Donnerstag16. Oktober 2025

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ÖsterreichAn der Neutralität wird nicht gerüttelt – trotz „sehr hohem“ Risiko eines Krieges mit Russland

Österreich / An der Neutralität wird nicht gerüttelt – trotz „sehr hohem“ Risiko eines Krieges mit Russland
Eine Ehrengarde der österreichischen Armee marschiert zum Empfang eines ausländischen Staatsgastes in einem Innenhof der Wiener Hofburg auf Foto: AFP/Joe Klamar

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Österreich hält einen Krieg zwischen der EU und Russland zwar für wahrscheinlich und betrachtet die Neutralität nicht wirklich als Schutz. Das Bundesheer soll daher „kriegsfähig“ werden. Aber die NATO bleibt ein Tabu.

Selten reden die Strategen des Wiener Verteidigungsministeriums derart Klartext wie in diesen Tagen. Gerade haben sie ein düsteres „Risikobild 2024 – Welt aus den Fugen“ entworfen. Derart pessimistisch war die Lageeinschätzung nicht einmal in den frostigsten Zeiten des Kalten Krieges. Generalmajor Peter Vorhofer, einer der Autoren dieser sicherheitspolitischen Studie, schätzt das Risiko eines Krieges der EU, also auch Österreichs, mit Russland als „sehr hoch“ ein. Denn: „Die aktuellen Konflikte verdeutlichen, dass die aus der Vergangenheit bekannte, ‚regulierte Weltordnung‘ nicht mehr länger existiert.“ Dies bedeute, „dass wir 2024 mit einer hohen Wahrscheinlichkeit hybride Kriegsführung erleben“. Österreich rechnet mit weiteren Störungen von Lieferketten, Cyberangriffen, Desinformationskampagnen. Externe Akteure würden zudem versuchen, die europäische Integration „durch gezielte Angriffe und Zwangsausübung“ zu schwächen. Deren Ziel: die Entwicklung der Europäischen Union zu einem wesentlichen sicherheits- und außenpolitischen Akteur verhindern.

„Noch nicht Krieg …“

Beklemmend ist die leider realistische Lagebeurteilung durch den Experten: „Wir sind in einer Phase, in der es noch nicht Krieg, aber auch nicht mehr Frieden ist.“ Das muss Konsequenzen haben. Und auch in diesem Zusammenhang fallen Begriffe, die man in Wien so nicht kennt: Das Bundesheer müsse „wieder kriegsfähig“ gemacht werden, sagt Generalmajor Bruno Günter Hofbauer. Das passt so gar nicht zur liebgewonnenen Wahrnehmung des Heeres, das seine Existenzberechtigung jahrzehntelang aus dem Bewerben seiner Funktion als Katastrophen- oder Grenzschutztruppe ableiten musste, weil die Bürger und die verantwortlichen Politiker das Militärische am Militär auszublenden gewohnt waren.

Wladimir Putin hat mit seinem Angriff auf die Ukraine auch in Wien einen Paradigmenwechsel ausgelöst. Das schon vor 1989, aber erst recht nach dem Fall des Eisernen Vorhanges kaputt gesparte Bundesheer wird jetzt ohne großes Polit-Hickhack großzügig mit mehr Geld ausgestattet. Mehr als 16 Milliarden Euro bis 2032 sieht der von der türkis-grünen Koalition beschlossene Aufbauplan an Investitionen in das Heer vor. Das klingt viel, ist aber gemessen an den Versäumnissen der Vergangenheit noch immer wenig. Auch am von Deutschland initiierten Raketenschutzschirm „Sky Shield“ wird sich Österreich beteiligen. Denn: „Russland könnte jederzeit auch eine Drohne bis zu uns schicken“, warnt Oberst Markus Reisner, Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung an der Theresianischen Militärakademie.

„Sky Shield“ markiert allerdings auch das innenpolitische Glatteis, auf dem sich die Bundesregierung sicherheitspolitisch bewegt. Denn die FPÖ wird in diesem Superwahljahr ganz groß das Thema Neutralität trommeln. Und je länger sich der Krieg in der Ukraine hinzieht und je weniger die Wirtschaftssanktionen den erhofften Effekt auf Russland zeigen, desto mehr Zustimmung könnte der neutralistische Kurs der Rechtspopulisten bekommen. Sich herauszuhalten aus allen Wirrnissen der Welt und wieder die „Insel der Seligen“ zu sein, entspricht nämlich einer tiefen, wenn auch trügerischen Sehnsucht vieler Österreicher. Die Beteiligung an einem Raketenschutzschirm brandmarkt die FPÖ so wie schon die Beteiligung an den Russland-Sanktionen als Abkehr von der Neutralität.

Ewig neutral

Dass die ihren sicherheitspolitischen Wert längst verloren hat, sofern sie überhaupt jemals einen hatte, sagen die Strategen im Ministerium auch in aller Deutlichkeit. „Es ist ein Faktum, dass die Neutralität uns letzten Endes nicht schützt“, meint der verteidigungspolitische Ministerialdirektor Arnold Kammel. Für Oberst Reisner steht fest, dass die Neutralität Österreich auch im Kalten Krieg nur scheinbar geschützt habe. Wäre es zu einer Eskalation gekommen, so hätte diese auch vor Österreich nicht haltgemacht. Das zeigten die heute in den Archiven in Washington und Moskau einsehbaren Militärplanungen ganz klar.

Über eine Abkehr von der Neutralität wagt aber kein Politiker laut nachzudenken. Ein NATO-Beitritt ist das Tabu-Thema der österreichischen Politik, ähnlich ausgeschlossen wie der Bau eines Atomkraftwerkes. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat deshalb auch schon klargestellt, was in keiner sicherheitspolitischen Debatte zur Diskussion steht: die Neutralität. Wie sich Österreich seine sicherheitspolitische Zukunft aber konkret vorstellt, steht in den Sternen. Denn eine neue Sicherheitsdoktrin lässt auf sich warten. In der gültigen aus dem Jahr 2011 wird Russland noch als „strategischer Partner“ bezeichnet …