Finkapé feiert GeburtstagEin Netzwerk für Menschen mit afrikanischer Abstammung, das es in sich hat

Finkapé feiert Geburtstag / Ein Netzwerk für Menschen mit afrikanischer Abstammung, das es in sich hat
Mirlene Fonseca, Aldina Ganeto, Jennifer Lopes Santos und Antónia Ganeto (v.l.n.r.) wollen ihren gemeinsamen kapverdischen Background nutzen, um intergenerationell zu arbeiten und ihr Streben nach Gleichbehandlung von weißen und schwarzen Menschen voranzubringen Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Den Fokus auf Menschen mit afrikanischen Wurzeln legen, jenen eine Stimme geben, die selbst quasi nie zu Wort kommen, sich selbst in der Gesellschaft repräsentieren – aus diesen Gedanken heraus ist Finkapé entstanden, ein Netzwerk, das vorankommen will, wo seit Jahrhunderten Stillstand herrscht. Bereits anderthalb Jahre bemühen sich Mirlene Fonseca und Jennifer Lopes Santos gemeinsam mit den Schwestern Aldina und Antónia Ganeto um mehr Sichtbarkeit für die Probleme von Schwarzen im Alltag, denn auch in Luxemburg sind die Türen längst nicht für jeden gleich weit geöffnet. Zum Jubiläum wagt das Gründerquartett einen Rückblick und zieht Bilanz der aktuellen Situation.

„Rassismus ist nur eines der Themen, die wir bei Finkapé behandeln. Vor allem geht es uns aber darum, Bedürfnisse von Menschen mit afrikanischer Abstammung zu erkennen und diesen Rechnung zu tragen“, erklärt Antónia Ganeto, Präsidentin der Vereinigung „Finkapé – Réseau afrodescendant Luxembourg“. Zum offiziellen einjährigen Jubiläum des Netzwerks stellt die Vereinsvorsitzende stolz fest, dass aus einst vier Gründungsmitgliedern nun ein Team von insgesamt 14 Personen geworden ist, das nicht nur mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen weiß. Man habe hart gearbeitet, um den schwarzen Bürgern des Landes ein Sprachrohr zu geben, doch nach dem „Gehörtwerden“ müssen jetzt Taten folgen. Als Verantwortliche des „Centre d’éducation interculturelle“ beschäftigt sich die 51-Jährige schon lange mit Themen wie Diskriminierung und Zusammenleben, ihre eigenen kapverdischen Wurzeln erlauben ihr den Blick auf die Problematiken von innen heraus anstatt nur von außen.

„Wir wollen, dass die Menschen mehr über den Kontext der afrikanischen Diaspora lernen, um so besser zu verstehen, welchen Herausforderungen wir als Schwarze hier im Alltag begegnen und dass dadurch struktureller Rassismus existiert“, so Ganeto. Finkapé soll ein Netzwerk sein, mit dem sich andere identifizieren können und das eine Anlaufstelle bietet, vor allem für Frauen. Dass die vier Gründungsmitglieder zusammengefunden haben, ist dabei kein Zufall. „Aldina und ich sind nicht in Luxemburg geboren, leben allerdings schon seit unserer Kindheit hier. Mirlene und Jennifer hingegen sind von klein auf hier aufgewachsen und stellen zwei jüngere Mitglieder unserer Gruppe dar“, sagt Ganeto. In ihrer Masterarbeit hatte sich Mirlene Fonseca mit kapverdischen Bürgern unterhalten, um deren Einschätzung ihrer Integration in Luxemburgs Gesellschaft zu analysieren. Das Resultat der Studie: eine Frage nach der eigenen Identität, die wohl prägnanter nicht sein könnte und die Basis für einen neuen Dialog im Land eröffnete.

Erst als informelle Plattform, dann als offizielle Vereinigung: Finkapé feiert ihr einjähriges Jubiläum und plant bereits die nächsten Projekte gegen Rassismus und Diskriminierung
Erst als informelle Plattform, dann als offizielle Vereinigung: Finkapé feiert ihr einjähriges Jubiläum und plant bereits die nächsten Projekte gegen Rassismus und Diskriminierung Foto: Finkapé

Fremdsein in der eigenen Heimat

„Ich kann nicht behaupten, dass ich nur Luxemburgerin bin, da ich noch andere Wurzeln habe, aber nur Kapverdierin bin ich auch nicht. Diese Überlegungen hat man als Schwarze von der Kindheit an, nur dass man das in dem Alter noch nicht in Worte fassen kann“, sagt Fonseca. Das Gefühl, als Fremde angesehen zu werden, obgleich man doch genau im selben Land geboren wurde wie andere auch – genau das ist es, was sich durch Generationen, Gesellschafts- und Berufsschichten zieht und immer wieder für Unbehagen sorgt. Auch Künstlerin Jennifer Lopes Santos beschäftigt sich in ihrer Arbeit regelmäßig mit dem allgegenwärtigen „Wer bin ich?“, das eine Großzahl der Afro-Bürger weltweit vereint. „Es ist wichtig, ebenfalls eine Präsenz im Kunstmilieu zu haben, denn dort existiert ein enormes Problem der Entmenschlichung von Schwarzen. Wie wird der schwarze Körper dargestellt? Meist im Hintergrund und nie im selben Kontext wie andere. Deshalb ist es für mich ein aktiver Prozess, einerseits Werke zu schaffen, die dies ändern, und andererseits als Künstlerin für andere repräsentativ zu sein“, so die 32-Jährige.

Wir befinden uns auf einer Autobahn, aber wir müssen weiterhin das Lenkrad halten und dürfen nicht vergessen, was um uns herum geschieht

Antónia Ganeto, Präsidentin von Finkapé

Nach der ersten Konferenz von Finkapé am 13. November letzten Jahres sind den Gründerinnen die realen Bedürfnisse ihrer Gemeinschaft bewusst geworden – „besoins“, die eigentlich schon immer da waren. „Durch unsere Präsenz in den Medien haben wir enorm schnell an Sichtbarkeit gewonnen und immer mehr Menschen sind an uns herangetreten“, sagt Antónia Ganeto. Eines der Themen, die sich dabei herauskristallisiert haben, ist das des Afrofeminismus. „In Bezug auf schwarze Frauen existieren noch immer viele Vorurteile. Etwa im medizinischen Bereich, wo sie nicht ernst genommen werden und geglaubt wird, dass sie bei Geburten eher sterben als Weiße. Oder aber die Annahme, dass Frauen mit afrikanischen Wurzeln weniger Schmerzen empfinden. Das sind alles Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben“, erklärt Aldina Ganeto. Die Präsenz zahlreicher schwarzer Demonstrantinnen beim ersten „Fraestreik“ in Luxemburg am 7. März war für die 53-Jährige symbolisch für die Problematik, die viel zu oft einfach tabuisiert wird. „Die meisten trauen sich nicht über erlebte Diskriminierung zu sprechen oder sich politisch zu positionieren, deshalb ist die Arbeit mit Betroffenen auch so wichtig“, so ihre Schwester. Zuhören, teilen, begleiten – so lautet deshalb die Devise von Finkapé.

Der Weg des kleinsten Übels

Genau aus diesem Grund ist ebenfalls die Zusammenarbeit mit dem „CID – Fraen an Gender“ entstanden, wie Aldina Ganeto verrät: „Schwarze Frauen sollen sich mit der Einrichtung identifizieren können und hier ein Angebot für ihre eigenen Bedürfnisse vorfinden.“ Denn auch wenn mittlerweile mehr über Rassismus gesprochen wird: Wirklich geändert hat sich bis dato nichts – im Gegenteil. „Durch die aktuelle Krise hat sich die Situation für viele noch verschlechtert. Die Probleme in der Wirtschaft tragen dazu bei, dass es für Menschen in einer prekären Lebenslage noch schwieriger ist, eine Arbeit, Wohnung oder Festanstellung zu bekommen. Wenn dann noch Diskriminierung dazukommt, wird dies zum Teufelskreis.“ Als Sozialarbeiterin kennt Aldina Ganeto die Sorgen schwarzer Mitbürger, denn auch Luxemburg bleibt von Rassismus nicht verschont: „Regelmäßig höre ich, dass Familien eine Wohnung verweigert wird, weil die Eigentümer keine schwarzen Mieter haben wollen. Es gibt zahlreiche solcher Beispiele, die sich hier abspielen und nicht irgendwo im Ausland. So etwa der Fall einer Familie, in der die Frau Gewalt in ihrer Partnerschaft erlebt, sich jedoch nicht von ihrem Mann trennen will, da ihre Tochter nach jahrelangem Mobbing aufgrund ihrer Hautfarbe nun endlich in der Schule akzeptiert wird. Die Frau erduldet lieber weiterhin ihre Lage, als ihrer Tochter einen Neustart aufzuerlegen, weil dieser potenziell wieder an Diskriminierungen gekoppelt wäre.“

Es sind dieselben Geschichten, die sich immer wieder wiederholen, sagt auch die Präsidentin: „So wird aus einer persönlichen Erfahrung des Einzelnen eine Kollektiverfahrung, und genau das ist der Beweis dafür, dass struktureller Rassismus existiert.“ In Luxemburg gebe es zwar nur selten Fälle von körperlicher Gewalt gegenüber Schwarzen, dennoch sei die rassische Diskriminierung unterschwellig vorhanden und es gelte, die Subtilitäten zu erkennen. „Die Tatsache, dass Rassismus seine Ursprünge im Kolonialismus und der Sklaverei findet, macht ihn universell und enorm stigmatisierend. Die Auswirkungen davon ziehen sich bis in das Wirtschaftssystem – sobald es also um Privilegien und Macht geht, muss man dekonstruieren.“ Anders als im Ausland sei die Presse der Thematik allerdings sehr freundlich gesinnt und auch in puncto Politik gebe es mittlerweile Rückhalt, so Antónia Ganeto: „Viele Parteien haben parlamentarische Anfragen gestellt und auch in Konferenzen, im Bildungsbereich und in nationalen Institutionen wird die Thematik mittlerweile aufgegriffen. Man merkt also, dass sich etwas tut.“

Vorfälle im In- und Ausland

Finkapé sei zwar nicht aus der „Black Lives Matter“-Bewegung heraus gegründet worden, man habe allerdings in Sachen Timing genau richtig gelegen. „Wir erleben im Moment etwas, wovon die meisten Aktivisten nie zu träumen gewagt hätten. Wir befinden uns auf einer Autobahn, aber wir müssen weiterhin das Lenkrad halten und dürfen nicht vergessen, was um uns herum geschieht“, so die 51-Jährige. Noch immer würden überall auf der Welt Schwarze ermordet, dies zeigt auch die aktuelle Debatte um den tragischen Tod des Studenten Sanda Dia vor anderthalb Jahren. Erst rezent hat der Fall wieder Aufmerksamkeit in den Medien gewonnen, nicht zuletzt durch einen Artikel in der amerikanischen New York Times, in dem die Existenz neuer Beweisstücke aufgeführt wurde. Dia war im Dezember 2018 nach einem zweitägigen Taufritual gestorben, doch was anfangs als tragischer Unfall abgestempelt wurde, entpuppt sich mehr und mehr als fahrlässige Tötung mit rassistischem Hintergrund. Derzeit müssen sich die 18 Mitglieder der ehemaligen Antwerpener Studentenverbindung „Reuzegom“ vor Gericht verantworten, denn laut neusten Ermittlungen sind Whats-App-Nachrichten sowie Fotos der Studenten in Ku-Klux-Klan ähnlichen Roben aufgetaucht, die alle auf eine Tradition des Fremdenhasses bei den Studenten der Elite-Universität von Löwen hindeuten.

Es sind Fälle wie dieser, die schwarzen Mitbürgern immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass der Weg zur absoluten Akzeptanz in einer von Weißen dominierten Gesellschaft noch lang ist. Um diesen in Luxemburg aktiv mitzuebnen, will Finkapé mit anderen Vereinen Synergien bilden und präsent sein – egal welche Aktion ansteht. Seit Juni ist aus der informellen Plattform deshalb eine „Association sans but lucratif“ geworden, denn so hat die mittlerweile 14-köpfige Gruppe noch mehr Aussagekraft. „In nächster Zeit wollen wir ein gesamtes Projekt nur Frauen widmen. Der Name lautet Nyumba, also Zuhause auf Suaheli, und es soll darum gehen, einen Ort des Vertrauens zu schaffen, an dem sich Frauen mitteilen und austauschen können“, verrät Antónia Ganeto. Man wolle nicht nur Probleme ansprechen, sondern auch konkrete Lösungsansätze bieten, deshalb sind im Rahmen eines Projektes des „Centre de documentation sur les migrations humaines“ auch zahlreiche Konferenzen, Ausstellungen, Diskussionsrunden sowie Projektionen geplant, die über ein Jahr lang das Thema der afrikanischen Diaspora behandeln.

Eine schwere Bürde

„Das Ganze ist zum Mainstream-Sujet geworden und wir surfen auf dieser Welle, ohne aber aus den Augen zu verlieren, dass der Aktivismus auch nach dem Trend beibehalten werden soll“, meint Jennifer Lopes Santos. Es sei wie ein Luftballon, der endlich geplatzt ist, und die Menschen spüren, dass sie nun über das reden können, was sie bereits ihr ganzes Leben lang belastet hat. Doch das Gesagte muss aufgearbeitet werden, denn die Reaktionen darauf sind nicht immer positiv. „Es ist wichtig, dass man von uns redet, aber das macht auch etwas mit uns“, meint Antónia Ganeto. Vor allem die Kommentare im Internet seien oftmals nur schwer zu ertragen, sagt auch Mirlene Fonseca: „Man muss damit rechnen, dass man auf Konfrontation stößt, und das ist teilweise wirklich ein harter Schlag. Immerhin sind wir immer noch Menschen mit Gefühlen, bevor wir Frauen sind und bevor wir schwarz sind.“ Finkapé brauche Alliierte, doch die Bürde, mit dem Thema Diskriminierung zu leben, könne keiner den Betroffenen abnehmen.

Genau aus diesem Grund beruht die Strategie der Vereinigung auch nicht nur auf den Zeugnissen Einzelner, sondern hat eine Eigendynamik entwickelt, die viele Bereiche einschließen soll. „Wir sind nicht mehr nur unter Kapverdierinnen oder unter Frauen, sondern haben uns geöffnet“, sagt die Präsidentin. Männer, Pädagogen, Juristen, Künstler, Unternehmer – mehr Kompetenzen bedeuten mehr Aussagekraft, und genau die wollen die Finkapé-Mitglieder in Zukunft an den Tag legen. Denn für Antónia, Aldina, Jennifer und Mirlene ist eines ganz klar: Die Zeit, in der das Thema Diskriminierung unter den Teppich gekehrt wurde, ist vorbei, denn jeder soll sich in seiner (Wahl-)Heimat Zuhause fühlen dürfen, egal welche Hautfarbe man besitzt.