BommeleeërDer Bleideckel oder Eine unendliche Affäre: Separates Verfahren gegen acht Angeklagte

Bommeleeër / Der Bleideckel oder Eine unendliche Affäre: Separates Verfahren gegen acht Angeklagte
Der Gerichtssaal, Schauplatz des 177 Verhandlungstage währenden Bommeleeër-Prozesses Foto: Editpress-Archiv

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„Eine Staatsaffäre“ hat sie der frühere Untersuchungsrichter Prosper Klein einmal genannt. Die Bommeleeër-Affäre geht nun in eine neue Runde. Während die bisher als Bombenleger Beschuldigten Marc Scheer und Jos Wilmes weiter deshalb angeklagt bleiben, sollen acht weitere Personen wegen Falschaussagen vor Gericht kommen. Gegen den einstigen Hauptverdächtigen wird keine Anklage erhoben.

Ob Mythos oder wunder Punkt, einfach eine Verbrechensserie oder gar eine Staatsaffäre – noch immer bewegt die Bommeleeër-Affäre die luxemburgischen Gemüter. Sowohl Täter als auch Motiv sind nach Jahrzehnten noch immer im Dunkeln. Vielleicht ist die unendlich scheinende Geschichte um die Reihe jener Sprengstoffanschläge zwischen Mai 1984 und April 1986 der „Triggerpunkt“ der Nation. Gleichgültig lässt sie hierzulande kaum jemanden. Sie ist ein „Triggerpunkt“, eine von den „Sollbruchstellen der öffentlichen Debatte, bei denen sachliche Diskussionen in emotionale umschlagen und sich die Menschen anders positionieren, als sie es zuvor getan haben“, wie es die beiden deutschen Soziologen Steffen Mau und Linus Westhäuser in ihrem gleichnamigen Buch beschreiben.

Ein Funke genügt, schon brennt die fast zehn Jahre nach der Aussetzung des Bommeleeër-Prozesses erloschen geglaubte Lunte wieder, als gestern Morgen die Staatsanwaltschaft mitteilte: „Die Ratskammer des Bezirksgerichts Luxemburg hat am 21. Februar 2024 den Beschluss zur Regelung des Ermittlungsverfahrens in der sogenannten ‚Bommeleeër-Affäre’ erlassen.“ Die Kammer habe entschieden, dass es gegen die acht Angeklagten, gegen die 2014 vom zuständigen Untersuchungsrichter zusätzliche Ermittlungen eingeleitet wurden, ein Verfahren geben wird.

Anschlag auf einen Hochspannungsmast der Cegedel am 30. November 1985 in Heisdorf
Anschlag auf einen Hochspannungsmast der Cegedel am 30. November 1985 in Heisdorf Foto: Editpress-Archiv

Fünf von ihnen, allesamt ehemalige Führungskräfte der damaligen Gendarmerie, wird vorgeworfen, während des Prozesses 2013 bis 2014 unter Eid falsch ausgesagt und somit die Justiz behindert zu haben: Guy Stebens, Pierre Reuland, Charles Bourg, erster Direktor der fusionierten Polizei, Ex-Sûreté-Chef Armand Schockweiler und der frühere Leiter der Gendarmerie, Aloyse Harpes. Zuvor seien bereits Marcel Weydert, ein ehemaliges Mitglied der „Brigade mobile“ der Gendarmerie (BMG), sowie die beiden früheren Beamten der „Sûreté publique“ Paul Haan und Guillaume Buchler aufgrund von Falschaussagen an eine Strafkammer verwiesen worden. Ein weiterer Verdächtiger, der Kriminalpolizist Lucien Linden, starb nach der Anklageerhebung.

Allerdings habe die Ratskammer festgestellt, wie es heißt, dass entgegen der Anträge der Staatsanwaltschaft kein Strafverfahren gegen die fünf ehemaligen Leiter der Gendarmerie sowie gegen Weydert wegen einer etwaigen Beteiligung an den Sprengstoffanschlägen eingeleitet werden müsse. Die Ratskammer sieht keine ausreichenden Anhaltspunkte, um ein Gerichtsverfahren gegen sie wegen der Attentate einzuleiten. Sie müssen sich demnach ausschließlich wegen Falschaussage verantworten. Die betroffenen Parteien sowie die Staatsanwaltschaft können innerhalb von fünf Tagen Berufung einlegen. Dies würde bedeuten, sollte die Entscheidung in zweiter Instanz von einer Ratskammer bestätigt werden, dass die beiden bisherigen Angeklagten des Bommeleeër-Prozesses, Marc Scheer und Jos Wilmes, als einzige mutmaßlichen Bombenleger angeklagt bleiben. Der am 2. Juli 2014 ausgesetzte Prozess könne demnach wieder dort fortgesetzt werden, wo er vor fast zehn Jahren unterbrochen wurde. Wann, wie und ob dies überhaupt passiert, bleibt unbeantwortet.

Zum ersten Anschlag war es am 30. Mai 1984 auf einen Hochspannungsmast der Cegedel in Beidweiler gekommen. Beim ersten Mal ging es schief, beim zweiten Versuch drei Tage später hatten die Täter mehr Glück. Es folgten bis zum 25. März 1986, als vor dem Haus eines pensionierten Gendarmerie-Chefs die letzte Bombe explodierte, etwa 20 weitere Anschläge. Sie blieben ungeklärt, ohne dass Gras über die Sache wuchs. Die Ermittlungen verliefen schleppend. Beweisstücke wurden verschlampt, Spuren vernachlässigt. Nachdem es einige Jahre um die Affäre still geworden war, wurde der frühere BMG-Chef Ben Geiben 1998 in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft als Urheber der Serie bezichtigt.

Die Eliteeinheit

Die Fälle wurden spätestens 2004 nochmals aufgegriffen, die Zahl der Ermittler erhöht, die Spuren neu ausgewertet. Die zwei ehemaligen BMG-Mitglieder Marc Scheer und Jos Wilmes gerieten in Verdacht und wurden verhört. Es wurde gemutmaßt, dass sie mit den Attentaten eine Reform, Aufstockung und Aufrüstung der Sicherheitskräfte erreichen wollten. In seiner ersten „Vernehmung“ am 10. August 2004, die mehr ein Informationsaustausch gewesen sei, wie Wilmes später der Revue gegenüber sagte, sei es darum gegangen, „zu dem großen Puzzle ein Stück beizutragen“. Auch Scheer hatte seinem Verhör „anfangs keine allzu große Bedeutung beigemessen“, sagte er der Revue 2013. Bis einer der Ermittler zu ihm gesagt habe: „Wenn du etwas damit zu tun hast, dann raus mit der Sprache.“ Die beiden Polizisten, die jegliche Verwicklung in die Affäre bestritten, wurden des versuchten Totschlags beschuldigt und suspendiert.

Die „Brigade mobile Gendarmerie“, Anfang der 80er Jahre: u.a. Ben Geiben (links), Jos Wilmes (3. von links) und Marc Scheer (2. von rechts)
Die „Brigade mobile Gendarmerie“, Anfang der 80er Jahre: u.a. Ben Geiben (links), Jos Wilmes (3. von links) und Marc Scheer (2. von rechts) Foto: Editpress

RTL Radio und Télé Lëtzebuerg starteten zu jener Zeit eine Doku-Reihe, die jeweils am 20. Jahrestag der verschiedenen Anschläge die Affäre neu aufrollte. Daraufhin meldeten sich eine Reihe von Zeugen. Einer davon gab an, am Tatort Findel Prinz Jean, den Bruder des Großherzogs, gesehen zu haben. Scheer und Wilmes wurden schließlich am 23. November 2007 verhaftet. Der damalige Polizeigeneraldirektor Pierre Reuland stellte sich in einer internen schriftlichen Stellungnahme hinter die beiden Beamten. Er war in den Jahren der Anschläge selbst Kommandant der BMG gewesen. Daraufhin wurde Reuland von dem damaligen Justiz- und Polizeiminister Luc Frieden abgemahnt. Am 25. November 2007 hielt Generalstaatsanwalt Robert Biever eine Pressekonferenz. Gegen Scheer und Wilmes wurde Anklage erhoben. Nach einem Brief Bievers an Frieden wurden Polizeigeneraldirektor Reuland und -generalsekretär Guy Stebens im Januar 2008 ihrer Ämter enthoben. Reuland habe jahrelang Druck auf die Ermittler ausgeübt. Fast zwei Jahre später schloss die leitende Untersuchungsrichterin Doris Woltz die Ermittlungen ab.

Illustre Zeugen

Es sollte noch weitere zwei Jahre dauern, bis der Bommeleeër-Prozess am 25. Februar 2013 begann. Die beiden Angeklagten waren damals 58, beziehungsweise 56 Jahre alt. Ihnen wurde unter anderem Brandstiftung, versuchte Körperverletzung und Mordversuch zur Last gelegt. Die Verteidiger waren Maître Gaston Vogel, Verteidiger von Marc Scheer, und Maître Lydie Lorang, Verteidigerin von Jos Wilmes. Ursprünglich war davon ausgegangen worden, dass der Prozess drei Monate dauern sollte. Etwa hundert Zeugen sagten vor Gericht aus, unzählige Pisten und Spuren wurden nachverfolgt und aufgearbeitet. Mehrere Personen erschienen durch ihre Aussagen verdächtig, darunter Ex-Premierminister Jacques Santer, der damalige Regierungschef Jean-Claude Juncker, die beiden Prinzen Jean und Guillaume und viele mehr. Einige Zeugenauftritte blieben lange in Erinnerung. Der frühere BMG-Chef und Polizeidirektor Reuland etwa gab eine Amnesie vor. Von der Richterin wurde er mehrmals wegen seiner herablassenden Art zurechtgewiesen. Er verlas eine Stellungnahme und verweigerte danach die Aussage.

Me Gaston Vogel und Me Lydie Lorang in einer Prozesspause
Me Gaston Vogel und Me Lydie Lorang in einer Prozesspause Foto: Pierre Matgé/Editpress

Unter anderem wurde über eine Verbindung zu „Stay Behind“ oder „Gladio“ spekuliert. So wurde ein Netzwerk beziehungsweise Geheimorganisation von NATO, CIA und (des britischen Geheimdienstes) MI6 während des Kalten Krieges genannt, die im Falle eines Überfalls der Truppen des Warschauer Paktes auf den Westen einen Guerilla-Kampf führen sollte. „Es werden harte Sitzungen werden, sehr harte Sitzungen“, hatte Me Vogel im Vorfeld des Mammut-Prozesses gesagt. „Und ich freue mich darauf, dass ich noch die Energie habe, um diese Sitzungen anzugehen.“ Er sollte ein ums andere Mal einen Beweis dafür erbringen.

Am 2. Juli 2014 setzte die Kriminalkammer unter dem Vorsitz von Richterin Sylvie Conter den Prozess nach 177 Verhandlungstagen in 16 Monaten auf unbestimmte Zeit und für die Dauer weiterer Ermittlungen aus. Fünf Jahre später verkündete die Staatsanwaltschaft, dass gegen neun Personen Anklage erhoben würde. Die Anklageschrift wurde im März 2022 dem leitenden Untersuchungsrichter zugestellt. Die Anschuldigungen, mit denen sich die Angeklagten im Rahmen der Affäre konfrontiert sehen, sind gravierend: versuchter Totschlag, Körperverletzung, Brandstiftung, Falschaussage und Justizbehinderung.

Maître Gaston Vogel im Jahr 2019
Maître Gaston Vogel im Jahr 2019 Foto: Tanja Feller/Editpress

Lange Zeit im engen Kreis der Verdächtigen stand der einstige Gründer der „Brigade mobile“, Ben Geiben. Er war auch seitens der Ermittler „die beste Spur“. Der mustergültige Elitepolizist, wie es immer hieß, war ab Februar 1978 mit dem Aufbau einer Elitetruppe innerhalb der Gendarmerie beauftragt. Er wechselte 1984 überraschend in die Privatwirtschaft. Lange Zeit als Hauptverdächtiger gehandelt, wurden gegen ihn keine Anschuldigungen erhoben. Dem „Renvoi“, den die Staatsanwaltschaft gegen Ben Geiben, den einstigen Gründer der „Brigade mobile“, beantragt hatte, wurde nicht stattgegeben. Es lägen keine ausreichenden Beweise oder Gründe für eine strafrechtliche Anklage gegen ihn vor.

Das Leben der beiden Angeklagten Scheer und Wilmes hatte sich seit ihrer Festnahme, Suspendierung und schließlich Anklage komplett verändert. „Es frisst einen auf. Man hat keine Lust mehr, Pläne zu schmieden“, sagte etwa Wilmes. Die Affäre hat sie allerdings auch lange zusammengeschweißt. Als der Prozess auf Eis gelegt wurde, zeigte sich Scheer ratlos. Niemand habe sich ihm gegenüber negativ geäußert, sagte er in der Revue über die zweifelhafte „Popularität“ durch die Affäre und den Prozess. Und Maître Vogel sagte im erneuten Interview im Juli 2014: „Wir werden die Wahrheit nie erfahren.“ An einer anderen Stelle sprach er von „einer politischen und diplomatischen Omertà“, einem Schweigegelübde. „Auf den Bommeleeër wird es nie eine Antwort geben“, sagte Maître Vogel, „weil die Omertà derart stark ist. Keiner Instanz wird es gelingen, diesen Bleideckel zu sprengen.“ Fünf Jahre nach dem größten Gerichtsverfahren der luxemburgischen Kriminalgeschichte nannte er in einem weiteren Interview den Bommeleeër-Prozess „einen Prozess, der auf Lügen basiert“. Und er zitierte Prosper Klein, der gesagt hatte: „Et ass eng Staatsaffär, déi net dierf opgekläert ginn.“

Die Angeklagten des Bommeleeër-Prozesses: Marc Scheer und Jos Wilmes
Die Angeklagten des Bommeleeër-Prozesses: Marc Scheer und Jos Wilmes Foto: Editpress-Archiv

 

 

Nomi
23. Februar 2024 - 10.53

Sollten mer di aal Bommelee'eraffaire net an den Archiv lee'en, well et kennt no 40 Johr jo dach naischt gescheites mei' ob d'Tapei't ! Dann haett eis Justiz och Zeit an Resourcen fir Faell ze lei'sen dei' nach leisbar sinn !

Grober J-P.
23. Februar 2024 - 10.32

Wie wär's mit einer erneuten Befragung des neuen CEOs? Ich hatte 2 mal totale Amnesie, leider kommt langsam alles wieder zurück ins Gedächtnis, vielleicht macht der neue Alte die gleiche Erfahrung.

Grober J-P.
23. Februar 2024 - 10.27

"Aber ist der Kreis der amtsfähigen Familien wirklich größer geworden? " "Amtsfähig", sehr gut!

Grober J-P.
23. Februar 2024 - 10.14

Klüngel überall, bis heute, die Mentalität hilft dem Bleideckel drauf zu bleiben. Vati hat es immer gewusst, schon damals als man ihn in die Villa Pauly gesteckt hat, und keiner ihn verraten gehabt haben soll.

Robert Hottua
23. Februar 2024 - 9.11

Der luxemburgische Historiker Emile KRIER spricht 1978 in seiner Dissertation "Die deutsche Volkstumspolitik von 1933 bis 1940 in Luxemburg" ein paar Mal von einer "fünften Kolonne" in Luxemburg. Als ich das Buch vor einiger Zeit ausleihen wollte, sagte man mir, es gäbe dieses Buch nur noch drei Mal im deutschsprachigen Raum und es wäre zuletzt 1996 ausgeliehen worden. Dazu fällt mir ein Artikel von Herrn Michel PAULY ein. Professionalisierung der Politik - Die politische Elite der Stadt Luxemburg im Mittelalter, forum April 2006: (…) Heute werden Bürgermeister und Schöffen aus dem Kreis der gewählten Gemeinderatsmitglieder bestimmt. Aber ist der Kreis der amtsfähigen Familien wirklich größer geworden? War die DP-Hauptstadtbürgermeisterin Lydie POLFER nicht auch die direkte Nachfolgerin ihres Vaters Camille POLFER? Ist nicht der Ex-CSV-Schöffe und heutige Oppositionsführer im hauptstädtischen Gemeinderat Laurent MOSAR der Sohn von Stadtschöffe Nicolas MOSAR? War der Schwiegervater von LSAP Gemeinderat und Fraktionschef Ben FAYOT nicht der ehemalige LSAP-Fraktionsvorsitzende und Kammerpräsident René Van den BULCKE? Und der Onkel von CSV-Premierminister Jean-Claude JUNCKER der ehemalige CSV-Bürgermeister von Ettelbrück und Kammervizepräsident Edouard JUNCKER? Und der Vater des LSAP-Gemeinderats und ehemaligen Abgeordneten René KOLLWELTER der ehemalige CSV-Gemeinderat und Abgeordnete Nicolas KOLLWELTER? Fast könnte letzteres Beispiel dazu verleiten die These aufzustellen, Familienbande seien eine wichtigere Voraussetzung zur Karriere als die Parteizugehörigkeit. Es wäre m. E. eine lohnende Forschungsaufgabe für einen jungen Historiker, eine prosopographische Studie der politischen Elite, wie ich sie 1990 für die mittelalterliche Stadt Luxemburg vorgelegt habe für die Zeitgeschichte umzusetzen. (Als Prosopographie bezeichnet man in der Geschichtswissenschaft die systematische Erforschung eines bestimmten Personenkreises. Wikipedia) MfG Robert Hottua