Die Erwartungen der Sozialpartner an die „Versammlung“ mit der Regierung am Mittwoch um 15 Uhr im Staatsministerium sind hoch. Der Ausgang ist freilich ungewiss, doch der CSV-Premier hat den Forderungen des vor drei Wochen von einer informellen Gewerkschaftsfront zu einer formalisierten „Union des syndicats“ mutierten Bündnisses von OGBL und LCGB vergangene Woche zum größten Teil nachgegeben. Ursprünglich wollte Luc Frieden am 9. Juli nur über Rentenreform und Sozialdialog diskutieren. Dem Tageblatt hatte er vor einer Woche noch erklärt, „eine einseitige Vorfestlegung von Bedingungen durch einzelne Gesprächspartner“ erschwere die „Dialogbereitschaft aller Seiten“. Der politische Druck auf den durch schlechte Umfragewerte geschwächten Regierungschef ist nach der erfolgreichen gewerkschaftlichen Großkundgebung vom 28. Juni deutlich gestiegen. Auch innerhalb seiner eigenen Partei, nachdem der Bettemburger „député-maire“ Laurent Zeimet sich vergangene Woche öffentlich hinter den bis dahin in der CSV eher als Einzelkämpfer agierenden Fraktionspräsidenten Marc Spautz gestellt hat. Die auf den 1. Juli datierte Tagesordnung, die das Staatsministerium vergangene Woche an die Gewerkschaften verschickte, wurde nun um die Themen Kollektivverträge, Sonntagsarbeit und Öffnungszeiten im Einzelhandel, Mindestlohn und Arbeitszeitorganisation erweitert. Erst daraufhin haben OGBL und LCGB diese Woche ihre Teilnahme an der Versammlung bestätigt.
„Gesamtpaket“
Über Arbeitszeitorganisation zu diskutieren, war keine Forderung der Gewerkschaften. Es war der Arbeitgeberdachverband UEL, der in den vergangenen Monaten wiederholt verlangt hatte, die Organisation von Arbeits- und Ruhezeiten sowie Pausen künftig nicht mehr in Kollektivverträgen zu regeln. Weil die Anforderungen an die Arbeitszeitorganisation je nach Betrieb sehr unterschiedlich sein könnten, will die UEL deren „Feingliedrigkeit“ in Betriebsvereinbarungen zwischen Unternehmensleitung und Personaldelegation – ohne Beteiligung der Gewerkschaften – verhandeln. Auf der Suche nach Kompromissen zwischen den festgefahrenen Positionen der Sozialpartner hatte Marc Spautz mehmals Einigungen im Rahmen eines „Gesamtpakets“ vorgeschlagen, das von der Sonntagsarbeit und den Ladenöffnungszeiten über die Arbeitszeitorganisation bis hin zu den Kollektivverträgen reiche. Nachdem der frühere Handelskammerpräsident lange Zeit stur und einseitig die Position des Patronats verteidigt hatte, hat Luc Frieden dem Vorschlag des früheren LCGB-Generalsekretärs Marc Spautz nun nachgegeben.
Die Arbeitszeitorganisation hat 2016 den „Index“ als zentralen Streitpunkt zwischen den Sozialpartnern abgelöst. Noch 2010 und 2011, während der Finanz- und Wirtschaftskrise, scheiterten die Tripartiten vor allem an der von CSV und LSAP beschlossenen Aussetzung der Index-Anpassung und an anderen vom damaligen CSV-Finanzminister Luc Frieden gewollten Sparmaßnahmen. Strukturelle Veränderungen des Index-Systems („gedeckelten Index“) und Lohnkürzungen konnten auch dank der Regierungsbeteiligung der LSAP abgewendet werden. Schon im April 2009 hatten sämtliche Gewerkschaften Luxemburgs sich an einer nationalen Demonstration unter dem Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise“ beteiligt. Insbesondere die fehlgeschlagene Tripartite von 2011 hatte neben dem Geheimdienstskandal maßgeblich dazu beigetragen, dass die CSV die vorgezogenen Neuwahlen von 2013 zugunsten der DP verlor und Luc Friedens Traum, Jean-Claude Juncker als Premierminister zu beerben, platzte. Die Dreierkoalition aus DP, LSAP und Grünen stellte das System der automatischen Lohnindexierung 2015 wieder her. Seitdem stand es nur noch selten zur Debatte, im Kammerwahlkampf 2023 bekannten sich sämtliche Parteien unmissverständlich zum „Index“.
Nach 2011 galt das Luxemburger Modell des Sozialdialogs einstweilen als gestorben. Am 8. Mai 2012 stellte der damalige Noch-CSV-Premier Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Nation fest: „De sozialen Dialog erfreet sech de Moment zu Lëtzebuerg net där beschter Gesondheet.“ Das Patronat rief er dazu auf, den Sozialdialog wieder ernst zu nehmen, von den Gewerkschaften forderte er, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
CPTE
Anderthalb Jahre später erzählte sein einst designierter Nachfolger nach dem Regierungswechsel bei einem Vortrag im „Institut grand-ducal“, die klassischen demokratischen Mechanismen und die Tripartite hätten nicht zu den notwendigen Ergebnissen geführt, um die Wirtschaftsmaschinerie anzukurbeln und die öffentlichen Finanzen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Junckers tatsächlicher DP-Nachfolger Xavier Bettel mied in seiner ersten Legislaturperiode als Premier die Tripartite wie der Teufel das Weihwasser. Erst während der Corona-Seuche entdeckte er das Kriseninstrument neu und konnte es nach ersten Anlaufschwierigkeiten schließlich zu seinen Gunsten nutzen.
Zwischen 2013 und 2020 spielte der Sozialdialog sich vor allem im ständigen Beschäftigungsausschuss CPTE ab. Das Gremium wurde 2007 von CSV-Arbeitsminister François Biltgen im Zuge der ITM-Reform geschaffen, um mit den Sozialpartnern über Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu beraten. Die sukzessiven LSAP-Arbeitsminister Nicolas Schmit (2009 bis 2018), Dan Kersch (2018 bis 2022) und Georges Engel (2022 bis 2023) nutzten das CPTE auch, um mit Patronat und Gewerkschaften über arbeitsrechtliche und arbeitspolitische Themen zu diskutieren. Das Patronat am meisten daran gestört hat, dass Nicolas Schmit 2016 im CPTE die Reform des Nationalen Beschäftigungsplans (PAN) von 1998 gegen ihren Willen „durchsetzte“. Schmit wollte vor allem die Arbeitszeitorganisation neu regeln: Die Referenzperiode, in der die gesetzlich festgelegte Arbeitszeit an einzelnen Tagen und in einzelnen Wochen im Rahmen von Arbeitsorganisationsplänen (POT) oder Gleitzeit überschritten werden darf, wurde von einem auf vier Monate erhöht. Noch längere Referenzperioden können nur durch eine Genehmigung des Arbeitsministers (bis zu sechs Monate) oder im Rahmen von Kollektivverträgen (bis zu zwölf Monate) vereinbart werden. Als Kompensation für die Beschäftigten wurden bis zu dreieinhalb zusätzliche Urlaubstage eingeführt (bis zu sechs zusätzliche Tage, wenn die wöchentlichen Mindestruhezeiten von 44 aufeinanderfolgenden Stunden nicht eingehalten werden können).
PAN-Gesetz
Für das Patronat war Schmits Reform des PAN-Gesetzes eine politische Niederlage, die es bis heute nicht verkraftet hat. 2019 stellte der damalige UEL-Präsident Nicolas Buck die Funktionsweise des CPTE grundsätzlich in Frage, weil die Arbeitgeber dort 40 Jahre „gebiischt“ worden seien, wie er Mitte November 2019 dem Lëtzebuerger Land erzählte. Zwei Wochen später sagte Buck dem Wort, er habe diese Schlussfolgerung vor allem wegen des Ablaufs der „Verhandlungen um das PAN-Gesetz von 2016 zur Arbeitszeitorganisation“ gezogen. Ein Jahr später trat er als UEL-Präsident ab und überließ Michel Reckinger den Vorsitz. Der frühere Handwerkerverbandspräsident hatte sich vor zehn Jahren am heftigsten über die PAN-Reform geärgert und dem OGBL die Hauptschuld dafür gegeben. Im Mai 2016 warf er der Gewerkschaft im RTL-Radio vor, ein „Brandstëfter“ zu sein, der „gär Sträit an de Betriber“ möchte, damit er Entscheidungen auf nationaler Ebene treffen könne. Reckinger forderte, dass die Arbeitszeitorganisation flexibel zwischen Betriebsleitung und Personaldelegation statt mit den Gewerkschaften vereinbart werden soll, was der OGBL im Gegensatz zum LCGB jedoch ablehne.
Reckingers Erzählung hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert. Bei den LSAP-Arbeitsministern Schmit, Kersch und Engel stieß er damit auf taube Ohren. Luc Frieden hat Reckingers Forderungen vor zwei Jahren in das Koalitionsabkommen der CSV-DP-Regierung aufgenommen. Allerdings sind diese Passagen derart vage formuliert, dass sie auch anders ausgelegt werden können, als die UEL es sich vorstellt. Vermutlich trägt daran Marc Spautz die Schuld, der das Regierungsprogramm für die CSV mit ausarbeitete.
Was sich gegenüber 2016 verändert hat, ist, dass LCGB und OGBL näher zusammengerückt sind und inzwischen auch in Fragen der Arbeitszeitorganisation gemeinsame Positionen vertreten. Bei der „Versammlung“ zwischen Regierung und Sozialpartnern am Mittwoch dürfte neben der Rentenreform demnach vor allem über Referenzperioden und Kollektivverträge diskutiert werden.
De Maart

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