This Hard Minett LandAmerican Skin

This Hard Minett Land / American Skin
 Illustration: Dan Altmann

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41 shots
41 shots
41 shots
41 shots

41 shots, and we’ll take that ride
’Cross the bloody river to the other side
41 shots, cut through the night
You’re kneeling over his body in the vestibule
Praying for his life

Is it a gun, is it a knife
Is it a wallet, this is your life
It ain’t no secret
It ain’t no secret
No secret my friend
You can get killed just for living in your American skin

41 shots
41 shots
41 shots
41 shots

41 shots, Lena gets her son ready for school
She says, „On these streets, Charles
You’ve got to understand the rules
If an officer stops you, promise me you’ll always be polite
And that you’ll never ever run away
Promise Mama you’ll keep your hands in sight“

Is it a gun, is it a knife
Is it a wallet, this is your life
It ain’t no secret
It ain’t no secret
No secret my friend
You can get killed just for living in your American skin

41 shots
41 shots
41 shots
41 shots

41 shots – you can get killed just for living in
41 shots – you can get killed just for living in
41 shots – you can get killed just for living in
41 shots – you can get killed just for living in your American skin

(Bruce Springsteen, „American Skin (41 Shots)“, from the album „Live in New York City“, 2001)


In den Morgenstunden des 4. Februar 1999 wurde in der Bronx in New York ein aus Guinea stammender Straßenhändler von vier weißen Polizisten der „Street Crime Unit“ in der Diele seines Wohnhauses erschossen. Als der 23-jährige Amadou Diallo der Aufforderung nachkam, sich auszuweisen, hielt einer der Polizisten die Brieftasche fälschlicherweise für eine Waffe, woraufhin die vier Polizisten 41 Schüsse abfeuerten. 19 Kugeln trafen Amadou Diallo – eine in die Brust, fünf in den linken Oberkörper, eine in den Rücken, eine in den rechten Arm und elf in die Beine.

Als Bruce Springsteen gut ein Jahr später den Song American Skin zum ersten Mal auf einem Konzert in Atlanta und kurz darauf auch im Madison Square Garden in New York spielte, hagelte es Kritik von den Polizeibehörden. Der Präsident der New Yorker Polizeivereinigung Robert Lucente nannte Springsteen einen „floating fag“ (eine mit dem Strom schwimmende Schwuchtel) und rief zum Boykott seiner Konzerte auf: „He has all these good songs and everything, American flag songs and all that stuff – and now he’s a floating fag.“1)

Ich habe den Song American Skin bewusst ausgewählt, weil sich an ihm zwei Dinge beispielhaft festmachen lassen: zum einen das Thema des strukturellen Rassismus in den USA, zum anderen die zurückhaltende und verklausulierte Art und Weise, wie Bruce Springsteen sich als Künstler zu diesem Thema verhalten bzw. geäußert hat. Und nicht zuletzt geht es darum, wie der amerikanische Mythos vom „melting pot“ – einer Metapher der Stahlindustrie – sich in Beziehung zur luxemburgischen Meistererzählung erfolgreicher Migration und Integration setzen lässt.

Als bekennender Springsteen-Fan, der seine eigenen Kinder in sehr jungen Lebensjahren mit in ein Springsteen-Konzert genommen hat, damit sie die außergewöhnliche Kraft und emotionale Wirkung dieser Musik selbst erleben konnten, hat mir erst die Beschäftigung mit American Skin die Augen dafür geöffnet, wie abwesend das Thema „race“ in Springsteens Werk ist. Die öffentlich zelebrierte Freundschaft zwischen Springsteen und seinem Saxofonisten Clarence Clemons (alias „Big Man“) hat auch mich darüber hinweggetäuscht, dass – überspitzt gesagt – bei Konzerten mehr Schwarze auf der Bühne standen als im Publikum anwesend waren.2) Springsteens Musik und Performances spiegeln den amerikanischen Traum einer weißen, männlichen Mittelschicht, und seine Songs waren bis in die 2000er-Jahre in dem Sinne unpolitisch, dass sie vor allem Klassenunterschiede facettenreich porträtierten, nicht aber anprangerten. Erst mit den Alben „The Rising“ (2002), „Magic“ (2007) und „Wrecking Ball“ (2012), so der australische Medienwissenschaftler Ian Collinson provokant, vollzieht Springsteen die Wende vom „aligned“ zum „committed artist“, vom angepassten zum engagierten Künstler.3) Zeichnen sich viele Songs von Springsteen mit ihren „working class heroes“ durch einen romantischen Individualismus aus, in denen die Protagonisten wie soziale Barometer der amerikanischen Gesellschaft fungieren, fehlt es diesen laut Collinson im marxschen Sinne an Klassenbewusstsein.

Auch American Skin ist kein Song, der zum offenen Widerstand oder zur aktiven Bekämpfung des strukturellen Rassismus auffordert. Seine Kraft zieht der Song aus der dramatischen Komposition, den beschwörenden Wiederholungen und der so simplen wie eingängigen Formulierung, dass man als Amerikaner wegen seiner amerikanischen Haut erschossen werden kann. Das kontroverse Potenzial des Songs liegt vielmehr in der Andeutung, dass die tragische Ermordung eines afrikanischen Einwanderers in das „land of hope and glory“ kein Zufall oder Versehen war, sondern Resultat eines strukturellen Rassismus, der tief in wie Wahrnehmungs- und Handlungsmuster weißer Amerikaner eingeschrieben ist. „Is it in your heart, is it in your eyes?“ Rassismus reicht tiefer als die Hautfarbe, aber an ebendieser äußern sich schicksalhaft Zugehörigkeit und Privilegien.

„Nach dem Vorfall fange ich an zu überlegen. ‚Okay, Haut. Haut ist gleich Schicksal‘, und was es für ein Privileg ist, zu vergessen, dass du in einem bestimmten Körper lebst. Weiße Menschen können das. Schwarze nicht.“4) In dem spannenden Gesprächsband zwischen Bruce Springsteen und Barack Obama The Renegades. Born in the USA aus dem Jahr 2021 äußert sich Springsteen erstmals an zahlreichen Stellen explizit zum Problem des strukturellen Rassismus in den USA und dazu, wie schwer es ihm immer gefallen sei, dieses Thema anzugehen. „Man muss über die Dekonstruktion des Mythos vom ‚Melting Pot‘ sprechen. Man muss zugeben, dass ein großer Teil unserer Geschichte von Plünderungen, Gewalt und Manipulationen gegen People of Color bestimmt war. Wir schämen uns für unsere kollektive Schuld. Wir müssten zugeben und betrauern, was getan wurde. Wir müssten unsere eigene tägliche Komplizenschaft anerkennen und dass wir mit der Geschichte des Rassismus verknüpft sind.“5) Es ist bezeichnend, dass Springsteen auch 2021 hauptsächlich im Konjunktiv spricht.

Der überaus lesenswerte Gedankenaustausch zwischen Bruce Springsteen und Barack Obama macht deutlich, wie leidenschaftlich beide am „American Dream“ festhalten möchten, obwohl sie sich seiner Fiktionalität und Unerfülltheit bewusst sind: „Ich bin nicht bereit, und ich weiß, du bist es auch nicht, das Ideal aufzugeben“, so Obama, „denn das Ideal ist es wert. Doch das Ideal, dieses perfekte Zusammenleben, ist weit entfernt von der Realität.“6) Gleiches ließe sich wohl über die luxemburgische Meistererzählung der gelungenen Immigration und Integration sagen. Die verschiedenen Wellen der Arbeitsmigration nach Luxemburg seit Ende des 19. Jahrhunderts verliefen alles andere als spannungsfrei, auch wenn sich der Mythos der schnellen und erfolgreichen Integration von Italienern und Portugiesen bis heute hält. Das Minett ist ohne Zweifel ein „melting pot“ der besonderen Art – aber bis heute lässt sich wohl kaum von einer Verschmelzung unterschiedlicher Traditionen und kultureller Identitäten im Sinne eines „luxemburgischen Wohlstandstraums“ reden. „I’ve spent my life judging the distance between American reality and the American dream“, so Springsteen in einem Guardian-Interview vom Februar 2012.7) Die Träume und Realitäten der Menschen im Minett scheinen auch heute noch recht weit auseinander zu liegen. Und deshalb werden Springsteen-Songs wohl auch in Zukunft nichts von ihrer Aktualität verlieren.

PS: Alle vier Polizisten wurden angeklagt – und im Februar 2000 von einer mehrheitlich weißen Jury freigesprochen. Die „Street Crime Unit“ wurde 2002 von der New Yorker Polizeibehörde aufgelöst.

1) Ausführlich hierzu Christopher, Renny, „Springsteen, Diallo, and the NYC Police: An Intersection of Race, Gender, and Class.“ Race, Gender & Class, vol. 9 (2002) no. 3, S. 159-174.

2) Zur Inszenierung der „interracial friendship“ zwischen Bruce Springsteen und Clarence Clemons, siehe Stow, Simon, „American Skin: Bruce Springsteen, Danielle Alley and the Politics of Interracial Friendship.“ American Political Thought, vol. 6 (2017), S. 294-316.

3) Collinson, Ian, „A Land of Hope and Dreams? Bruce Springsteen and America’s Political Landscape from The Rising to Wrecking Ball.“ Social Alternatives, vol. 33 (2014) no. 1, S. 67-72.

4) Bruce Springsteen, Barack Obama, Renegades. Born in the USA. Träume, Mythen, Musik. Penguin: New York, S. 168.

5) Ebenda, S. 44.

6) Ebenda, S. 164.

7) https://www.theguardian.com/music/2012/feb/17/bruce-springsteen-wrecking-ball

Zum Autor

Andreas Fickers (*1971) ist seit 2013 Professor für Contemporary and Digital History an der Universität Luxemburg, wo er auch seit 2017 das Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) leitet. Nach einem Studium der Geschichte, Philosophie und Soziologie und der Promotion in Technikgeschichte an der RWTH Aachen University war er von 2003 bis 2007 Assistant Professor for Television History an der Universität Utrecht und anschließend Associate Professor für vergleichende Mediengeschichte an der Universität Maastricht. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft, insbesondere der Digital History, sowie der Technik- und Mediengeschichte, der transnationalen und europäischen Geschichte und der Material and Cultural Studies. Gegenwärtig beschäftigt er sich vor allem mit Fragen der digitalen Hermeneutik in den Geisteswissenschaften.

„This Hard Minett Land“ – Das Buch

Bald ist es so weit: Seit März haben das Tageblatt, das Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C²DH) und capybarabooks die LeserInnen jeden Freitag zu einer besonderen Entdeckungsreise durch Luxemburgs Süden eingeladen: Rund vierzig SchriftstellerInnen und HistorikerInnen ließen sich von Bruce Springsteens Songs inspirieren und schrieben Texte über das luxemburgisch-lothringische Eisenerzbecken, „de Minett“, sowie über diejenigen, die dort leben und gelebt haben. Begleitet wurden und werden die Texte in deutscher, englischer, französischer und luxemburgischer Sprache von Illustrationen des Luxemburger Künstlers Dan Altmann. Im November erscheinen sie versammelt in Buchform bei capybarabooks. Bestellen Sie jetzt! „This Hard Minett Land“ wird Ihnen dann sofort bei Erscheinen versandkostenfrei zugeschickt.

Susanne Jaspers & Denis Scuto (Hg./dir.)
This Hard Minett Land
Mit Illustrationen von Dan Altmann
ca. 256 Seiten
20 x 12 cm, Klappenbroschur
25,00 Euro
Erscheint im November 2022