Menschenhandel127 Opfer in zwei Jahren: Menschenrechtskommission geht von weitaus höherer Dunkelziffer aus

Menschenhandel / 127 Opfer in zwei Jahren: Menschenrechtskommission geht von weitaus höherer Dunkelziffer aus
Für Gilbert Pregno war es die letzte Vorstellung eines Berichts als Präsident der Menschenrechtskommission Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Die Menschenrechtskommission stellte am Donnerstag ihren vierten Bericht zum Thema Menschenhandel in Luxemburg vor. Den offiziellen Zahlen zufolge wurden 2021 und 2022 insgesamt 127 Fälle aufgedeckt, die Dunkelziffer jedoch liege weitaus höher. Der 209-seitige Bericht präsentiert Fakten und Zahlen, aber auch Empfehlungen an die Behörden.

Der Menschenhandel habe viele Gesichter, und hinter den juristischen Aspekten verstecke sich immer ein menschliches Drama, sagt der Präsident der Menschenrechtskommission (CCDH), Gilbert Pregno. Es kann eine junge Frau sein, die aus Nigeria mit einem Versprechen auf eine Arbeit nach Luxemburg gelockt und hier zur Prostitution gezwungen wird, um ihre „Reisekosten“ abzubezahlen; es sind Kinder, die als Haushaltshilfe ausgenutzt werden und als Schlafplatz lediglich eine Matratze in einer Küche haben; es sind Männer, die als billige Arbeitskraft in Restaurants oder auf dem Bau ausgebeutet werden. Es ist das erste Mal, dass die Berichterstatter auch Aussagen von Opfern selbst in den Bericht haben einfließen lassen. Nur allzu oft sei die Versuchung groß, angesichts der Tatsachen und Zahlen die Augen vor dem Leid zu verschließen.

Der vierte Bericht über den Menschenhandel, den die Menschenrechtskommission am Donnerstag dem Parlament vorlegte, ist ein 209 Seiten starkes Dokument. Es sei ein sehr umfassender Bericht, weil die Kommission eine anspruchsvolle Arbeit abliefern wolle, betont Pregno.

Er sei aber schockiert über die geringe Anzahl der Opfer, die von den Behörden offiziell als solche identifiziert wurden. Für die CCDH besteht kein Zweifel daran, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt. Offiziellen Zahlen zufolge habe es 2021 und 2022 insgesamt 127 Fälle von Menschenhandel gegeben.

Problematisch sei augenblicklich die Erfassung von solchen Fällen. Nur die Polizei sei dazu befugt, und die würde alle Fälle in eine Excel-Tabelle eintragen, eine Methode, die laut der CCDH nicht mehr zeitgemäß sei. In Zusammenarbeit mit dem Statistikamt Statec müsse ein effizienteres System gefunden werden.

Nicht nur fordert die CCDH mehr Mittel für die Kriminalpolizei, sondern auch einen nationalen Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels.

Zeugenschutzprogramm nötig

Die Polizei ist bei ihren Ermittlungen auf die Aussagen der Opfer angewiesen. Da diese aber auch Zeugen in ihrem Fall sind, müsse endlich ein Zeugenschutzprogramm geschaffen werden. Sehr zum Nachteil der Betroffenen sei es, wenn beim Prozess in Anwesenheit der Täter die Adressen der Opfer vorgelesen würden. Um sie vor Repressalien zu schützen, bräuchten die Opfer anonyme Aufenthaltsorte.

Unverständlich sind für die Menschenrechtskommission sowohl die niedrigen Strafen, denen die Täter ausgesetzt sind, als auch die sehr niedrigen Entschädigungen für die Opfer, die in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Gewinnen ständen, welche die Straftäter erzielten. Der diesbezügliche juristische Rahmen müsse geändert werden.

Die offizielle Zahl an Fällen von Arbeitsausbeutung ist stark gestiegen. In den beiden letzten Jahren gab es 55 Fälle, genauso viele wie die von sexueller Ausbeutung. Am stärksten davon betroffen sind der Bausektor und der Gaststättenbereich. Dass mehr solcher Fälle entdeckt wurden, habe wohl damit zu tun, dass die Gewerbeaufsicht ITM, nach der Kritik des vorherigen Berichts, dem Problem nun mehr Aufmerksamkeit schenke. Doch man müsse noch weiter gehen: Die CCDH fordert für die Beamten der ITM den Status eines „Officier de police judicaire“.

Jedes vierte Opfer ein Kind

Als unzulänglich kritisiert die CCDH die Bemühungen der Regierung, potenzielle Opfer unter den Antragstellern auf internationalen Schutz auszumachen. In den Jahren 2021 und 2022 hätten die Behörden nur einen einzigen Fall von Menschenhandel in dieser Kategorie festgestellt. Als ein Grund hierfür wurde das Fehlen einer standardisierten Prozedur zur Ermittlung von gefährdeten Personen ausgemacht.

Europäischen Statistiken zufolge ist jedes vierte Opfer von Menschenhandel ein Kind, als besonders gefährdet gelten unbegleitete Minderjährige. Auch ihnen müsse mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Auch das Thema Bettelei fand Eingang in den Bericht. Dass es eine Zwangsbettelei gibt, bestreitet die Menschenrechtskommission nicht. Die Polizei berichtet von minderjährigen Kindern aus der Gemeinschaft der Roma, die zur Bettelei gezwungen wurden. Problematisch seien die Fälle, weil sich die Hinterleute im Ausland befänden und die Kinder sich nicht als Opfer sähen, da sie oft mit diesen verwandt seien.
Allerdings unterstreicht Gilbert Pregno, dass es ihn enorm störe, wenn der Menschenhandel auf diesen Punkt reduziert werde, das Problem sei wesentlich vielfältiger.

Den kompletten Bericht finden Sie unter ccdh.public.lu.