Liser-StudieErschreckende Arbeitsbedingungen von Reinigungskräften in Luxemburg – Betroffene bleiben stumm

Liser-Studie / Erschreckende Arbeitsbedingungen von Reinigungskräften in Luxemburg – Betroffene bleiben stumm
Reinigungskräfte fordern dringend eine Anerkennung ihrer Arbeit. Der neue Kollektivvertrag, der aktuell zwischen Gewerkschaften und der „Fédération des entreprises de nettoyage“ ausgehandelt wird, könnte mehrere Probleme lösen.  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Wir sehen sie nicht. Dabei sind sie überall. Wie Mainzelmännchen tauchen sie immer dann auf, wenn wir es nicht bemerken. Reinigungskräfte sorgen dafür, dass wir uns an den Orten, die wir sowohl während der Arbeit als auch in unserer Freizeit besuchen, wohlfühlen können. Doch wo keiner hinsieht, bleiben Missstände oft unentdeckt.

Die Corona-Krise hat die Wichtigkeit von Reinigungskräften umso deutlicher gemacht. Sie hat hervorgestrichen, dass eine saubere Umgebung nicht nur wichtig für das Wohlbefinden ist, sondern umso mehr für die Gesundheit. Während Pflegekräfte in den Monaten des Lockdowns gefeiert wurden, blieben Reinigungskräfte zum Großteil unsichtbar. Ihre Arbeitsbedingungen haben sich unterdessen noch weiter verschlechtert. Sie mussten ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzen, um die unsere zu garantieren. Dabei waren Beschäftigte in der Reinigungsbranche schon vor der Krise regelmäßig der Ausbeutung ihres Vorgesetzten ausgesetzt.

Die Wurzel des Problems liegt darin, dass Betroffene in der Regel nicht über ihre Erfahrungen reden. Dementsprechend fand sich keine Reinigungskraft, die dem Tageblatt die eigenen Sorgen und Probleme schildern wollte. „Menschen dieser Berufsgruppe sind nicht daran gewöhnt, Forderungen zu stellen“, sagt Rosa Brignone, Gründerin und Präsidentin von „Time for Equality“. Es liege nicht unbedingt daran, dass sie Angst vor etwas Bestimmtem haben. „Sie merken häufig noch nicht einmal, dass sie ausgenutzt werden, weil es in der Branche derart normal ist“, sagt sie. Die Arbeit liege jetzt in erster Linie darin, ihnen ihre Rechte aufzuzeigen und Mut zu machen, ihre Stimme zu erheben. Diese Motivation muss Brignone zufolge von unten und nicht von oben herab kommen.

Reinigungskräfte merken häufig noch nicht einmal, dass sie ausgenutzt werden, weil es in der Branche derart normal ist

Rosa Brignone , Präsidentin von „Time for Equality“

„Der Kampf gegen die Prekarität in der Reinigungsbranche ist gleichzeitig ein Kampf gegen die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen“, sagt Isabelle Schmoetten vom „CID Fraen an Gender“. Denn 83 Prozent der Angestellten im Sektor sind Frauen. Das geht aus einer Studie des „Luxembourg Institute of Socio-Economic Research“, kurz Liser, hervor, die während einer Pressekonferenz am Montag von Laetitia Hauret, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Liser, vorgestellt wurde.

Extrem kurze Verträge

Laut der Untersuchung waren im März 2019 knapp 11.200 Beschäftigte hauptberuflich in der Reinigungsbranche tätig. 53 Prozent von ihnen haben die portugiesische Nationalität, 23 Prozent die französische. Über die Hälfte der Angestellten in der Reinigungsbranche kümmert sich um mindestens ein Kind, das jünger als 19 Jahre alt ist. Die Reinigungsbranche ist im Vergleich zu anderen Branchen die mit den meisten befristeten Arbeitsverträgen. Dabei sind diese häufig von sehr kurzer Dauer – zwölf Prozent der befristeten Arbeitsverhältnisse sind kürzer als einen Monat. In anderen Bereichen wie dem Horeca-Sektor oder der privaten Sicherheit sind es im Gegensatz dazu nur drei Prozent.

Auch die Anzahl an Teilzeitbeschäftigung ist in der Reinigungsbranche deutlich höher als anderswo. Nur 34 Prozent der Angestellten arbeiten Vollzeit. Im Horeca-Sektor sind es dagegen 73 Prozent, im Handel 77 Prozent. In mehr als der Hälfte der Fälle (58%) würden die Beschäftigten lieber Vollzeit arbeiten. Der Anteil der Reinigungskräfte, die nebenbei noch einen anderen Job ausführen, ist mit 14 Prozent merklich höher als in anderen Bereichen.

Niedrigstes Gehalt

Das Lohnniveau ist im Reinigungssektor niedriger als in anderen Wirtschaftszweigen. Im März 2019 lag der Bruttostundenlohn von 50 Prozent der Beschäftigten bei unter 12,6 Euro gegenüber 19,6 Euro für die Gesamtzahl der Arbeitnehmer hierzulande. Zum Vergleich: Im Horeca-Sektor sind es 13,6 Euro, auf dem Bau 16,6 Euro und im Finanzsektor 33,4 Euro.

Eine Studie des Liser zur aktuellen Situation im Reinigungssektor wurde bei einer Pressekonferenz am Montag vorgestellt
Eine Studie des Liser zur aktuellen Situation im Reinigungssektor wurde bei einer Pressekonferenz am Montag vorgestellt Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Das alles, obwohl Reinigungskräfte unter körperlich belastenderen Bedingungen arbeiten. Sie sind verstärkt schädlichen Substanzen und Strahlungen ausgesetzt und müssen häufig Tätigkeiten in ungünstiger Körperhaltung ausführen. 43 Prozent von ihnen entwickeln Beschwerden des Muskel- und Knochenapparates – das sind acht Prozent mehr als in der Baubranche. Auch das Risiko, sich während der Arbeitszeit zu verletzen, ist für sie höher. Ihre Zukunftsperspektiven schätzen Personen in der Reinigungsbranche allgemein als schlecht ein. Ihnen wird meist kein Zugang zu Fortbildungen gewährt. Sie fühlen sich häufig überqualifiziert und bekommen seltener die Chance, in ihrer Karriere aufzusteigen.

Die zahlreichen Missstände im Reinigungssektor stehen im Gegensatz zum Wachstum der Branche. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Betriebe in diesem Bereich verdoppelt, während sie in der Gesamtwirtschaft nur um 38 Prozent angestiegen ist. Auch die Zahl der Beschäftigten, die ihre Haupttätigkeit in dieser Branche ausüben, verzeichnet mit einem Zuwachs von 42 Prozent einen stärkeren Anstieg, als dies mit 32 Prozent in der Gesamtwirtschaft der Fall ist. Die Branche hat ihren Umsatz in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt.

Der Kampf gegen die Prekarität in der Reinigungsbranche ist gleichzeitig ein Kampf gegen die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen

Isabelle Schmoetten, CID Fraen an Gender

„Wir müssen jetzt gegen die steigende Prekarisierung der Reinigungsbranche ankämpfen“, sagt Estelle Winter des Syndikats für Private Reinigungsdienste, Private Hygiene- und Umweltdienste beim OGBL. Ein wichtiges Instrument hierfür ist der Kollektivvertrag, der schon seit Januar 2019 – als der alte ausgelaufen war – erneuert werden soll. Bisher konnte jedoch keine Einigung zwischen den Gewerkschaften und der „Fédération des entreprises de nettoyage“ gefunden werden.

Der OGBL fordert unter anderem, dass im neuen Vertrag festgelegt wird, dass sämtliche Überstunden als solche bezahlt werden – also mit 140 Prozent des Stundenlohns. Alle Gehälter in der Branche sollen erhöht werden. Anfahrten im Rahmen der Arbeit sollen als Arbeitszeit angerechnet werden – auch soll eine Maximaldistanz zwischen zwei Arbeitsorten niedergeschrieben werden. Da Reinigungskräfte, die in Schulen tätig sind, während der Ferien häufig zum „Congé sans solde“ gezwungen werden und in dieser Zeit weder in Rentenkasse noch Sozialversicherung einzahlen, fordert die Gewerkschaft auch hier umgehend Veränderungen. Unterdessen sind 8.000 Reinigungskräfte offiziell von privaten Haushalten eingestellt – auch sie sollen in den Kollektivvertrag mit aufgenommen werden – fordert der OGBL.

Grauzone Schwarzarbeit

Die Verhandlungen für den neuen Kollektivvertrag verlaufen schleppend. „Wir haben am 18. September eine Reihe Antworten von der Fédération bekommen. Darunter war kein einziger Vorschlag, der auf unsere finanziellen Forderungen eingegangen ist“, sagt Estelle Winter.

Hinter all den bereits bekannten Missständen versteckt sich eine unbekannte Dunkelziffer. „Schwarzarbeit macht im Reinigungssektor eine sehr große Grauzone aus“, sagt Estelle Winter. Eine Grauzone, deren Bedingungen weder in die Studie des Liser einfließen konnten noch von der luxemburgischen Regierung analysiert werden. „Das Ministerium behauptet, es sei nicht möglich, die Dunkelziffer zu ermitteln. Im Ausland ist es jedoch möglich. Das ist nicht normal“, sagt Isabelle Schmoetten. Der Großteil der Schwarzarbeit im Reinigungssektor findet dort statt, wo Angestellte für private Haushalte arbeiten. Aus Angst, ihr Einkommen zu verlieren, haben diese Personen laut Rosa Brignone auch während des Lockdowns gearbeitet und sich dem hohen Risiko einer Ansteckung ausgesetzt. „Wir kennen einige Geschichten, die an uns herangetragen wurden und das ist nur die Spitze des Eisberges“, sagt Brignone.