
Die Aufgabenstellung ist von Anfang an klar. Dafür sorgt die ehemalige Mathelehrerin und aktuelle Ministerin für soziale Sicherheit Martine Deprez (CSV). Zum ersten Mal soll das Parlament an diesem Mittwoch über eine mögliche Reform des luxemburgischen Rentensystems debattieren. Damit diese Diskussion fruchtbar verläuft, gibt Deprez am Morgen einfach die Fragen vor, auf die sie im Lauf des Tages gerne eine Antwort haben möchte. „Wie stehen die Parteien zu den Schlüsselstellen des Systems?“, steht also über der Aufgabenstellung an die Abgeordneten. Beiträge, Renteneintrittsalter, Pensionsniveau, Anrechnung von Arbeitsjahren, Verhältnis von Privatwirtschaft und Staatsbeamten.
Ob die am Mittwoch erledigten Hausaufgaben tatsächlich in einer großen Rentenreform gipfeln, ließ Ministerin Deprez offen. Es könnten auch andere Wege als nur gesetzliche Maßnahmen eingeschlagen werden.
CSV stellt Wachstumsfrage
Eine Frage, die sich vorab stellte: Wie wird sich die Regierungspartei CSV, die Partei von Ministerin Martine Deprez und Premier Luc Frieden, in der Rentendebatte positionieren? Wird sie dem noch laufenden Konsultationsprozess vorgreifen und in medias res gehen? Eigene Pläne und Ideen vorstellen? Die Rede des Abgeordneten Alex Donnersbach ist an diesem Tag tatsächlich erfrischend konkret. Er schlägt gleich einmal ein paar Pfähle ein: Eine Erhöhung der Rentenbeiträge sei für die CSV das wirklich „allerletzte Mittel“, um das Pensionssystem für die Zukunft abzusichern, so Donnersbach. Zu hoch sei die Belastung für Unternehmen und Privatpersonen. Die CSV sieht auch keine Notwendigkeit, das gesetzliche Renteneintrittsalter zu erhöhen. Vielmehr sollte die Regierung mit finanziellen Anreizen dafür sorgen, dass das effektive Renteneintrittsalter (durchschnittlich 60 Jahre) näher an das gesetzliche Alter von 65 Jahren heranrückt. Donnersbach fordert in diesem Kontext auch flexiblere Lösungen und neue Modelle für einen schrittweisen Ausstieg aus dem Arbeitsleben.
Ass sou vill Wuesstum iwwerhaapt gewollt?
Um das Pensionssystem in seiner aktuellen Konfiguration abzusichern, bräuchte es jedes Jahr 18.000 neue Arbeitsplätze. Donnersbach macht deutlich: Das gibt das aktuelle Wirtschaftswachstum nicht her – und stellt eine grundsätzliche Wachstumsfrage: „Ass sou vill Wuesstum iwwerhaapt gewollt?“ Eine Aussage, die immerhin auch den anwesenden Premierminister Luc Frieden aufblicken ließ. Weniger überraschend positioniert sich die CSV im Verhältnis zwischen den Pensionssystemen in Privatwirtschaft und bei den Staatsbeamten. Mit den Christsozialen wird es keine zeitnahe Zusammenlegung des „régime général“ und den „régimes spéciaux“ geben. Man werde den Leuten nichts wegnehmen, sagt Donnersbach. Er erinnert daran, dass das System für Staatsbeamte vor 1999 sowieso auslaufen wird. Ab dem Jahr 2040 wird wohl der letzte Angestellte im öffentlichen Dienst auf Grundlage des früheren Berechnungsschlüssels in Rente gehen. Angesichts des neuen Berechnungsschlüssels (nach 1999) sieht Donnersbach keinen Handlungsbedarf für eine Harmonisierung, da die beiden Systeme bis auf den Beitragsdeckel „faktisch gleich“ seien.
DP will mehr und weniger Staat
Die DP ist die bisher große Abwesende in der Rentendebatte gewesen. Musste sich Ministerin Deprez vom Koalitionspartner CSV mit der Kritik von Opposition und Zivilgesellschaft rumschlagen, hielten sich die Liberalen bisher auffällig zurück. Demnach stellt sich auch hier die Frage: Wie gelingt der Drahtseilakt, eigene Ideen einzubringen, ohne den Koalitionspartner möglicherweise vor den Kopf zu stoßen oder der Konsultationsdebatte vorzugreifen? Die Antwort lieferte der DP-Abgeordnete Gérard SchockmeI, indem vor allem rote Linien der DP aufgelistet wurden. Eine Erhöhung der Rentenbeiträge solle laut DP „vermieden“ werden, beim Aufheben der Rentenbeitragsdeckelung melden die Liberalen „Bedenken“ an. Das legale Renteneintrittsalter soll ebenfalls nicht erhöht werden – wie das reale Renteneintrittsalter dem legalen Rentenalter angenähert werden kann, darüber „müsse man sich Gedanken machen“. Die DP sieht vor allem bei einem progressiven Renteneintritt „großes Potenzial.“

Forderungen lieferte die DP vor allem für Anpassungen der zweiten und dritten Säule. Die DP bringt einen staatlichen Fonds ins Spiel, der anhand einer harmonisierten Investitionsstrategie eine große Sicherheit schaffen soll und bei dem die Rendite den Rentnern zugutekommen soll. „Und auch der Staat kann notfalls direkt intervenieren“, sagt Schockmel. Gleichzeitig meint Schockmel jedoch auch, dass die Verwaltungskosten der CNAP nicht unbedingt übers staatliche Budget laufen sollten. „Man sollte sich nicht zu viel auf den Staat verlassen.“
Neue Einnahmen fürs Rentensystem will die DP nur dann prüfen, wenn die Wirtschaft nicht zu stark belastet werde. Eine allgemeine Erhöhung der Mindestrente lehnen die Liberalen ab, wollen allerdings beim „conjoint aidant“ den Beitragsdeckel von zwei auf fünfmal den Mindestlohn anheben.
LSAP: Mehr Einnahmen für die erste Säule

Als erste Oppositionsrednerin trat am Mittwoch LSAP-Fraktionspräsidentin Taina Bofferding ans Rednerpult. Die Abgeordnete hatte schon in den vergangenen Monaten scharfe Kritik an der bisher geführten Rentendebatte geübt und erneuerte diese am Mittwoch in der Chamber. Dass Fragen auf Antworten der Abgeordneten und für die Debatte relevante Daten den Abgeordneten erst am Dienstag zugestellt wurden, keine 24 Stunden vor der Debatte, bezeichnete Bofferding als „Respektlosigkeit vor der ersten Macht im Land.“
Die LSAP sieht vor allem Investments in die erste Säule als Priorität einer künftigen Rentenreform. Die Mindestrente will die LSAP mit Verweis aufs Referenzbudget um 300 Euro erhöhen. An den Stellschrauben des „ajustement“ und der „allocation de fin d’année“ will die LSAP nur im äußersten Notfall drehen. Die zweite und dritte Säule als ernsthafte Alternative zur Rente sei „Augenwischerei“. Auch die LSAP spricht sich für die Möglichkeit eines graduellen Übergangs vom Arbeitsleben in die Rente aus, will dafür auch die „anti-cumul“- Regeln für die Frührente etwas auflockern.
In der grundsätzlichen Frage, ob das Rentensystem ein Einnahmen- oder Ausgabenproblem hat, stellt sich die LSAP klar auf die Seite der Arbeitnehmer. „Es ist wichtig, nach weiteren Finanzierungsquellen zu suchen“, sagt Bofferding und bringt die in den Reihen der LSAP bereits längerem kursierende Idee einer Robotersteuer ins Spiel. Den Rentenbeitragsdeckel im Privaten aufzuheben, ohne unbedingt ein Mehr an Renten auszuschütten, bezeichnet die LSAP-Fraktionspräsidentin als „sympathische“ Idee, wenngleich sie mögliche juristische Unwägbarkeiten zu bedenken gibt. Die LSAP schließt sich zudem dem Urteil des Wirtschafts- und Sozialrates (CES) an, der in seinem Gutachten vorgeschlagen hatte, die administrativen Kosten der CNAP übers staatliche Budget abzurechnen. Dem Gender Pension Gap wollen die Sozialisten mit einem Splitting und ggf. einer Individualisierung der Rentenanrechte beikommen. Beispielmodelle, so Bofferding, gebe es in den skandinavischen Ländern zur Genüge.
ADR will Renteneintrittsalter erhöhen
Alexandra Schoos will mit ihrer Rede an diesem Tag daran erinnern, dass das R in ADR einst für Rentengerechtigkeit stand. Ihre Partei, die ehemalige Ein-Thema-Rentenpartei, hatte als einzige eine Reform des Rentensystems im Wahlprogramm zur letzten Parlamentswahl gefordert. Am Rednerpult der Chamber beweist Schoos jedoch zunächst einmal, dass die ADR heute eine andere Art von Ein-Thema-Partei ist: Rentenmauer, demografische Wachstumskrise, gesellschaftliche Kollateralschäden durch importierte Arbeitskräfte, soziale Spannungen durch ein erhöhtes Verteidigungsbudget … in der Analyse des Status quo soweit eine klassische ADR-Rede. Schoos findet dann aber auch den Bogen zu konkreten Positionen: Die ADR ist dafür, das Übergangssystem bei den Staatsbeamten wie geplant auslaufen zu lassen. Die Mindestrente soll automatisch an die Armutsgrenze angepasst werden, Studienjahre (genauer: ein Studium in Regelstudienzeit) sollen unabhängig vom Alter angerechnet werden können (nicht nur bis 27) und keine obligatorische Pension für Freiberufler mit 65 Jahren, sondern die Möglichkeit, weiter in die Rentenkasse einzahlen zu können.

Um die „Rentenmauer“ kurzfristig weiter nach hinten zu verschieben und damit Zeit zu kaufen, hat die ADR einen Vorschlag: Das vorgezogene Renteneintrittsalter soll über zwölf Jahre um ein Jahr erhöht werden, d.h. jedes Jahr um einen Monat. Gleichzeitig sollen die Beiträge steigen: ein Prozent über zehn Jahre, d.h. 0,1 Prozent pro Jahr, sodass man 2036 bei einem Beitrag von neun Prozent läge. Langfristig sieht die ADR jedoch vor allem bei der zweiten und dritten Säule des Rentensystems Verbesserungspotenzial. „Die kapitalgedeckte Absicherung wurde vernachlässigt“, sagt Schoos. Die ADR fordert steuerfreie Beiträge für betriebliche Zusatzversicherungen und mehr Flexibilität bei den steuerlich absetzbaren Beträgen der privaten Vorsorge.
„Alle Vorschläge sind limitiert“, räumt Schoos am Ende selbst ein. Man müsse „out of the box“ denken, „die demografische Wachstumsfalle braucht langfristig unkonventionelle Lösungen“. Der „unkonventionelle“ Vorschlag der ADR: ein staatlich kontrollierter und garantierter Fonds, in den das Kapital aus der zweiten und dritten Säule einfließt und der die Zinsen als Rente auszahlt. Die Besonderheit: Die Einzahler bleiben Besitzer des Kapitals. Zwar können sie dieses nicht aus dem Fonds herausziehen, wohl aber vererben oder verschenken. Eine Rente zum Erben, sozusagen.
„déi gréng“ fordern mehr Transparenz für alle

Die Grünen fordern eine klare Annäherung des öffentlichen und privaten Rentensystemes. Jahr für Jahr zahle die Regierung Millionen Euro in eine Black Box ein – ein Rentenfonds, um das öffentliche Rentensystem transparenter zu gestalten, biete sich an. Damit könnten beide Systeme einander „angenähert“ werden. Oberste Priorität für die Grünen hat aber der Erhalt des Umlageverfahrens, Studien- und Babyjahre sollen weiterhin angerechnet werden. Jedoch fordert Djuna Bernard, dass die Studienjahre nach dem Konzept des Life Long Learning nicht nur bis zum Alter von 27 Jahren angerechnet werden können, sondern auch später in der Karriere. Um das Handwerk aufzuwerten, wollen die Grünen einen Rentenbonus für alle jene einführen, die ihre Ausbildung oder Arbeit zwischen dem 16. und dem 20. Lebensjahr begonnen haben. Auch soll die Mindestrente nach Vorstellung der Grünen um 400 Euro angehoben werden.
Zur Finanzierung wollen die Grünen ähnlich der LSAP neue Finanzmodelle implementieren. „Eine Finanztransaktionssteuer oder die Besteuerung hoher Kapitalgewinne können garantieren, dass die Finanzwirtschaft ihren Beitrag zum sozialen Frieden liefert“, sagt Bernard. Ein nationaler Investmentfonds, dessen Renditen in die Pensionskasse fließen, sei eine weitere Möglichkeit. Somit werde nicht nur die Arbeit, sondern auch Kapital entsprechend in die Rentenabsicherung eingebunden. Eine Erhöhung der Rentenbeiträge sehen die Grünen nicht als nachhaltige Absicherung und stützen sich dabei auf Berechnungen der IGSS. Ein Abschaffen des Rentenbeitragsdeckels ohne entsprechende Gegenleistung sehen die Grünen kritisch. Stattdessen schlägt Bernard Beitragszahlungen auf Überstunden und eine soziale Staffelung der „allocation de fin d’année“ vor. Ein ähnliches Vorgehen können sich die Grünen auch beim „ajustement“ vorstellen.
Piraten „rauchen für die Rente“
Keiner mag neue Steuern, aber keiner will bei der Rente verzichten
Für die Piraten ist klar: Eine Reform des Pensionssystems muss an allen drei Säulen ansetzen. Doch zunächst zieht Redner Sven Clement die roten Linien seiner Partei. Eine Kürzung aktueller Pensionen sei keine Option, ebenso müssten die Studienjahre weiterhin angerechnet werden können und die Mindestrente erhöht. Auch die Piraten präsentieren in der Chamber an diesem Tag kurzfristige und langfristige Anpassungen am bestehenden System. So setze man sich auch für ein progressives Renteneintrittsalter ein, damit „das Know-how den Betrieben länger erhalten bleibt“, so Clement. Langfristig jedoch, so der Piraten-Abgeordnete, führe kein Weg an neuen Einnahmen für die Rentenkasse vorbei. „Keiner mag neue Steuern, aber keiner will bei der Rente verzichten“, sagt Clement. Er sieht die beste Möglichkeit in erhöhten Beiträge vom Staat (mehr als die aktuellen acht Prozent).

Doch woher soll dieses Geld kommen? Clement hat gleich mehrere Vorschläge: eine Vignette für Luxemburgs Autobahnen (einhergehend mit einer Entlastung bei der Kfz-Steuer für die Luxemburger, sodass nur die Durchreisenden zahlen müssen), eine Robotersteuer, eine Steuer auf ungesunden Lebensmitteln (Fett, Zucker, Fertigprodukte) sowie höhere Steuern auf Alkohol und Zigaretten. Nach „Rauchen fürs Budget“ nun also „Rauchen für das Rentensystem“. Auch bei den Pensionen des öffentlichen Sektors sieht Clement Handlungsbedarf. Hier müsse der Staat analog zum privatwirtschaftlichen Sektor Reserven anlegen. Für die zweite und dritte Säule des Pensionssystems fordern die Piraten Öffnungen. Das Angebot einer betrieblichen Zusatzpension, das bislang nur für große Betriebe möglich sei, solle auch auf Unternehmen mit weniger Personal erweitert werden. Private Zusatzversicherer sollten, so Clement, auch in börsengehandelte Fonds investieren dürfen – die Leute also selbst entscheiden, welches Risiko sie bei der Altersvorsorge eingehen möchten.
„déi Lénk“ rechnen vor
Marc Baum sieht die Positionen von „déi Lénk“ als letzter Redner der ersten Diskussionsrunde in der Chamber bestätigt. Keine Partei habe – auch nach der Debatte am Mittwoch – konkrete Vorschläge zur Rentenreform vorgelegt, so Baum. Richtiger wäre wohl gewesen: Keine andere Partei hat ihre Vorschläge zur Rentenreform mit durchgerechnet und konkrete Zahlen vorgelegt. Anders „déi Lénk“: Eine Milliarde Euro könnten laut „déi Lénk“ mit ihren Maßnahmen kurz und mittelfristig fürs Rentensystem gesichert werden. Der Beitragsdeckel (liegt derzeit beim Fünffachen des Mindestlohnes, rund 13.000 Euro) soll ohne Anrecht auf mehr Leistungen aufgehoben werden – und das gleiche System auch in der Altersvorsorge für Staatsbeamten eingeführt werden. „Damit werden mehr Einnahmen, jedoch nicht mehr Ausgaben für die Rentenkasse generiert“, sagt Baum. „Sekundarschullehrer (Karriere A1) wären davon nicht betroffen, Abgeordnete und Minister würden jedoch darunter ‚leiden’.“ Administrative Kosten sollten aus der Rentenkasse ausgegliedert werden, für Überstunden und Praktika sollte die Möglichkeit bestehen, Beitragszahlungen leisten zu können.
Sollte das Gleichgewicht mit den vorgeschlagenen Maßnahmen mittelfristig nicht hergestellt werden können, schlagen „déi Lénk“ eine Beitragserhöhung von acht auf neun Prozent vor. „Laut IGSS kann die Rentenmauer somit bis in die 50er, Anfang 60er Jahre verrückt werden“, sagt Baum. Ein Datum, das den Zeitrahmen für verlässliche Prognosen bereits übersteige. Zudem fordern „déi Lénk“ eine Rückwicklung der Reform von 2012, in der Mechanismen zum Aussetzen des „ajustement“ und der „allocation de fin d’année“ – „eng antisozial Féckmillchen“ – festgeschrieben wurden.

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De Maart
Ich bin kein Mitglied der Linken,, aber in diesser Debatte sind die Linke die Einzigen die eine seriösen Alternative vorschlagen!!