ÖsterreichTop-Diplomat wird suspendiert, weil er Nowitschok-Rezept geleakt haben soll

Österreich / Top-Diplomat wird suspendiert, weil er Nowitschok-Rezept geleakt haben soll
Der österreichische Kanzler Alexander Schallenberg hat in seiner Zeit als Außenminister einen Diplomaten vom Dienst suspendiert, der offenbar die Formel des Nervengiftes Nowitschok weitergegeben hat Foto: APA/dpa/Georg Hochmuth

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Ein hochrangiger österreichischer Diplomat soll die streng geheime Formel des russischen Nervengifts Nowitschok an Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek verraten haben.

Über dieser für Österreich außenpolitisch höchst peinlichen Affäre steht vor allem eine Frage: Warum das Ganze? Einer der – zum Tatzeitpunkt noch bewunderten – Chefs des abgestürzten Finanzdienstleisters Wirecard verschafft sich das geheime Rezept zur Herstellung einer der heimtückischsten Erfindungen aus der Giftküche des russischen Militärgeheimdienstes. Die während des Kalten Krieges entwickelte Substanz Nowitschok war westlichen Geheimdiensten lange Zeit ein Rätsel. Wer darüber Informationen hatte, teilte sie nicht gerne. Die Formel der hochgiftigen, durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) geächteten Phosphorverbindung ist Verschlusssache.

Dennoch kam ein Privatmann an den chemischen Bauplan: Jan Marsalek. Im Sommer 2018 hatte er die brisanten Dokumente sogar Londoner Börsianern unter die Nase gehalten – offenbar um so mit seinen speziellen Kontakten in höchste Geheimdienstkreise zu prahlen. Die Financial Times berichtete vor einem Jahr über die skurrile Episode am Höhepunkt der Affäre um den zusammen mit seiner Tochter im britischen Salisbury mit Nowitschok vergifteten russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal.

Die Vermutung, Marsalek könnte die Nervengift-Formel über seine schon damals bekannten Verbindungen nach Russland ergattert haben, erwies sich als falsch. Denn die OPCW, als deren Mitglied Österreich über die Nowitschok-Daten verfügt, konnte die Herkunft der von Marsalek herumgezeigten Papiere eruieren. Über einen auf dem Deckblatt angebrachten Strichcode konnten sie eindeutig dem österreichischen Datensatz zugeordnet werden.

Leak im Außenamt

Der nach dem Auffliegen der Wirecard-Malversationen im Juni 2020 nach Weißrussland geflüchtete und inzwischen vermutlich in Russland untergetauchte Österreicher hatte also ein Leak in seiner Heimat genützt. Potenzielle Lecks gab es mehrere, da Außen-, Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium über die Nowitschok-Datei verfügten und sowohl Marsalek als auch der ebenfalls aus Österreich stammende Wirecard-Boss Markus Braun gute Kontakte zu den damaligen Regierungsparteien ÖVP und FPÖ pflegten. Das Außen- und das Verteidigungsressort hatte die FPÖ inne, das Wirtschaftsministerium die ÖVP.

Mittlerweile steht fest: Der Verräter saß im von der Putin-Freundin Karin Kneissl geführten Außenamt. Der Verdacht richtet sich gegen den vor wenigen Tagen als Botschafter in Indonesien abberufenen Topdiplomaten Johannes Peterlik, der von Mai 2018 bis Januar 2020 Generalsekretär des Außenministeriums war.
Laut der Tageszeitung Die Presse soll Peterliks Handy vor wenigen Wochen bei einem Heimatbesuch beschlagnahmt worden sein. Dann hätten die disziplinarrechtlichen Mühlen zu mahlen begonnen, und Peterlik sei nicht mehr als Botschafter tragbar gewesen. Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) bestätigte, dass er selbst noch als Außenminister, der er bis vor zwei Wochen war, die Suspendierung Peterliks verfügt habe. Zu den Anschuldigungen äußerte er sich allerdings nicht.

Marsalek in Moskau?

Der Nationalratsabgeordnete David Stögmüller (Grüne), der sich im Zuge des Untersuchungsausschusses zur Ibiza-Affäre mit dem Fall beschäftigt hatte, sprach von Anzeichen, dass das Leaken des Nowitschok-Dokuments mit dem Außenministerium und Peterlik in Verbindung stehe. Peterlik selbst beteuert, er kenne Marsalek nicht und könne „vollkommen ausschließen, dass irgendein Dokument von mir an Herrn Marsalek ergangen ist“.

Die Frage, warum Marsalek überhaupt Interesse an dem geheimen Giftrezept hatte, bleibt ein Rätsel. Hätte er irgendetwas damit vorgehabt, wäre es kontraproduktiv gewesen, mit seinen Kenntnissen zu prahlen. Wollte sich Marsalek, der als – letztlich allerdings erfolgloser – Organisator einer Söldnertruppe für Libyen auch einen Hang zu politischen Abenteurertum gezeigt hatte, nur wichtig machen, wie manche Kenner des gefallenen Aufsteigers mutmaßen? Befragt werden kann der 41-Jährige nicht. Berichte, wonach er sich unter Aufsicht des russischen Militärgeheimdienstes in Moskau aufhalte, sind bislang reine Spekulation. Von dem Ex-Starmanager fehlt jede Spur.

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26. Oktober 2021 - 17.10

Er hat aus geheimen staatlichen Dokumenten zitiert, DAS ist das Kriminelle, das Rezept findet man problemlos seit Jahren auf dem Internet.