Sébastien ThillAuf der Überholspur

Sébastien Thill / Auf der Überholspur
Sébastien Thill (r.) hat sich vor allem physisch im Ausland weiterentwickelt Foto: Editpress/Jeff Lahr

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Drei lange Jahre musste Sébastien Thill die Spiele der Nationalmannschaft auf der Tribüne oder vor dem heimischen Fernseher verfolgen. In den vergangenen sechs Monaten wendete sich das Blatt jedoch für den Mittelfeldspieler. Mit seinem moldawischen Verein Sheriff Tiraspol schaffte der 27-Jährige den Sprung in die Champions-League-Gruppenphase und beim 2:1-Erfolg am Mittwochabend gegen Aserbaidschan stand er wieder in der Startelf der „Roten Löwen“. Sébastien Thill befindet sich derzeit auf der Überholspur.

Wer den moldawischen Straßenverkehr bereits einmal miterlebt hat, der weiß, dass in der ehemaligen sowjetischen Teilrepublik das Überholen eine Kunst für sich ist. Grundsätzlich gibt es keine Regeln, um ans Ziel zu kommen. Ähnlich unorthodox verliefen auch die vergangenen Monate der Karriere von Sébastien Thill. Bis Spätsommer 2020 war der Mittelfeldspieler einer der besten einheimischen Akteure der BGL Ligue und hatte einen ruhigen Job bei der Differdinger Gemeinde. Es schien, als hätte er – im Gegensatz zu seinen beiden Brüdern Olivier und Vincent – mit dem Traum Profifußballer abgeschlossen. Als dann das Angebot des FK Tambow ins Haus flatterte, ging alles ganz schnell. Beim finanziell angeschlagenen russischen Erstligisten schaffte er den Durchbruch noch nicht, aber es reichte, um den moldawischen Serienmeister Sheriff Tiraspol auf sich aufmerksam zu machen und auch wieder höher in der Gunst von Nationaltrainer Luc Holtz zu stehen.

Nachdem er am 9. Juni 2017 bei der 0:5-Niederlage in Rotterdam gegen die Niederlande zum letzten Mal das Trikot der „Roten Löwen“ getragen hatte, saß er rund dreieinhalb Jahre später beim 0:0 gegen Aserbaidschan wieder auf der FLF-Ersatzbank. Ab diesem Moment ging es für den begabten Linksfuß ständig bergauf. Seine Renaissance gipfelte am Mittwoch in der Nominierung für die Startelf im wichtigen WM-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan. Sébastien Thill genoss den Moment im neuen Stadion: „Auch wenn nur 2.000 Zuschauer ins Stadion durften, war die Stimmung ganz anders als im Stade Josy Barthel. Auch auf dem Platz haben wir das mitbekommen. In der schwierigen Schlussphase haben uns die Zuschauer gepusht.“

Im 4-3-3-System von Nationaltrainer Luc Holtz war Thill unter anderem dafür zuständig, im Mittelfeld die Bälle sauber nach vorne zu verteilen. Das gelang vor allem in den ersten 60 Minuten der Partie sehr gut. „Die erste Stunde war fast perfekt. Wir haben den Gegner sehr gut unter Druck gesetzt, hatten viele Offensivaktionen und der Gegner hatte keine Gelegenheiten. Der Anschlusstreffer hat Aserbaidschan wieder Auftrieb gegeben, während wir mit schweren Beinen zu kämpfen hatten, da wir mit sehr viel Intensität zu Werke gegangen sind“, sagte Thill.

Auf ihm und seinen beiden Mittelfeldpartnern Christopher Martins und Leandro Barreiro lastete gegen Aserbaidschan eine besondere Verantwortung. „Luc Holtz hat uns einen Plan mit auf den Weg gegeben, aber wir konnten sehr viel selbst entscheiden und unser Gefühl mit einbringen. Das hat meist hervorragend geklappt, denn oft lief der Ball sehr gut“, so Thill, der mittlerweile viel Erfahrung auf internationaler Ebene sammeln konnte. In den acht Qualifikationsspielen der Champions League stand der Luxemburger immer über die gesamte Spielzeit auf dem Platz und war mit einem Tor und zwei Vorlagen einer der Erfolgsgaranten bei Sheriff Tiraspol. „Ich setze mittlerweile meinen Körper ganz anders ein und bin auch besser in der Ausdauer geworden. Ich trainiere seit einem Jahr auf hohem Niveau und das hat sich positiv auf mich ausgewirkt“, sagt Thill.

Beliebtheit und Respekt

Mit dem Verein aus dem De-facto-Regime Transnistrien tritt der Luxemburger ab dem 15. September in der Königsklasse gegen Real Madrid, Inter Mailand und Schachtjor Donezk an. Die Euphorie um ihn und seine Sheriff-Teamkollegen hat in den letzten Wochen neue Sphären erreicht. „Es interessieren sich mehr Journalisten für uns, beim letzten Auswärtsspiel gegen Balti haben die gegnerischen Fans uns sogar applaudiert. Sheriff ist in Moldawien nicht so beliebt, weil die Mannschaft aus Transnistrien kommt, aber das scheint sich derzeit zu ändern“, so Thill.

Mehr Respekt wird ihm auch in Luxemburg entgegengebracht, seitdem er den Sprung ins Profilager geschafft hat. „Es ist schon etwas anderes, wenn man Profi ist. Generell interessieren sich viel mehr Leute für einen und man bekommt auch deutlich mehr Nachrichten in den sozialen Medien geschickt.“

Bevor er kommende Woche wieder auf den moldawischen Erfolgszug aufspringt, will Thill am Samstag in Belgrad gegen Serbien für den nächsten Coup mit der luxemburgischen Nationalmannschaft sorgen. „Serbien ist individuell stark, hat aber als Mannschaft bisher noch nicht überzeugt. Es wird jedoch ein sehr schweres Spiel, in dem wir versuchen werden, eine Überraschung zu schaffen und wenn möglich den Sprung auf Platz zwei in der Tabelle zu schaffen“, sagt Thill, der auch im „Marakana“ von Belgrad – dem Rajko-Mitic-Stadion – wieder große Chancen besitzt, in der Startelf zu stehen.