JudoFLAM-Jugendnationaltrainer Sascha Herkenrath: „Kinder sollen ihren Lebensweg im Judo sehen“

Judo / FLAM-Jugendnationaltrainer Sascha Herkenrath: „Kinder sollen ihren Lebensweg im Judo sehen“
Sascha Herkenrath (l.) hat klare Vorstellungen, wie er die ersten Trainingswochen angehen will. Für den Nachwuchs heißt es jetzt erst mal: fit werden (oder bleiben). Archivbild: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Der 28-jährige Deutsche Sascha Herkenrath tritt im Januar die Nachfolge von Jugendnationaltrainer Thomas Kessler an. Wo der Judo-Coach herkommt, welche Werte er vermitteln will – und an wen –, erklärte er im Tageblatt-Interview.

Tageblatt: Sie träumten in der Jugend von einer Medaille bei den Olympischen Spielen – im Herbst wurden Sie als der zukünftige Jugendnationaltrainer Luxemburgs vorgestellt. Wie kam es, dass Sie plötzlich auf der anderen Seite der Matte stehen?

Sascha Herkenrath: Für mich ging der Leistungssport relativ früh los. Mit 12, 13 war ich zum ersten Mal mit der deutschen Nationalmannschaft unterwegs. Leider hatte ich viel Verletzungspech und hatte mehrere Schulteroperationen sowie eine Hand-OP. Als 2012 klar wurde, dass der Traum von Olympia nicht mehr erreichbar wäre, kam die Frage auf, wie es weitergehen soll. Judo hatte einen großen Teil meines Lebens eingenommen. Tatsächlich habe ich dann auch über ein halbes Jahr keinen Judo-Anzug übergestreift. Wenn die Träume platzen, ist das immer eine harte Zeit. Durch Zufall schrieb mich unser Vereinspräsident in Gladbach an und fragte, ob ich Lust hätte, eine der Kindergruppen zu übernehmen. Ab diesem Moment war es um mich geschehen. Ich konnte den Judosport nicht hinter mir lassen. So kam nach und nach immer mehr dazu, auch bei den Trainingseinheiten pro Woche. Irgendwann habe ich die Bezirkstrainer ersetzt. 2017 wurde ich gefragt, ob ich Interesse daran hätte, Landes-Trainer zu werden. Da wurde es zum ersten Mal richtig ernst, eben auch mit einer Festeinstellung. 

Und warum landet man bei der FLAM?

Ich habe damals parallel Sportmanagement studiert. Die Idee dahinter war allerdings immer, den Trainerjob hauptamtlich auszuüben. Das ist natürlich schwierig in der Branche. Die beiden Jahre in NRW liefen sehr gut. Ich habe mich komplett gefunden. Um 5 Uhr morgens aufzustehen, macht mir nichts aus: Für Judo geht das immer. Für Judo stehe ich immer auf. 2019 habe ich entschieden, den Vertrag in Nordrhein-Westfalen nicht zu verlängern und ein Jahr Vollzeit zu studieren, um das Studium abzuschließen. Im Spätsommer war es dann so weit, weshalb ich mich für mehrere Trainerjobs beworben habe. Ich wusste nicht, was in Luxemburg genau auf mich zukommen würde. Ich sehe es als eine Berufung. Es ist kein 9-to-5-Job. Man hat mir klar gemacht, dass es hier darum gehen würde, ein komplettes Team aufzustellen. So sehe ich meine Arbeit eben auch. In NRW hat jeder ein bisschen für sich selbst gekämpft. Das war nicht produktiv. Ich will nicht als Individualist alleine an der Front kämpfen. Das fand die FLAM auch sehr wichtig. Deshalb hat es von Anfang an sehr gut gepasst.  

Sie leben momentan noch in Hennef. Wissen Sie, warum den Luxemburger Fußballfans die 50.000-Einwohner-Stadt ein Begriff ist (wegen der DFB-Akademie, an der u.a. Dino Toppmöller seinen Trainerschein erhalten hat, d.Red.)?

Ich stamme aus Hennef und bin mit 15 in den Gladbacher Verein gewechselt. Studiert habe ich sechs Jahre in Bochum und bin jetzt wieder kurz bei meiner Mutter eingezogen, da der nächste Umzug ansteht. Ich habe vor einer Woche meinen Mietvertrag in Trier unterschrieben. Luxemburg ist leider ein bisschen teuer. Ich werde in zwei Wochen dorthin ziehen, damit ich einen guten Start habe und von Tag eins an hundert Prozent geben kann. Ich habe einen großen Vertrauensvorschuss bekommen und will dem jetzt gerecht werden. Zum Thema Fußball … Ich kenne jeden Judoka der Welt, aber das Thema Fußball interessiert mich nicht. Wir haben eine Sportschule mit guter Referenz. Dass es bis Luxemburg reicht, hätte ich allerdings nicht gedacht.

In zwei Wochen werden Sie demnach den neuen Job antreten. Wie wollen Sie an diese Aufgabe herangehen?

Durch Corona wird es ohnehin speziell. Man kann nicht im normalen Rahmen trainieren. Meine Stärke ist, dass ich sehr kommunikativ bin und auf Menschen zugehe. Ich versuche, mich vernünftig vorzustellen und Vertrauen aufzubauen. Die Kinder und Eltern sollen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Wenn man transparent ist, sind die Prozesse einfacher. In erster Linie werde ich mir ein Bild des Niveaus machen. Ich sehe mich noch klar in der Grundlagenausbildung. Wir werden trotzdem beim Kraft- oder Fitnesstraining alles auf einmal anreißen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich bei der ersten Visite vom Niveau positiv überrascht war. Mein Vorgänger Thomas Kessler hat gute Arbeit geleistet. Ich bin ein emotionaler Trainer und davon überzeugt, dass man Judo leben muss. Es ist ein Lifestyle. Die Kinder sollen ihren Lebensweg in der Sportart sehen. Es soll ein hartes Training sein, das Spaß macht. 

Wie stellen Sie sich diese Grundlagenausbildung vor?

Wir verlangen unseren Kindern schon früh viel ab. Die gute Grundlagenausbildung ist dabei sehr wichtig. Ich kann nicht erwarten, dass jemand eine Technik super ausführt, wenn er die Rumpfstabilität dafür noch nicht hat. Besonders am Anfang will ich die Kids so weit bringen, dass sie das zweistündige Training problemlos schaffen. Wir werden beispielsweise viel und oft die Seile hochklettern. Ich werde sie also in erster Linie fit machen. Natürlich darf das Judo nicht zu kurz kommen. Die Judo-Grundlagen, wie Gleichgewichtsbruch, werden auseinandergebaut und vernünftig aufbereitet. Wir dürfen am Anfang eben nicht patzen. Mir ist es wichtig, dass jeder technisch universell ausgebildet wird. Sie sollen mit jeglichen Techniken konfrontiert werden. Die müssen alles mitbekommen und ab Ende U18 können wir wieder spezifizieren. Wenn ich viel anbiete, können sie sich auch viel rausziehen. Der Leistungssport steht klar im Fokus, aber die Breite gehört auch dazu.

Ich bin in einer Position, in der ich die Kinder so weit bringen muss, dass sie entscheiden, ihr komplettes Leben dem Leistungssport zu widmen

Sascha Herkenrath, ab Januar neuer Jugendnationaltrainer

Um an eine andere Aussage anzuknüpfen: Wie lebt man Judo?

Für mich gibt es keinen Tag, an dem ich nicht an Judo denke. Ich interessiere mich privat für jeden Grand-Prix: Nicht weil ich es machen muss, sondern weil ich fast aufgeregt bin und es gerne schaue. Wir sind eine sehr wertebehaftete Sportart. Zum Thema Respekt gibt das einiges her. Das bestimmt bei mir den Alltag. Man muss bedenken: Ich bin in einer Position, in der ich die Kinder so weit bringen muss, dass sie entscheiden, ihr komplettes Leben dem Leistungssport zu widmen. Wenn man sich selbst nicht damit identifizieren kann, wird es schwierig.

Wir haben jetzt über die Breite der Trainingsvisionen gesprochen. Wie sieht es mit der Breite an Kandidaten auf der Matte aus?

Das ist spannend. So viele gibt es ja nicht. Besonders am Anfang werde ich viel mit den Klubs kommunizieren und versuchen, Mitglieder zu gewinnen. Ganz generell brauchen die Vereine also mehr Mitglieder. Ein Beispiel, um das zu schaffen, wäre ein einheitliches Training. In NRW steht monatlich flächendeckend eine Technik im Fokus. Dabei kann man den Trainern oder Vereinen Tipps geben und ihnen Werkzeug an die Hand geben. Ziel ist, dadurch ein einheitliches Niveau im Land zu haben. Je mehr Leute auf uns aufmerksam werden, desto mehr Potenzial gibt es, um die Nationalkader zu stärken. 

Sie haben die Pläne für die Zukunft beschrieben. Wie sieht es gegenwärtig aus, beispielsweise mit den Athleten des „Sportlycée“?

Wir fangen ja nicht erst am 1. Januar an, sondern haben schon einiges geplant. Ich werde viel Training im Internat geben und ich freue mich echt darauf, die Leute aus dem „Sportlycée“ teilweise sechs- bis achtmal pro Woche zu sehen. Das gibt es sonst nicht so häufig. Ich sehe eine riesige Perspektive, da wir viel Zeit zur Verfügung haben. Wie man das inhaltlich organisiert, muss man sich überlegen. Aber es sind super Voraussetzungen. Diese Judokas sind besonders wichtig. Alle, die momentan in der U18 sind, dürfen jetzt nicht untergehen. Aber natürlich will ich auch einige Leute hochbringen. Das grobe Ziel bleibt dennoch, sowohl den Breitensport als auch die breite Masse früh gut auszubilden und sie früh mit Leistungssport in Verbindung zu bringen. 

Welche Luxemburger Judokas waren Ihnen vor der Vertragsunterschrift ein Begriff?

Die Trapp-Brüder (Lucas und Noah) sind echt gut ausgebildet. Als Trainer ist das ein tolles Gefühl, wenn man eine Halle betritt und die Jungs genau wissen, wie der Hase läuft. Sie sind ja auch nicht ganz unerfolgreich. Natürlich kennt man Annetka Mosr und Claudio dos Santos, beide übrigens auch schon länger. Thomas Kessler bin ich schon oft über den Weg laufen. Kenza Cossu fand ich bei meiner ersten Visite übrigens klasse. Einige sind richtig gut ausbildet. Da lag also nichts brach – wir müssen jetzt noch etwas draufpacken. 

Gibt es etwas, klammert man Judo aus, worauf Sie sich in der neuen Umgebung freuen?

Ich bin ein sehr naturverbundener Mensch und gerne draußen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich bereits ein paar Mal im Müllerthal wandern war. Zudem finde ich es absolut spannend, mich mit einer neuen Sprache auseinanderzusetzen. 

Steckbrief

Sascha Herkenrath
Geboren am 17. Juni 1992 in Hennef (D)
Größte Erfolge: Dritter Platz bei der U17-Europameisterschaft, dritter Platz bei den Olympischen Jugendspielen EYOF, dritter Platz beim European Cup in Berlin, deutscher Meister bei den Junioren