RadsportBob Jungels: „Möchte zeigen, dass ich noch Rennen gewinnen kann“

Radsport / Bob Jungels: „Möchte zeigen, dass ich noch Rennen gewinnen kann“
Bob Jungels will Primoz Roglic in diesem Jahr zum Tour-Sieg verhelfen Foto: Editpress/Anouk Flesch

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Bob Jungels geht 2024 in seine zweite Saison mit Bora-hansgrohe. Für den 31-Jährigen, aber auch für das ganze Team, hat sich mit der Ankunft von Primoz Roglic einiges verändert. Der Luxemburger möchte den Slowenen bei der Tour „mindestens“ auf das Podium begleiten. Aktuell befindet sich das deutsche Team im Trainingslager in Palma. Am Mittwoch stand Bob Jungels beim Media Day von Bora-hansgrohe den Journalisten Rede und Antwort. 

Tageblatt: Bob Jungels, wie würden Sie das Jahr 2023 zusammenfassen?

Bob Jungels: Um ehrlich zu sein, es war eine schwierige Saison. Nach einem guten Jahr 2022 hatte ich einen guten Winter. Ich habe mir dann bei Paris-Nice einen Virus eingefangen und drei Wochen ohne Rad verbracht. Wir haben uns dann dazu entschieden, die Tour de Romandie und den Giro zu machen. Die andere Option war, eine längere Pause einzulegen und sich voll auf die Tour vorzubereiten. Am Ende ist es immer schwer, zu sagen, was die bessere Option ist. Ich denke, dass ich 2023 immer hinten dran war. Die meiste Zeit war ich bei 80 Prozent meiner Leistungskapazität. Ich hatte nie wirklich einen Peak und war bei 100 Prozent. Das hat man beim Giro und bei der Tour gesehen: Es gab Etappen, die wirklich gut liefen, aber bei anderen war es wirklich schwer. Nach der Tour hatte ich dann Probleme mit dem neuen Rad. Ich hatte Probleme mit der Position und fühlte mich nicht wohl. Nach drei Stunden Rennen habe ich starke Krämpfe bekommen. Die letzten Rennen in Italien (Gran Piemonte und die Lombardei-Rundfahrt, Anm. d. Red.) habe ich auf meinem alten Rad bestritten und mich besser gefühlt. Es war schade für die all die Anstrengungen, die ich gemacht habe. Ich konnte nicht das zeigen, wofür ich gearbeitet habe. Nach den Rennen in Italien bin ich in Urlaub gefahren. Jetzt bin ich auf einem guten Weg. 

Was planen Sie in dieser Saison?

Der erste Block dieser Saison ist sehr wichtig. Ich will gut anfangen. Nach dem Trainingslager hier auf Mallorca, das am 16. Januar endet, werde ich vom 20. Januar bis zum 8. Februar ins private Höhentrainingslager zum Vulkan Teide nach Teneriffa fahren. Ich starte dann am 10. Februar in Murcia, am 11. Februar in Almeria und setze meine Saison dann mit der Algarve-Rundfahrt (14.-18. Februar) sowie dem Klassiker-Eröffnungswochenende in Belgien (24. Februar: Omloop Het Nieuwsblad, 25. Februar: Kuurne-Brüssel-Kuurne) fort. Mal schauen, ob ich zwischen Paris-Nice (3.-10. März) und der Baskenland-Rundfahrt (1.-6. April) noch den einen oder anderen Klassiker machen werden. Was jetzt sicher ist, sind Paris-Nice, die Baskenland-Rundfahrt und die Ardennen-Klassiker. 

Die Rennen in Flandern gehören nicht zu Ihrem diesjährigen Rennprogramm?

Nein, ich glaube, mit der Ankunft von Primoz Roglic hat sich in unserem Team einiges verändert. Wir haben wirklich die Chance, Rennen wie Paris-Nice oder die Baskenland-Rundfahrt zu gewinnen. Er braucht Leutnante, die ihn dabei unterstützen.

Blicken wir später auf die Saison: Ist die Tour de France ein Ziel?

Ja, ich stehe auf der Longlist für die Tour. Persönlich fände ich es genial, ein Teil dieses Teams bei der Tour zu sein. Wir haben wirklich die Chance, mindestens auf dem Podium zu landen. Es wird eine ähnliche Rolle wie letztes Jahr für mich bei der Tour sein. Aber ich mag die Vision des Teams: Wir sind gerade dabei, eine Gruppe um Primoz herum zu konstruieren. Für die Tour werden wir ins Höhentrainignslager gehen und das Critérium du Dauphiné fahren. Nach der Tour würde ich dann gerne die Olympischen Spiele bestreiten. 

Für die Tour de France hat Bora-hansgrohe schon angekündigt, Aleksandr Vlasov, Daniel Felipe Martinez und Jai Hindley zu nomieren. Damit hat Roglic starke Bergfahrer an seiner Seite. Wäre Ihre Rolle bei der Tour eine Art Capitaine de Route?

Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Der Plan ist, diese Kletterer in die Berge zu führen. Man muss erst mal bis zum letzten Anstieg kommen. Vorher lauern immer viele Gefahren. Wir brauchen wirklich Leute, die Primoz beschützen. Es gibt gefährliche Etappen. Wir müssen drei Wochen um ihn herum sein. Wenn ich in guter Form bin, denke ich, dass ich zu den 15 oder 20 Fahrern gehöre, die am Ende vorne sein werden.

Welche Auswirkung hat der Transfer von Primoz Roglic auf das Team?

Der Impakt auf das Team ist sehr groß – für die Tour, aber auch für alle anderen Rennen. Wir werden oft zu den drei Teams gehören, die das Rennen machen müssen. Wir sind intern dabei, uns wirklich alle gut auf die Saison vorzubereiten. Auch der Kader, der gerade in Australien um Sam Welsford ist. Es ist wichtig, frühe Erfolge zu feiern, die dem ganzen Team schon am Anfang der Saison Vertrauen geben. Ich kenne Primoz seit einigen Jahren, er ist sehr sympathisch und wirkt nach außen immer entspannt und ruhig. Es ist aber nie einfach, Favorit einer Grand Tour zu sein. Er ist sehr strikt mit sich selbst, auch wenn er das nach außen nicht so zeigt. Ich hoffe, dass das ganze Team einen Schritt nach vorne mit ihm an der Seite gehen kann. Für Primoz hingegen wird es sehr wichtig sein, dass er merkt, dass wir für ihn da sind. Ich bin noch nie mit ihm zusammen gefahren, deswegen weiß ich nicht, ob er Entscheidungen trifft. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, dass er Leute mit Erfahrung an seiner Seite hat. In dieser Rolle sehe ich mich. Ich weiß, was es heißt, das Gesamtklassement einer Grand Tour anzuvisieren. Ich würde gerne für ihn da sein, um in bei der Tour bis auf das Podium zu begleiten. 

Haben Sie persönliche Ambitionen in diesem Jahr?

Ja, ich denke, dass es immer mein Charakter bleiben wird, Rennen gewinnen zu wollen. Um ehrlich zu sein, sind meine besten Chancen, Resultate einzufahren, wahrscheinlich bei den Rennen in Flandern. Wir haben sie aber noch nicht in mein Programm integriert, weil man einerseits ein Team für diese Rennen braucht und zum anderen sehr viel Vertrauen. Dieses Vertrauen, ehrlich, das fehlt momentan. Die Energie ist da, aber im Rennen musst du bereit sein. Die Rennen haben sich geändert seit 2017, 2018. Es herrscht Krieg in jeder Kurve. Aber mein Programm kann sich mit jedem Rennen ändern: Du brauchst nur ein gutes Ergebnis und hast auf einmal Vertrauen. Wir müssen aber auch irgendwo zwischen Klassikern und Etappenrennen abwägen. Beides zu machen, ist sehr schwierig. Wenn Primoz will, dass ich im Baskenland und in den Ardennen für ihn da bin, dann werde ich dort sein. Bei mir persönlich muss das Vertrauen wiederkommen. Es ist schwer, wenn man viel aufopfert und nichts zurückbekommt. Wenn man sich Wout van Aert, Tadej Pogacar, Mathieu van der Poel oder Thomas Pidcock anschaut, sie haben enormes Vertrauen in das, was sie tun. Wenn ich Rennen wie ein E3 Saxo Bank Classic oder eine Flandern-Rundfahrt gewinnen will, muss ich, aber auch das Team, an mich glauben. Dafür muss man vorher Resultate haben und zeigen, dass man zu den Besten gehört. 

Bob Jungels beim Gespräch mit den Journalisten am Media Day von Bora-hansgrohe
Bob Jungels beim Gespräch mit den Journalisten am Media Day von Bora-hansgrohe Foto: privat

Sie sind nun 31 Jahre alt. Denken Sie, dass Sie noch lange im Radsport aktiv sein werden?

Komischerweise haben mich das schon einige gefragt (lacht). Nicht mal Journalisten, sondern eher mein Umfeld. Ich liebe den Radsport. Es gibt Momente, da liebe ich eher das Radfahren als den Sport. Der Sport hat sich verändert. Ich habe Zeit gebraucht, um mich zu adaptieren und das zu verstehen. Vor zehn Jahren hast du ein Rennen gewonnen und warst ein Rockstar. Heute gewinnst du ein Rennen, trinkst deine Coke-Zero und gehst dann ins Bett. Das ist für all die Jungen heute zur Normalität geworden. Der Druck in den Rennen ist viel intensiver geworden. Man lebt für drei, vier oder fünf Monate wie ein Mönch. Du siehst deine Familie nicht, machst nichts, stehst am Gipfel des Teide und verbringst deine Abende damit, deine Finger zu zählen. Nach der letzten Saison habe ich viel mit dem Team geredet. Sie haben mich gefragt, ob ich das Ganze noch zu 100 Prozent machen will. Es ist immerhin meine 13. Saison. Ich habe entschieden, dass ich das noch durchziehen möchte, und bin überzeugt, dass ich noch drei bis vier Jahre habe, um Resultate einzufahren. Danach muss man schauen, ob man eine andere Rolle einnimmt oder ob es das gewesen ist. Aber das ist eine Frage für die Zukunft. Für die nächsten Jahre würde ich gerne zeigen, dass es für mich nicht vorbei ist. Ich möchte zeigen, dass ich noch da bin und Rennen gewinnen kann.

Im letzten Jahr haben Sie die Flandern-Rundfahrt angepeilt. Gibt es in diesem Jahr ein Rennen, dass Sie gerne gewinnen würden?

Ich versuche, gut in die Saison zu starten. Omloop Het Nieuwsblad, Kuurne-Brüssel-Kuurne oder Paris-Nice sind Rennen, bei denen ich mich zeigen kann. Wenn man sich die Klassiker ansieht, die ich gewonnen habe: da kam ich oft aus der zweiten Reihe. Meine Möglichkeiten sind also immer noch da. 

Während Ihrer schwierigen Zeit bei Ag2r-Citroën und Ihrer Endofibrose sagten Sie im Tageblatt-Interview, dass es Ihnen mental schlecht ginge und sich das sogar in Ihrem Charakter widerspiegelt. Wie geht es Ihnen mental zurzeit?

Ich hatte mich während dieser Zeit persönlich stark verändert. Ich bin aber nun wirklich motiviert, die Disziplin an den Tag zu legen, um wirklich leistungsfähig zu sein. Zu Hause ist alles stabil, ich bin sehr froh, wie es zurzeit läuft. Ich bin mehr Realist geworden, vielleicht zu sehr. Manchmal bin ich sogar vielleicht Pessimist, weil die Resultate auch fehlen. Aber Realismus und Pessimismus liegen sehr nah beieinander. Wenn ich einen guten Winter ohne Fehler habe, dann gibt es keinen Grund, warum es in dieser Saison nicht laufen sollte. Die physischen Kapazitäten habe ich und mental bin ich stärker als sonst. Es gibt für mich keinen Grund zur Sorge.