Moody’s zu BelgienCorona macht Anstrengungen der vergangenen Jahre zunichte

Moody’s zu Belgien / Corona macht Anstrengungen der vergangenen Jahre zunichte
Sicht auf die belgische Hauptstadt Foto: Christian Muller

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Belgiens Wirtschaft wird in den kommenden Jahren vor erheblichen Herausforderungen stehen, schreibt die Ratingagentur Moody’s in ihrem jüngsten Bericht zur Kreditwürdigkeit des Landes. Die Konjunktur in dem Königreich brach dieses Jahr heftig ein und die Staatsverschuldung steigt auf ein neues Hoch.

Die letzten Jahre hatte Belgien genutzt, um seine Volkswirtschaft wieder besser aufzustellen. So hatte die Verschuldung des Königreiches nach der Finanzkrise im Jahr 2014 einen Höchststand (107 Prozent des BIP) erreicht, schreibt Moody’s in dem vor kurzem vorgestellten Bericht. Bis letztes Jahr (2019) konnte die Schuldenlast jedoch wieder auf 98,1 Prozent des BIP gedrückt werden.

In den vergangenen Jahren hatte sich das Land zudem auf Strukturreformen konzentriert, um die seit langem bestehenden Schwächen der Wettbewerbsfähigkeit und des Arbeitsmarktes anzugehen, schreibt die Ratingagentur weiter. Etwa durch eine Senkung der steuerlichen Belastung des Faktors Arbeit. Mit Erfolg: Die Arbeitslosenquote ist von 8,8 Prozent (Anfang 2015) auf 5,0 Prozent (Anfang 2020) gefallen.

Der wirtschaftliche Corona-Einbruch
Der wirtschaftliche Corona-Einbruch

Doch dann kam Corona. Wie viele andere Länder hat Belgien im März 2020 einen Lockdown eingeführt, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Erwartet wird nun für das laufende Jahr 2020 eine „beispiellos starke Rezession“, ein Schrumpfen des BIP um 9,2 Prozent, ist in dem Bericht zu lesen. Die wirtschaftlichen Folgen waren bisher, so Moody’s, geringer als in Frankreich, aber heftiger als in Deutschland oder den Niederlanden. Aktuell ist das Land erneut im Lockdown.

Der Einbruch beim Wachstum bleibt nicht ohne Folgen. Auch wenn sie bisher noch relativ stabil blieb, so soll die Arbeitslosenquote bis Jahresende auf 7,2 Prozent steigen, schätzt Moody’s. Auch die öffentlichen Finanzen werden belastet, so Senior Analyst Olivier Chemla, Autor des Berichts. „Wir gehen davon aus, dass die Schuldenlast aufgrund des starken Rückgangs des BIP-Wachstums infolge der Pandemie im Jahr 2020 auf 117,6 Prozent des BIP ansteigen wird.“

Die belgische Wirtschaft ist gut diversifiziert
Die belgische Wirtschaft ist gut diversifiziert

Dennoch bleibt die Agentur zuversichtlich, was die Kreditwürdigkeit von Luxemburgs Nachbarland angeht. Die Bestnote AAA erhält Belgien zwar nicht, doch mit AA3 ein immer noch sehr gutes Ranking. Es handelt sich um die viertbeste Bewertung von insgesamt 21 möglichen Noten. Auch die Aussicht bewertet die Agentur, trotz aller Herausforderungen, mit „stabil“.

In dem Bericht lobt Moody’s die Kreditstärken des Landes, darunter eine diversifizierte, wohlhabende und innovative Wirtschaft, eine sehr hohe institutionelle Stärke sowie die geografische Lage des Landes im Herzen Westeuropas und die bedeutende Präsenz europäischer und internationaler Institutionen in Brüssel. Letztere (etwa 121.000 Beamte oder 16,7 Prozent der Arbeitsplätze der Region) wirken in normalen Jahren angesichts ihrer relativen Widerstandsfähigkeit gegenüber globalen Schocks als stabilisierender Faktor für die Wirtschaft, so Moody’s.

Zudem ist die belgische Wirtschaft gut diversifiziert: Der Dienstleistungssektor macht über 78 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung aus. Die Industrie stand 2019 für 16 Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch habe Belgien seine Attraktivität für Unternehmen, die in Forschung und Entwicklung investieren, durch die Einführung von Steueranreizen erhöht, so Olivier Chemla. „Infolgedessen sind die F&E-Ausgaben in Belgien seit 2008 stärker gestiegen als irgendwo sonst in der Eurozone.“

Corona treibt den Schuldenstand dieses Jahr auf über 115 Prozent zum BIP
Corona treibt den Schuldenstand dieses Jahr auf über 115 Prozent zum BIP

Kommendes Jahr rechnen die Analysten wieder mit Wachstum (4,5 Prozent). „Nach der Bildung der neuen Regierung im Oktober 2020 erwarten wir, dass die Verwendung von EU-Mitteln und neue fiskalische Maßnahmen die öffentlichen Ausgaben in den nächsten Jahren stützen und das langfristige Wirtschaftswachstum ankurbeln werden“, so die Analysten.

Was die EU-Finanzierung anbelangt, so rechnet Belgien in den Jahren 2021-2022 von 3,4 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen aus dem Recovery and Resilience Fund und im Jahr 2023 von 1,7 Milliarden Euro. Gleichzeitig soll die Erholung auch von einem starken privaten Konsum, unterstützt durch vorsorgliches Sparen der Haushalte während der Corona-Krise, und durch ein Wiederanziehen der Exporte getragen werden. Jedoch setze die prognostizierte wirtschaftliche Erholung voraus, dass die Corona-Krise bis Mitte 2021 überwunden sein wird, präzisiert die Ratingagentur. Eine Fortsetzung der Pandemie und weitere Abriegelungen würden der Wirtschaft weiteren Schaden zufügen.

Als belastend für die Kreditwürdigkeit sieht Moody’s die steigende Schuldenlast sowie die komplexe politische Fragmentierung des Landes. Mögliche Risiken, die Druck auf das Rating ausüben könnten, seien eine Umkehrung früherer Reformen oder beispielsweise noch mehr Rigidität bei den Ausgaben.

In Belgien entwickelt sich die Arbeitslosigkeit besser als in der Eurozone
In Belgien entwickelt sich die Arbeitslosigkeit besser als in der Eurozone

Aktuell wird erwartet, dass Belgien in den Jahren 2020, 2021 und 2022 ein Haushaltsdefizit von 11 Prozent, 6 Prozent bzw. 5 Prozent des BIP verzeichnen könnte. Ab nächstem Jahr soll der Schuldenstand zum BIP dennoch bereits wieder langsam zu sinken beginnen. Dazu beitragen soll sowohl das erwartete Wirtschaftswachstum als auch das Niedrigzinsumfeld. Letzteres macht die Schulden erschwinglicher: Die durchschnittliche Rendite lag im September 2020 bei 1,69 Prozent, verglichen mit 3,81 Prozent im Jahr 2011, so die Agentur. Infolgedessen sind die Zinsausgaben von 8,1 Prozent der gesamtstaatlichen Einnahmen im Jahr 2008 auf 3,9 Prozent im Jahr 2019 gefallen.

Die kürzlich ernannte Regierung will eine „ausgewogene“ Finanzpolitik betreiben, die wirtschaftliche Aktivität unterstützen und gleichzeitig den  Schuldenabbau einleiten. Die Regierung plant, die Einnahmen durch Betrugsbekämpfung, Erhöhung der Tabaksteuer und Kürzung der Subventionen für bestimmte Sektoren zu steigern.

Belgien hat Erfahrung im Schuldenabbau: Die Verschuldung des Landes lag im Jahr 1995 bereits einmal bei 130,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bis 2007 hatte die Regierung die Quote dann jedoch konsequent auf bis 87 Prozent der Wirtschaftsleistung reduziert.

Mit einem nominalen BIP von rund 530 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 ist Belgien die sechstgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone. Es ist auch ein wohlhabendes Land mit einem kaufkraftbereinigten BIP pro Kopf von 54.029 US-Dollar. Damit liegt das Königreich auf Platz 19 weltweit, vor Frankreich und Australien – aber hinter den Niederlanden, Schweden und Deutschland.

Regionale Unterschiede

Insgesamt sieht Moody’s Belgien als ein institutionell starkes Land, das gewillt ist, sich an die Verpflichtungen zu halten, die es eingegangen ist (z.B. Schulden zurückzahlen). Jedoch erschwere die spezielle politische Aufteilung des Landes die Umsetzung von Reformen und das Treffen von Entscheidungen. So dauerte es nach den Wahlen satte 493 Tage, ehe Ende September eine neue Regierungs-Koalition gebildet werden konnte.

Die Unterteilung in Regionen spielt jedoch nicht nur in der Politik eine Rolle, hebt Moody’s hervor. Auch wirtschaftliche Unterschiede sind überaus deutlich. So war beispielsweise die Arbeitslosenquote der Region Brüssel-Hauptstadt im Jahr 2019 (mit 12,7 Prozent) viel höher als die von Flandern (3,3 Prozent) oder in Wallonien (7,2 Prozent). Regionale Ungleichheiten spiegeln sich auch in der Wirtschaftsstruktur und im Wohlstand wider.