Luxemburgs FlüchtlingspolitikBlau-rote „Kleinkrämer“

Luxemburgs Flüchtlingspolitik / Blau-rote „Kleinkrämer“
Ein Foto aus einer anderen Zeit: Die Regierungsmitglieder Corinne Cahen, Jean Asselborn und Claude Meisch empfangen 2015 mit ONA-Chef Yves Piron sowie dem „Bäerdrefer“ Bürgermeister Ernest Walerius Luxemburgs erste syrische Flüchtlinge (v.r.n.l.).  Foto: Editpress-Archiv/Isabella Finzi

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Flüchtlingspolitik ist undankbar: Zu den Ursprüngen und Herausforderungen blau-roter Kleinkrämerei. Ein Feature.

Weilerbach, 2015: Jean Asselborn (LSAP), Corinne Cahen (DP) und Claude Meisch (DP) treten gemeinsam vor die Kameras. Der syrische Bürgerkrieg wütet, in Luxemburg kommen erste Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland an. Politische Spannungen werden offensichtlich. Die neuen liberalen Minister sind voller Tatendrang, dem alten Hasen wirft man eine gewisse Tatenlosigkeit vor. Was rückblickend stimmt: Wesentliche Probleme haben sich nicht oder nur teils geändert.

Zu dieser Erkenntnis kommt auch Familien- und Integrationsministerin Cahen. Nach der ersten Auflage der Dreierkoalition heißt es: Danke, nein Danke, das Ressort kann ganz beim Außenministerium bleiben. Warum überlässt sie aber Außenminister Asselborn und der „Migration“ das heikle Dossier? Zum einen aus Pragmatismus, das Flüchtlingsdossier ist brisant; zum anderen aus Instinkt: Sich aus der Affäre ziehen ist passé, die politische Verantwortung jetzt ganz beim sozialistischen Mitstreiter. Eines der ewigen Streitthemen: die Anzahl der Betten. Sprich: Wie viele Menschen können in Luxemburg Zuflucht finden?

„Mehr als nur Betten“

Cahen hält diese Form der Politik für einseitig und meint 2015: „Wir brauchen mehr als nur Betten“. Jean Asselborn klingt heute ähnlich, ist sich aber der damaligen Bringschuld bewusst. Man habe in Luxemburg das richtige Gespür dafür gehabt, die Zahl der Betten kontinuierlich auszubauen: „2014 hatten wir 2.000 Betten. 2020 hatten wir 4.000. Und jetzt haben wir 6.400 Betten“, betont das politische Urgestein am Dienstag auf einer Pressekonferenz im Außenministerium. Ein Land wie Belgien habe im Vergleich zu Luxemburg nur 31.000 Betten für Asylbewerber. Die politische Erzählung dahinter: Verhältnismäßig schlägt sich Luxemburg gut.

Wie sieht aber die internationale Lage aus? Warum kommen die Menschen überhaupt nach Luxemburg? Und woher stammen sie? Auch hier haben sich grundlegende Trends nicht verändert: Die Flüchtlinge stammen mehrheitlich aus Syrien, Eritrea und Afghanistan. Eine Tendenz, die internationale Fluchtverläufe widerspiegelt: Weltweit sind 6,6 bis 6,8 Millionen Syrer und etwa 2,7 Millionen Afghanen auf der Flucht – ein trauriger Rekord laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Was in all dem medialen Lärm untergeht: Die Mehrheit der syrischen Flüchtlinge ist in Nachbarstaaten geflohen. Davon allein 3,6 Millionen in die Türkei.

„Verschiebebahnhof der Verantwortung“

Aber auch der nicht ganz so neue Ukraine-Konflikt, der seit 2014 wütet, jedoch erst 2022 zur internationalen Gefahr wird, beruhigt sich. Die Solidarität der Luxemburger ist groß, die Euphorie aber am Weichen: „Es gab viele Luxemburger, die Ukrainer aufgenommen haben. Das ging drei, vier Monate gut.“ Danach sei es oft gescheitert – nicht an den Finanzen, sondern am allzu menschlichen Miteinander. „Wir brauchen Platz, um diese Menschen zurückzunehmen“, so Asselborn. Der internationale Trend: Neun Millionen Ukrainer hätten die Grenze zu Europa überquert. Allein sechs Millionen seien zurückgekehrt. „Viele Menschen sind auch aus Luxemburg in die Ukraine zurückgekehrt“, erklärt der Außenminister. Die Unberechenbarkeit des Kriegs könnte sie aber erneut zur Flucht zwingen.

Wo liegen also die konkreten lokalen Herausforderungen der Flüchtlingspolitik? Auch hier bleibt die Tendenz seit 2015 stabil: Das Schicksal unbegleiteter Minderjähriger bereitet Behörden und NGOs Kopfzerbrechen. Die Forscherin Christel Baltes-Löhr beschreibt das Problem damals gegenüber dem Tageblatt als „Verschiebebahnhof der Verantwortung“. Bis heute ist das Problem nicht gelöst. Marion Dubois von der Flüchtlingshelferorganisation Passerell kritisiert z.B., dass Kinder auf der Flucht allein gelassen werden. „Wenn ein minderjähriger Asylbewerber ohne Eltern in Luxemburg-Stadt ankommt, erhält er keinen Schutz“, sagt Dubois am Dienstag gegenüber dem Tageblatt. Es gebe keine geeigneten Heime für sie. Luxemburg habe im Vergleich zu den Nachbarstaaten Defizite. Was heißt das konkret? „Entweder beantragt das Kind Asyl (…) oder es irrt weiter durch die EU und hofft, ein Land zu finden, das sich um es kümmert“, so Dubois.

Spezialisiertes Personal

Die nüchterne Sicht des Außenministeriums wiederum: Viele Kinder werden von den Eltern instrumentalisiert – ihre Flucht sei nicht freiwillig. Jean Asselborn weist am Dienstag darauf hin, dass zurzeit 117 Kinder in der Obhut des „Office national de l’accueil“ (ONA) seien. Auch hier handle es sich vorwiegend um syrische, afghanische und eritreische Kinder. Diese Minderjährigen seien ins Schulsystem integriert, die Zusammenarbeit mit Bildungsminister Claude Meisch funktioniere, so Asselborn. Dies ändere aber nichts an der Faktenlage: Es kämen inzwischen Kinder an, die knapp acht Jahre alt seien. Sie seien in normalen Heimen untergebracht, bräuchten aber eine andere Betreuung. Geeignetes Personal finden sei schwierig. Dem pflichtet der Präsident der Luxemburger Menschenrechtskommission CCDH Gilbert Pregno bei. „Diese Jugendlichen müssten ziemlich schnell in ein betreutes Heim kommen, wo ihnen Hilfe angeboten wird.“ Allerdings sei die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Kinder in Auffangeinrichtungen ohne spezialisiertes Personal verweilen müssten.

Doch warum werden die Kleinen überhaupt auf tausende Kilometer lange Fluchtrouten geschickt? „Viele Kinder werden vorgeschickt, um den (Flüchtlings-)Status zu beantragen. Damit sie über die Familienzusammenführung mit ihren Eltern nach Luxemburg kommen können“, sagt Asselborn. Laut ihm hat dieses sogenannte „Regroupement familial“ Ausmaße erreicht, die es so noch nicht gegeben habe. Einfach ausgedrückt: Oft kommen Flüchtlinge, vor allem Minderjährige, allein in Luxemburg an – das Wiedersehen mit der Familie kann Monate oder Jahre dauern. Allein 380 Menschen sind bei uns derzeit offiziell betroffen. Der Haken: Viele dieser Menschen würden nicht nur eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis beantragen, sondern direkt auch Asyl, gibt Asselborn zu bedenken. Das erleichtere den Verwaltungsaufwand nicht: So seien etwa ältere Flüchtlinge und Migrationsmitarbeiter mit Sprachbarrieren konfrontiert.

„Das Prinzip Menschlichkeit“

Gilbert Pregno versucht, dem Ganzen aber auch etwas Menschliches abzugewinnen. Man solle nicht so streng mit den Eltern dieser Kinder sein: „Meine Eltern oder Großeltern hätten vielleicht auch so etwas getan. Dort gilt für mich das Prinzip Menschlichkeit“, appeliert der CCDH-Präsident. Man müsse von Fall zu Fall urteilen.

Doch auch Pregno redet die Lage nicht schön. Viele der Kinder seien hoch traumatisiert, wenn sie ankämen. Er habe jüngst mit erwachsenen Flüchtlingen zu tun gehabt. „Wenn sie mir erzählen, dass sie in einem Boot lagen, Menschen dort gestorben sind und dann ins Meer geworfen wurden, dann stelle ich mir vor (…), dass ein Jugendlicher, der das mitmacht, sein Leben lang gekennzeichnet ist.“ Luxemburg solle sich deshalb für diese Menschen einsetzen. Lange Gespräche darüber wie ein „Kleinkrämer“ seien keine politische Lösung.

Maach lues
27. September 2022 - 13.35

Diese traumatisierten Kinder und Jugendliche, die eigentlich eine ständige Begleitperson und ein sehr kadriertes Umfeld bräuchten werden dann in total überfüllten « Foyers » untergrbracht, wo Niemand wierklich Zeit für Sie hat. Sie sind auf sich allein gestellt. Sie kommen zusammen mit anderen traumatisierten Flüchtlingskindern in eine total überfüllte «  classe d’accueil ( wo Jugendliche, die keinen Zahlenbegriff haben auf Welche treffen , die sieben Jahre studiert haben) Vom Lehrer/in wird , dann erwartet, dass er innerhalb eines Jahres alle diese jungen Menschen in unser Schulsystem integriert. Das ist einfach nur lächerlich und total unmöglich. Mann sieht, dass die Leute, die hier stehen und Entscheidungen treffen, keinen blassen Schimmer von der Realität haben!

Arm
27. September 2022 - 12.53

E Loyer vun 38.000 Euro de Mount bezilt d'Stater Gemeng zënter Abrëll, fir d'Zëmmeren am Hotel Graace zu Bouneweg ze lounen Bis ewell ass awer just eng eenzeg Famill, déi aus der Krichsregioun geflücht ass, do logéiert. D'Capacitéit sinn 28 Zëmmeren. De Bail fir d'Zëmmeren am Bouneweger Hotel huet d'Stater Gemeng fir 6 Joer ënnerschriwwen. Et as weh de Bettel seht kascht wat et kascht An eis Leit hei am Land bleiwen weh emmer op der Streck

Mhp
27. September 2022 - 12.31

Et gin och vill arm Leit hei am Land. Awer domatt kann eis Politiker sech net profileieren. Vive Wahlen 2023.

JJ
27. September 2022 - 12.02

@Jeremy, dat Problem besteet awer schon säit CSV-Zäiten. D'Wiselertrupp kéint jo Alternativen bréngen.

Jeremy
27. September 2022 - 9.12

Nëtt nëmmen ëmmer un d'Flüchtlinge denken, de Letzeburger Bierger gëtt mol gaeren vergiess, zemol am Wunnéngsproblem,Gambia ass an bleiwt konzeptlos.