PorträtJoëlle Pizzaferri: die Neue im Escher Gemeinderat

Porträt / Joëlle Pizzaferri: die Neue im Escher Gemeinderat
Am Freitag erstmals im Escher Gemeinderat: Joëlle Pizzaferri Foto: Editpress/Julien Garroy

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Am Freitag kommt es zum Wechsel im Escher Gemeinderat. Joëlle Pizzaferri ersetzt bei der LSAP Jeff Dax. Der Terminplan der 36-Jährigen wird demnach noch ein wenig enger.       

Etwas rastlos kommt sie daher, die Neue im Gemeinderat der Stadt Esch. Das liegt daran, dass Joëlle Pizzaferri ein politisch denkender Mensch ist und sich über eine ganze Menge Sachen Gedanken macht. Das dazugehörende Engagement bekam sie sozusagen in die Wiege gelegt. Ihr Vater René ist seit Jahrzehnten Gewerkschaftler, steht u.a. der Patientenvertretung als Präsident vor. „Sehr früh gingen wir mit ihm auf alle möglichen Versammlungen, das hat mich natürlich geprägt. Und wir haben viel gesehen und erlebt“, erinnert sich Joëlle Pizzaferri. Mit „wir“ meint sie die Familie. Vater René, die vor drei Jahren verstorbene Mutter Irma und ihre 20 Monate jüngere Schwester Carole. Von ihrem Vater hat sie nicht nur ihr politisches Interesse geerbt, sondern auch die Jovialität. „Ich sitze gerne mit Menschen zusammen und trinke mein ‚Pättchen’“, sagt die 36-Jährige. 

Die Familie ihres Vaters stammt aus Italien, Opa Marcel kam wie so viele nach Luxemburg, um auf der „Schmelz“ zu arbeiten. Er starb vor Joëlles Geburt. Seine Enkelin wandelt mit ihrem Engagement im FerroForum zumindest ein wenig auf seinen Spuren. Das FerroForum ist eine Vereinigung, die sich für den Erhalt des industriellen Erbes einsetzt und ein Atelier auf der Brache von Esch-Schifflingen betreibt. Die frühere „Metzeschmelz“ wurde vor ziemlich genau zehn Jahren von einem Tag auf den anderen stillgelegt und nie mehr wiedereröffnet. Das FerroForum sammelt alles ein, was es als erhaltenswert betrachtet. Und das ist eine ganze Menge. Das Atelier ist Bestandteil des Kulturjahres, soll aber erhalten bleiben, wenn das neue Stadtviertel an dieser Stelle entsteht. 

Ab und an sind meine Ideen vielleicht ein wenig zu idealistisch

Joëlle Pizzaferri, neue Escher Gemeinderätin

Die Urbanisierung der Industriebrachen „Terres Rouges“ und Esch-Schifflingen wird das Stadtbild in den nächsten 15 Jahren radikal verändern. Esch steuert auf mehr als 50.000 Einwohner zu. Joëlle Pizzaferri möchte die Entwicklung ihrer Wahlheimat im Gemeinderat mitgestalten. „Ich halte es für wichtig, dass nicht alles zugebaut wird“, sagt sie. Corona habe gezeigt, dass Menschen Zufluchtsorte brauchen. Und die Pandemie hat ihnen Zeit zum Reflektieren gegeben. „Wir haben nur ein Leben, da sollte man sich doch so wohlfühlen wie nur irgend möglich. Aber kann das eine vierköpfige Familie, die in einer Wohnung mit 40 Quadratmetern lebt?“ Dabei stehe dermaßen viel Wohnraum leer. Was sie schnurstracks auf ein weiteres Thema bringt. „Warum bekommen so viele Menschen aus dem Ausland mit Know-how in Luxemburg keinen Fuß auf den Boden?“, fragt sie und nennt als Beispiel eine ausgebildete Physiotherapeutin, die momentan als Reinigungskraft arbeitet, obwohl sie einen vermeintlich wertvolleren Beitrag für die Gesellschaft in Luxemburg leisten könnte. Zu oft scheitern solche Menschen an administrativen Hürden, sagt Joëlle Pizzaferri. Man könnte für sie Gemeinschaften bilden, ähnlich der Künstlerresidenzen in der Kultur. Sagt’s und lacht, wohl auch ein bisschen über sich selbst: „Ich habe so viele Ideen, die sind nur ab und an ein wenig zu idealistisch.“

Gemeinsames Ziel: Esch

Ab Freitag ersetzt sie Jeff Dax im Escher Gemeinderat. Der war einst für die zur Ministerin berufene Taina Bofferding nachgerückt und trat nun aus familiären Gründen zurück. Bei den Gemeindewahlen 2017 hatte Pizzaferri den 13. Platz auf der LSAP-Liste belegt. Mit ihr sind nunmehr sechs von 19 Gemeinderäten Frauen. „Das ist natürlich noch immer viel zu wenig. Zumal der Schöffenrat ausschließlich aus Männern besteht. Ich hoffe, dass die sich wenigstens ab und an in Sachen Gemeindepolitik mit ihren Frauen bzw. Frauen aus dem Freundeskreis austauschen“, sagt Pizzaferri, klingt dabei aber nicht sehr überzeugt. Dass die schwarz-grün-blaue Mehrheit seit dem Machtwechsel 2017 prinzipiell alles ablehnt, was aus den Reihen der Opposition kommt, bedauert sie. Schließlich gäbe es ein gemeinsames Ziel, und das sei Esch. „Es ist traurig, wenn man sich gegenseitig ausboxt und gute Vorschläge nur aus Prinzip ablehnt. Ich gehe nicht in den Gemeinderat, um andere zu boykottieren. Es ist einfach nicht gut, wenn Leute es zu persönlich nehmen, schließlich geht es um die Sache.“

Joëlle Pizzaferri über Esch2022: „Nachhaltig ist nicht das Event, sondern wie man es langfristig in das Leben der Menschen etabliert“
Joëlle Pizzaferri über Esch2022: „Nachhaltig ist nicht das Event, sondern wie man es langfristig in das Leben der Menschen etabliert“ Foto: Editpress/Julien Garroy

Das Licht der Welt erblickte Joëlle Pizzaferri am 10. September 1985 in Esch. Ein symbolträchtiges Datum, wurde Luxemburg 1944 an diesem Tag durch die Amerikaner befreit. Sie wuchs in Monnerich auf, wo sie die Grundschule besuchte. Anschließend ging es nicht in eines der Escher Lyzeen, sondern ins „Lycée Michel Rodange“ in die Stadt. Der Grund war ihre große Leidenschaft, das Tanzen. Täglich war sie in der Tanzschule Renée Niro in Schouweiler, wechselte später ins „Conservatoire“. Das ließ sich am besten mit den flexiblen Stundenplänen des Michel Rodange kombinieren, später mit dem „Fieldgen“. „Beim Tanzen konnte ich die ganze Welt vergessen“, sagt Joëlle Pizzaferri, „und viele solcher Momente hat man in unserer schnelllebigen Zeit nicht, vor allem wenn man engagiert ist.“

Das ist sie definitiv: Pizzaferri gehört dem Nationalbüro der „Femmes socialistes“ und der Kontrollkommission der LSAP an, ist Generalsekretärin der Escher Parteisektion und sitzt für die Sozialisten in der Kommission des Dritten Alters, des Sports und der Kultur. „Da bleibt nicht viel Zeit. Und jetzt kommt auch noch der Gemeinderat dazu, sodass ich nun genau überlegen muss, wie ich meine Tage organisiere. ‚Well soss verléieren ech d’Schlappen’“, sagt die Junggesellin. Sie möchte sich im Gemeinderat zunächst einmal mit dem ebenfalls nachgerückten Ben Funck um Personalfragen kümmern und auch um die Kultur: „Das Kulturjahr muss ein Erfolg werden in Anbetracht des Geldes, das da reingesteckt wird.“ Sie bedauert, dass es noch viel zu wenig Informationen über Esch2022 gibt. „Ich glaube nicht, dass das Kulturjahr besonders nachhaltig sein wird. Wie soll es nachhaltig sein, wenn die Menschen heute noch nichts darüber wissen? Und wie soll es nachhaltig sein, wenn die lokalen und regionalen Akteure davon ausgeschlossen sind? Nachhaltig ist nicht das Event, sondern wie man es langfristig im Leben der Menschen etabliert.“ 

Nach der Schule studierte Joëlle Pizzaferri an der ULB in Brüssel „Sciences humaines et sociales“, arbeitete anschließend vier Jahre bei der „Horlogerie Goeres“, ehe sie ins Personalbüro der Gesundheitskasse wechselte. Sie wohnt im Dieswee, was sie als ideal bezeichnet. Denn Pizzaferri liebt es, in der Natur zu sein, spaziert aber genauso gerne durch die Alzettestraße. Dort tut sich zurzeit viel, „was beweist, dass die Leute an Esch glauben“. Sie selbst hat das schon immer getan.