„Ein paar fehlen uns noch“, sagt Berghammer, ein Bewohner des Mühlviertels, einer Gegend in Oberösterreich nördlich der Donau, und eine Figur aus dem Film „Hasenjagd – vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen“. Der Streifen aus dem Jahr 1994 von Regisseur Andreas Gruber handelt von der „Mühlviertler Hasenjagd“ und von der größten Ausbruchsaktion aus einem Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg.
Der Film beschreibt den Fluchtversuch von etwa 500 sowjetischen Offizieren aus dem KZ in Mauthausen im Februar 1945. Sie sind sogenannte „K“-Häftlinge des Blocks 20. Sie sollen ermordet werden. Der Ausbruch ist ihre einzige Überlebenschance. Unter anderem mit Pflastersteinen und Feuerlöschern greifen sie die Wachtürme an. Sie werfen nasse Decken über den elektrisch geladenen Stacheldraht. Der dadurch herbeigeführte Kurzschluss ermöglicht es ihnen, die Lagermauer zu überwinden. Doch viele brechen schon nach ein paar Metern erschöpft zusammen oder sterben im Kugelhagel des Wachpersonals.
Eine umfassende Fahndungsaktion beginnt, an der sich auch Zivilisten aus der lokalen Bevölkerung des Mühlviertels beteiligten. „Mühlviertler Hasenjagd“ wird die Such- und Mordaktion später genannt. Auch die Filmfigur Berghammer nimmt daran teil und verpfeift eine Familie, die einem Geflüchteten Zuflucht gegeben hat. Vermutlich haben nur elf von ihnen überlebt, die auf diese Weise Schutz fanden. „Bewundernswerte Abweichungen, bei denen vor allem Bäuerinnen eine Rolle spielten“, sagt Perz. Der 67-Jährige hat sich als Dozent für Zeitgeschichte an der Universität Wien einen Namen gemacht, ebenso unter anderem als stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien“. Er ist auf Einladung von Guy Dockendorf nach Luxemburg gekommen, dem Präsidenten des „Comité international de Mauthausen“ (CIM), dessen Vater Metty Dockendorf in den Lagern Hinzert, Mauthausen, Melk und Ebensee interniert war. Schirmherrschaft des Vortrags hat die österreichische Botschaft.
Ort der Erinnerung
Mauthausen ist heute eine KZ-Gedenkstätte und ein internationaler Ort der Erinnerung und der politischen Bildung. Einst war das Konzentrationslager der Mittelpunkt eines Systems der politischen, sozialen und rassistischen Verfolgung, ein Ort des Todes, an dem mindestens 90.000 von insgesamt etwa 190.000 inhaftierten Personen getötet wurden. Schätzungsweise 176 Luxemburger wurden nach Mauthausen und in seine zahlreichen Nebenlager deportiert, 62 von ihnen sahen ihre Heimat nicht mehr wieder.
Bertrand Perz erinnert sich, wie er 1981 als Student nach Luxemburg kam, um mit ehemaligen Insassen von Mauthausen oder einem der Außenlager zu sprechen. „Es waren unsere ersten Interviews mit ehemaligen KZ-Häftlingen“, sagt er. „Ich wusste nicht, was mich erwartete, und ich hatte auch keine Kenntnisse davon, wie man mit Menschen spricht, die eine solche Gewalterfahrung gemacht hatten. Dabei kam ich aus einem Land, in dem diese Konzentrationslager standen. Ich kam aus einem Täterland.“
Die akademische Forschung zu den Konzentrationslagern sei damals noch in ihren Anfängen gewesen. Perz schildert, wie es zur Befreiung des Lagers kam: Österreich war von den alliierten Truppen besetzt. Der 5. Mai vor 80 Jahren war ein Samstag. „Eine amerikanische Einheit befand sich in Mauthausen“, so der Historiker. „Gegen die Mittagszeit kamen zwei Panzerspähwagen zum Lager. Deren Ankunft gilt heute als Zeitpunkt der Befreiung des Lagers.“
Vier Phasen des Massenmords
Nach Perz’ Worten lässt sich Mauthausen in vier Phasen einteilen: „Die erste Phase reicht von der Errichtung des Lagers im August 1938 bis zum Kriegsbeginn. Am 29. März 1938 verkündete Gauleiter August Eigruber, dass Oberösterreich eine Auszeichnung erhalten habe: ein Lager für Volksverräter aus ganz Österreich. Doch die ursprüngliche Konzeption des Lagers wurde nach Kriegsbeginn fast vollständig aufgegeben. Mauthausen wurde ein Lager für Gefangene aus den besetzten Ländern. Österreicher bildeten nur eine Minderheit unter den Insassen. Die SS verfolgte seit 1937 ein Konzept, KZ-Haft mit gezielter Arbeitsausbeutung zu verknüpfen. Man konzentrierte sich auf den personalintensiven Baustoffsektor. Aufgrund der Aufrüstung herrschte dort Personalmangel.“
Die an der Donau gelegene Ortschaft war seit Ende des 18. Jahrhunderts zu einem Zentrum der Granitsteingewinnung geworden, man konnte von dort aus per Schiff die Steine transportieren. Die Stadt Wien hatte in Mauthausen nach 1870 selbst Steinbrüche erworben. Bereits im April 1938 verhandelte die SS mit der Stadt Wien über die Abtretung der Steinbrüche. Am 8. August 1938 traf der erste Transport mit 300 vorwiegend österreichischen Häftlingen ein. Begleitet und überwacht wurden sie von etwa 80 SS-Angehörigen. Später stieg das Personal auf mehrere Tausend an.
Die Häftlinge waren zunächst hauptsächlich mit dem Aufbau des Lagers beschäftigt. Die Arbeit im Steinbruch begann erst 1939. Hunger, Willkür und Gewalt prägten den Alltag der Häftlinge von Anfang an. Schon nach kurzer Zeit gab es die ersten Todesfälle, bis Kriegsbeginn waren es 500 bei einer Gesamtzahl von 3.000 Gefangenen – zu diesem Zeitpunkt vor allem Deutsche, Österreicher und Sudetendeutsche.
Die „Todesstiege“
Der Historiker zeigt ein Foto der berüchtigten „Todesstiege“, auf der Steine transportiert wurden. Die zweite Phase dauerte vom September 1939 bis etwa Mitte des Krieges. „Diese Phase bestand aus einer Internationalisierung und schließlich auch Radikalisierung der Behandlung der Gefangenen“, so Perz. „Sie begann mit dem deutschen Überfall auf Polen. Nur wenige Kilometer von Mauthausen entfernt wurde ein zweites Lager entfernt, das Lager Gusen, eine Art Dépendance, das noch um einiges größer war. Auch dort wurden Steinbrüche übernommen.“
Gusen war von 1940 bis 1942 mit Abstand der größte KZ-Komplex des Deutschen Reiches, bevor Auschwitz mit Buchenwald zum größten aufstieg. Es waren vorwiegend Polen, die zu Tausenden nach Mauthausen und Gusen deportiert wurden. Zweitgrößte Gruppe waren republikanische Spanier, die sich nach Südfrankreich zurückgezogen hatten und nach der Besetzung von Frankreich vom Vichy-Regime an Nazideutschland ausgeliefert wurden. „Sie standen unter hohem Vernichtungsdruck“, nennt es Perz. „Von den 10.000 Polen kamen bis 1942 etwa 7.000 ums Leben, von den 7.000 Spaniern etwa 4.400.“ Die Todesrate in Gusen war die höchste aller Konzentrationslager.
Bis 1944 kamen ausschließlich Männer, danach auch Frauen. Jüdische Häftlinge waren bis Mitte des Krieges nur wenige nach Mauthausen gekommen. Diejenigen, die kamen, hatten äußerst geringe Überlebenschancen. Eine weitere Gruppe waren die sowjetischen Kriegsgefangenen, weiß er. „Auch sie wurden rassistisch als Untermenschen bewertet“, erklärt Perz. 1941 kam es zur Radikalisierung des NS-Regimes, die Repression nahm weiter zu. Kranke Häftlinge wurden selektiert und in den Tötungsanstalten ermordet. Im Sommer 1941 kamen etwa Tausende in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. Sie wurden mit Kohlenmonoxid vergiftet. Zur systematischen Tötung diente zudem eine Genickschussanlage. Außerdem wurde eine Gaskammer gebaut, in der Zyklon B für den Massenmord angewandt wurde.
Ich hatte auch keine Kenntnisse davon, wie man mit Menschen spricht, die eine solche Gewalterfahrung gemacht hatten. Dabei kam ich aus einem Täterland.
Mit dem Beginn des alliierten Luftkriegs kam es nochmals zur Verlagerung des Arbeitseinsatzes: der Bau gigantischer unterirdischer Fabrikanlagen. Bei der Arbeit unter Tage gab es weder ausreichend Ernährung noch medizinische Versorgung. Die Todesraten stiegen wieder an. Im Frühjahr 1945 starben mehrere Tausend ungarische Juden für den Stollenbau nach Mauthausen. Auch italienische Soldaten gerieten nach dem Sturz Mussolinis in deutsche Gefangenschaft. Als ehemalige Verbündete waren sie als Verräter gebrandmarkt und Repressionen ausgesetzt.
Am Ende seines Vortrags erinnert Perz an den „Schwur von Mauthausen“: Am 16. Mai 1945 fand am Appellplatz des Konzentrationslagers die erste Befreiungsfeier statt. Die Vertreter des Häftlingskomitees verlasen einen Text, in dem es unter anderem hieß: „Der Friede und die Freiheit sind die Garanten des Glücks der Völker.“ Es ist nicht zuletzt auch ein Ausdruck des Universalismus der Menschenrechte. Zum Schluss zitiert Bertrand Perz einen französischen Deportierten, der schrieb, „dass es Dinge gibt, die man einfach nicht ausdrücken kann: die Kälte, den Hunger, die Müdigkeit, die Angst, die Gewöhnung an den Tod“.
De Maart

Hasenjagd gab es nicht nur dort. Leider wird heute noch „geblockt“, wenn man etwas mehr erfahren will. Habe mal versucht etwas übers. Arbeitslager in Schwaz (Tirol) herauszufinden. Die Stadtverwaltung u.a. war bei der Suche sehr zurückhaltend.
Info