlüssige Erklärungen zum schlampigen Umgang mit Beweisstücken hat der „Sûreté“-Chef auch keine. Einem Zeugen zufolge soll Schockweiler 1996 sogar Beweise aus dem Archiv entfernt haben. Eine Darstellung, die der Offizier im Prozess bei einer Gegenüberstellung mit dem Zeugen vehement zurückweist. Dennoch muss sich Schockweiler wegen der gleichen Vorwürfe wie seine Offizierskollegen verantworten.
Guy Stebens

Polizeigeneralsekretär Guy Stebens wird im Januar 2008 zusammen mit Polizeidirektor Pierre Reuland von seinen Funktionen entbunden. Auch ihm wird Justizbehinderung und Einflussnahme vorgeworfen. Ein Vorwurf, der sich während des Prozesses noch erhärtet. Vor Gericht erscheint ein gebrochener Mann mit selektivem Gedächtnis, der von Anklage und Verteidigung regelrecht vorgeführt wird. „Et kéint ee jo mengen, dat wier déi gréissten Usammlung vun Inkompetenten, déi et jemols hei am Land gouf“, meint in einem gewissen Moment sogar die vorsitzende Richterin Sylvie Conter. In den Achtzigern ist Stebens Chef der Ermittlungs- und Observierungsgruppe GOR. Vor Gericht scheint es allerdings, als sei dieses Pflichtbewusstsein dem „Offizéier Komma“ genannten Ordnungshüter während der Attentatsserie abhandengekommen. So will er als Chef der Observierungsgruppe nichts von einer gescheiterten Observation auf Ben Geiben mitbekommen haben. Auch fehlen die schriftlichen Aufzeichnungen aus dem Jahr 1985, obschon Stebens davor und danach über seinen Berufsalltag genauestens Buch geführt hat. „Es ist sehr schwer, als Erster einen Namen zu nennen“, meint Stebens vor Gericht. Was genau er damit meint, bleibt er Staatsanwaltschaft und Gericht schuldig. Auch Stebens wird sich bei Wiederaufnahme des Prozesses wegen versuchten Totschlags, Körperverletzung und Brandstiftung sowie Falschaussage und Justizbehinderung verantworten müssen.
Charles Bourg

Wie seine Offizierskollegen manövriert sich auch Charles Bourg, der ehemalige Operationschef der Gendarmerie und erste Direktor der fusionierten Polizei, im Verlauf des Prozesses mit Gedächtnislücken und verdächtigem Benehmen in eine Sackgasse. Hellhörig werden Gericht, Staatsanwaltschaft und Prozessbeobachter vor allem aber bei seinen Aussagen über Jos Steil. Die inzwischen verstorbene Nummer 2 der BMG und spätere rechte Hand des Operationschefs war ein enger Freund von Charles Bourg. Steil habe nie mit ihm über die Attentate gesprochen, wird Bourg im Bericht der Untersuchungsrichterin von 2008 zitiert. Vor Gericht meint der Ex-Offizier aber plötzlich, dass Steil ihm 2003 erzählt habe, dass dieser wisse, wer der „Bommeleeër“ sei. Allerdings will er nie weiter nachgehakt haben, um wen es sich denn nun handele. Was weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung dem Ex-Polizeidirektor abzukaufen gewillt sind. Überhaupt ist das Gebaren des Ex-Offiziers vor Gericht recht skurril: Einfachen Fragen weicht er aus, auf andere Fragen antwortet er mit Andeutungen, bevor er wieder in minutenlanges Schweigen verfällt. Als möglicher Täter oder Komplize muss auch er sich wegen versuchten Totschlags, Körperverletzung und Brandstiftung verantworten. Im Raum stehen vor allem aber Falschaussage und Justizbehinderung.
Marcel Weydert

Neben Marc Scheer und Jos Wilmes ist Marcel Weydert nun das dritte BMG-Mitglied, das sich womöglich vor Gericht wegen der Mittäterschaft an den Anschlägen verantworten muss. Dem ehemaligen Gendarmen wird vor allem dessen verblüffende Ähnlichkeit zu Jos Wilmes zum Verhängnis sowie ein Foto, das nach dem Attentat auf die Kasematten im Juli 1985 aufgenommen wurde. Das Bild im Luxemburger Wort zeigt zwei Männer in Einsatzkleidung im Innern der Kasematten. Eindeutig zu erkennen ist Marc Scheer. Der große, hagere Mann daneben aber soll Jos Wilmes sein. Oder Marcel Weydert, wie dieser plötzlich vor Gericht zu Protokoll gibt. Fakt ist: Im Logbuch wird Wilmes als diensthabender Beamter aufgeführt, während Weydert zu jener Zeit im Urlaub zu weilen schien. Warum also beharrt das BMG-Mitglied vor Gericht darauf, die Person auf dem Foto zu sein? Fakt ist: Kurz vor dem Attentat hatten Touristen am Heilig-Geist-Plateau drei verdächtige Personen beobachtet, darunter „Zwillinge“ in Militärkleidung. In einem Brief an Marc Scheer schreibt Weydert kurz vor Auftakt des Prozesses, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei für „ominöse Personen aus jener Zeit“, endlich Klartext zu reden, mit Orchestrierungen und Instrumentalisierungen aufzuhören und sich nicht mehr hinter einer Staatsraison zu verstecken. Auch die Art und Weise, mit der Weydert Scheer diesen Brief übergeben hatte, soll den Ermittlern zufolge sehr verdächtig gewesen sein. Eine E-Mail und ein Telefongespräch hatte Weydert zuvor nämlich abgelehnt.
Haan und Büchler

Im Gegensatz zu den leitenden Gendarmerie-Beamten und Ex-BMG-Mitglied Marcel Weydert stehen die beiden „Sûreté“-Beamten Paul Haan (Foto) und Guillaume Büchler nicht im Verdacht, an den Anschlägen der „Bommeleeër“ beteiligt gewesen zu sein. Ihnen wird „lediglich“ Falschaussage und Behinderung der Justiz vorgeworfen. Aus der Mitteilung der Staatsanwaltschaft geht hervor, dass sich beide im Zusammenhang mit einer Beschattung Ben Geibens verantworten müssen. Tatsächlich waren die Ermittler Haan und Büchler zusammen mit dem Kollegen Lucien Linden und „Sûreté“-Chef Armand Schockweiler im Oktober 1985 nach Brüssel gefahren, um dort mit den belgischen Kollegen über Geiben zu reden. Schockweiler hatte allerdings vor Ort entschieden, alleine mit dem Amtskollegen zu sprechen. Die Ermittler mussten draußen bleiben. „Mir waren dunn ee Kiischtebéier drénken“, so Haan im Prozess. Allerdings hatte Ben Geiben bereits 2004 gegenüber Ermittlern angegeben, in Brüssel von Gendarmen aus Luxemburg verfolgt worden zu sein: Haan und Büchler. Er – der zu diesem Zeitpunkt in Brüssel lebte – habe beide daraufhin konfrontiert und auf ein Gläschen eingeladen. Eine Darstellung, die Büchler und Haan vor Gericht dementierten. Der Dritte im Bunde, Lucien Linden, ist inzwischen leider verstorben, weshalb die Ermittlungen gegen ihn auch eingestellt wurden.
Ben Geiben

Foto: Editrpress
In Luxemburg wurde Ben Geiben als Verkörperung des modernen Polizisten gehandelt, ein Offizier mit guten Ideen und Ambitionen, der am 23. Februar 1978 mit dem Aufbau einer Elitetruppe innerhalb der Gendarmerie beauftragt wird. 1981 wird Geiben dann zum Kapitän befördert. Er muss die BMG verlassen und übernimmt den Bezirk Luxemburg, bevor er im Herbst 1984 für viele überraschend in die Privatwirtschaft wechselt. Die Gerüchteküche brodelt: Er sei der rigiden Gendarmerie-Führung zu progressiv gewesen. Später wird bekannt, dass Geiben mit dem Bruder seiner Ex-Frau zusammenlebt. Er sei aus der Gendarmerie vertrieben worden, die Anschläge seien seine Rache, so das Argument. Auch für Ermittler ist Geiben lange die „beste Spur“. Im Oktober 1985 soll er während eines Aufenthalts in Luxemburg beschattet werden, doch im entscheidenden Augenblick wird die Beschattung abgeblasen. Erst nach dem Attentat auf den Justizpalast wird die „Obs“ wieder aufgenommen. „Man hätte mich damals entlasten können“, sagt Geiben heute. Fast 40 Jahre lang streitet er jegliche Beteiligung an den Anschlägen ab. Nun hängt wieder ein juristisches Fragezeichen über seinem Kopf, hatte der zunächst mit dem Fall befasste Untersuchungsrichter in einer ersten Phase noch entschieden, keine Anklage gegen den Mitbegründer der BMG vorzubringen. Inzwischen aber hat eine neue Staatsanwältin den Fall übernommen, die ausreichende Belege für eine mögliche Verstrickung Geibens in die Attentatsserie gefunden zu haben scheint. Experten zufolge könnten aber auch prozedurale Gründe dahinterstecken. Die Entscheidung liegt nun bei der Ratskammer.
De Maart

Der Fisch stinkt immer vom Kopf her am meisten.
Wieso halten die nicht alle den Mund?
Die müssen doch wissen, dass 2/3 der Leute die den Mund halten niemals angeklagt werden.
Alle Beteiligten haben während ihrer "zweifelhaften" Karriere so manche Leute hinter Gitter gebracht, darunter auch totsicher unschuldige. Gleiches sollte mit gleichem vergolten werden. Einfach alle einbuchten ! Je höher der Rang, je länger !! Für vereidigte Beamte sollten die Strafen sowieso verdoppelt werden.
Vorschlag. Eine Runde "Rreise nach Jerusalem" und der Verlierer wird eingesperrt. Dann haben wir Ruhe vor diesem Trauerspiel.